Nach der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik, die seit Jahrzehnten ein fester Punkt im politischen Jahr ist, überschlagen sich in diesem Jahr die Relativierer und offenen Vertuscher mit Versuchen, vom Kern der Zahlen abzulenken. Das kann natürlich einen routinierten Polizeigewerkschafter wie Rainer Wendt (DPolG) aufregen, der von „kompletter Ideologisierung und Belehrungseifer“ sowie „Realitätsklitterung“ sprach, deren Einfluss bei der Bevölkerung, Gott sei Dank, „im freien Fall“ sei. Gemeint war anscheinend das gesamte System ÖRR.
Denn Wendt reagierte damit auf das „politische Magazin“ Monitor des WDR, das zuvor eine Hitliste der üblichen Argumente gebracht hatte. Zu den allfälligen Behauptungen (teils wahr, aber falsch kontextualisiert) gehören:
- „Menschen in dieser Situation werden statistisch häufiger kriminell“ – gemeint sind also die kriminogenen Faktoren, die Ausländer mehr als Deutsche betreffen sollen.
- „Junge Männer werden statistisch häufiger kriminell.“ Umso schlimmer für die Statistik (ein TE-Artikel dazu folgt).
- „Ausländer werden im Schnitt häufiger angezeigt.“ Was zuletzt von Ahmad Mansour bei Lanz bestritten wurde.
- „Die Statistik ist mit Vorsicht zu genießen.“ Vielleicht weil sie von der Polizei kommt, die ja nur einen „Arbeitsnachweis“ – so Kriminalhauptkommissar Sebastian Fiedler, SPD, in der selben Sendung – benötigt.
Eine weitere beliebte Behauptung ist, dass Ausländer und Zuwanderer nicht nur bei den Tatverdächtigen, sondern auch unter den mutmaßlichen Opfern überwögen. Dieses „Argument“ gibt es auch gleich so übersetzt, dass ja viel Kriminalität „unter Zuwanderern“ stattfinde, so wieder BKA-Chef Holger Münch in der Faeser-PK. Ganz böse kann man das so verstehen, dass hier lediglich eine Krähe der anderen ein Auge aushackt. Es geht also die deutsche Mehrheitsgesellschaft nichts an, wenn im Bahnhofsviertel ein paar Messertote mehr oder rund um Stuttgart ein paar Tote durch Schusswaffen und Handgranaten zu beklagen sind. Das wäre nicht nur ein zynisches und kurzsichtiges Argument. Es lässt sich auch tatsächlich leicht widerlegen.
„Ausländer werden häufiger Opfer von Straftaten als Deutsche“, so formulierte die Theorie die Kriminologin-Soziologin Nicole Bögelein in der Lanz-Sendung. Aber der Satz stimmt in absoluten Zahlen schon einmal gar nicht, aber auch nicht, wenn man sich die Relationen ansieht.
Drei Viertel der Opfer waren Deutsche
Bei den Straftaten insgesamt ohne ausländerrechtliche Verstöße waren zwei Drittel (65,6 Prozent) aller Tatverdächtigen Deutsche, 34,4 Prozent Ausländer, davon 8,9 Prozent Zuwanderer. Zunächst alarmierend ist: Die Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer nahm demnach allein im letzten Jahr um ein Viertel zu (+25,1 Prozent), während sie unter den Passdeutschen nur sehr wenig stieg (plus ein Prozent). Der Zuwachs verdankt sich damit fast ausschließlich den Zuwanderern (+35.860 Tatverdächtige) und anderen Ausländern (+46.483 Tatverdächtige), aber fast gar nicht den Deutschen (+13.456 Tatverdächtige). Insgesamt gab es zwei Millionen Tatverdächtige, ohne ausländerrechtliche Verstöße, also fünf Prozent mehr als im Vorjahr.
Auch Ausländer insgesamt wurden im letzten Jahr 694.981 Mal zu Tatverdächtigen, aber nur 310.095 Mal zu Opfern. Die ausländischen Tatverdächtigen wohnen dabei laut BKA zu drei Vierteln in Deutschland, im Fall der Gewaltkriminalität und anderer Delikte sogar zu 96 Prozent. Zieht man das eine Viertel ab, dann bleibt es bei rund 520.000 ausländischen Tatverdächtigen mit sicherem Wohnsitz im Inland und lediglich 310.000 ausländischen Opfern.
Nur bei den Deutschen war das Täter-Opfer-Verhältnis derweil etwa ausgeglichen, mit 1.322.571 Tatverdächtigen und 1.249.329 mutmaßlichen Opfern. Richtig ist, dass die Opfer unter den Ausländern (+15,2 Prozent) und Zuwanderern (+19,1 Prozent) prozentual stärker zunahmen als unter den Deutschen (+6,4 Prozent). Hinter diesen Prozentzahlen verbergen sich aber jeweils ganz verschiedene absolute Werte, nämlich circa 56.000 mehr deutsche Opfer gegenüber einer Zunahme von ~40.000 ausländischen Opfern, davon gut 10.000 mit Status „Zuwanderer“.
Deutsche und ausländische Täter und Opfer für ausgewählte Deliktfelder (Quelle: BKA, Polizeiliche Kriminalstatistik 2023):
- Körperverletzung
Opfer: 470.299 Deutsche, 212.425 Ausländer;
Täter: 315.917 Deutsche, 174.120 Ausländer - Zwangsheirat, Nachstellung (Stalking), Freiheitsberaubung, Nötigung, Bedrohung
Opfer: 263.151 Deutsche, 68.144 Ausländer;
Täter: 154.110 Deutsche, 65.487 Ausländer - Raubdelikte
Opfer: 38.569 Deutsche, 13.267 Ausländer;
Täter: Deutsche 17.324, Ausländer 15.013 - Sexualdelikte
Opfer: 33.820 Deutsche, 6.854 Ausländer;
Täter: 67.116 Deutsche, 26.591 Ausländer
Mehr Männer als Frauen, mehr Junge als Alte sind Opfer
Meist sind die Opfer von Straftaten übrigens Männer (59 Prozent), bei Raubdelikten sogar in 76 Prozent der Fälle, bei Körperverletzung zu 62 Prozent. Auch bei den Straftaten gegen das Leben (Mord, Totschlag usw.) wurden mehr Taten an männlichen Opfern (67,6 Prozent) vollendet als an Frauen (32,4 Prozent). Bei den Versuchen herrschte etwa Gleichstand: 49,9 Prozent zu 50,1 Prozent. Nur bei Sexualdelikten waren die Opfer ebenso selbstverständlich zu 92 Prozent Frauen.
Die meisten Opfer waren zwischen 21 und 30 Jahren alt (23,6 Prozent). Es folgten die 30- bis 39-Jährigen (21,7 Prozent) und die 40- bis 49-Jährigen (14,2 Prozent). Nur rund 18 Prozent der Opfer waren über 50 Jahre alt.
Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Opfern für ausgewählte Deliktfelder (Quelle: BKA, Polizeiliche Kriminalstatistik 2023):
- Straftaten insgesamt mit Opfererfassung:
Männer 59,3 Prozent, Frauen 40,7 Prozent - Straftaten gegen das Leben:
Männer 67,6 Prozent, Frauen 32,4 Prozent - Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung:
Männer 8,1 Prozent, Frauen 91,9 Prozent - Raubdelikte:
Männer 76,2 Prozent, Frauen 23,8 Prozent - Κörperverletzung:
Männer 61,8 Prozent, Frauen 38,2 Prozent
Opfer nach Alterskohorte bei allen Straftaten mit Opfererfassung (Quelle: BKA, Polizeiliche Kriminalstatistik 2023: