Tichys Einblick
Karl Lauterbach verspricht Reform

Pflege ist erneut deutlich teurer geworden – und schlechter

Die Pflege ist in Deutschland extrem teuer und trotz oder wegen Karl Lauterbachs Reformversuchen schon wieder teurer geworden. Die Versorgung ist zudem dramatisch schlecht – in Bayern findet dazu ein unglaublicher Gerichtsprozess statt.

picture alliance/dpa | Carsten Koall

Ein Geschehen wie aus einer anderen Welt. In Würzburg hat die Aufsicht ein Heim ermahnt, seine „Klingelzeiten“ einzuhalten. Das heißt: Wenn ein Bedürftiger um Hilfe bittet, muss sich innerhalb von fünf Minuten ein Pfleger darum kümmern. Doch nicht die Aufsichtsbehörde hat das Heim verklagt. Andersrum: Das Heim hat die Aufsichtsbehörde verklagt. Diese „Klingelzeiten“ seien nicht mehr einzuhalten. Die Situation des Heims sei so schlecht, dass es dieser Pflicht nicht nachkommen könne.

Dieses Verfahren beleuchte ein zentrales Problem der Pflegequalität und Patientensicherheit in Deutschland, teilt der Pflegeschutzbund BIVA mit: „Es ist alarmierend, dass es überhaupt zu einem Rechtsstreit über eine so grundlegende Frage wie die Reaktionszeit auf Klingelrufe kommen muss“, sagt der BIVA-Vorsitzende, Dr. Manfred Stegger. Pflegebedürftige Menschen seien auf schnelle Hilfe angewiesen, lange Wartezeiten beeinträchtigten das Wohlbefinden der Bewohner erheblich und gefährdeten deren Gesundheit, da es sich immer um einen Notfall handeln könnte. Zwar sei nicht jedes Klingeln dringlich, aber es müsse schnellstmöglich geklärt werden, ob eine Notlage vorliege.

Wobei es ein Leichtes wäre, das Würzburger Heim zu kritisieren. Doch diese Kritik würde ins Leere greifen. Die Heimführung geht den geraden Weg und macht auf die dramatische Lage in der Pflege aufmerksam. Andere Heime behelfen sich mit Methoden, die wirklich abzulehnen sind. So berichtet BIVA: In einigen Fällen würden die Leitungen die Klingeln außer Reichweite der Bewohner aufstellen. „Diese Praxis ist absolut inakzeptabel und verstößt gegen die grundlegenden Rechte der Pflegebedürftigen.“

Die deutschen Pflegeheime kämpfen ums Überleben. TE hat bereits mehrfach über die Insolvenzwelle berichtet. Schuld an dieser Insolvenzwelle trägt die Politik. Bundesweit Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der den Heimen steigende Kosten durch Inflation, Strompreise und höhere Gehälter nicht ausreichend vergüten lässt. Lokal Städte und Kreise, die ihre Schulden gegenüber den Heimen oft erst später bezahlten und somit deren Finanznot verstärkten.

Durch den Finanzdruck „werden Pflegeplätze zum Luxusgut“, wie der Arbeitgeberverband Pflege warnt. „Steigende Sachkosten sowie höhere Pflegelöhne treiben die Preise“, sagt dessen Präsident, Thomas Greiner. Die verantwortlichen Minister hätten Bedürftigen und Angehörigen Sand in die Augen gestreut. Sie hätten versprochen, die Löhne für Pfleger ließen sich erhöhen, ohne dass sich das auf die Kosten auswirke. Das Gegenteil erweise sich nun als richtig.

Das bestätigt eine Auswertung des Verbandes der Ersatzkassen, zu denen unter anderem die TK und die Barmer gehören. Die Ersatzkassen haben errechnet, dass Bewohner oder ihre Angehörigen im Monat 2871 Euro an Eigenanteil für das Leben im Pflegeheim bezahlen müssen. Das sind 211 Euro mehr als noch vor einem Jahr. Im zweiten Jahr im Heim sinken die Kosten auf 2620 Euro im Monat – auch das sind 233 Euro mehr als beim Vergleichswert von vor einem Jahr. Dass die Eigenbeteiligung mit zunehmender Aufenthaltsdauer geringer wird, ist durch die Zuschüsse begründet, die die Pflegekasse gibt, erklären die Ersatzkassen.

Die steigenden Löhne der Pfleger sind nur ein Grund, warum die Preise der Heime steigen. Von allen Gründen ist es der, an dem die Politik am wenigsten vorbeikommt. Die Pfleger müssen gut bezahlt werden. Schon jetzt ist es schwer, genügend gut qualifiziertes Personal für diese wichtige, anspruchsvolle und mitunter belastende Arbeit zu finden.

Auch in anderen Bereichen macht die Politik ihre Hausaufgaben nicht. Etwa bei den Ausbildungskosten für Pfleger. Dass diese Kosten anteilig von Pflegeheimbewohnenden querfinanziert werden, sei keine faire Lastenverteilung, klagen die Ersatzkassen. Diese solle über Steuern von der Allgemeinheit bezahlt werden. Zumal nicht einmal feststünde, dass der Auszubildende später in dem entsprechenden Pflegeheim arbeitet. Wie die Ersatzkassen vorrechnen, würde das Heimbewohner im Monat um 112 Euro entlasten.

Auf einen anderen Punkt macht der Arbeitgeberverband Pflege aufmerksam: die Bürokratie. Die Pfleger ersticken an der Datensammelwut des Staates – die diese für den Staat befriedigen müssen. Hier passiere nichts. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat bereits eine Pflegereform umgesetzt und verspricht nun eine weitere. Auf den Mann aus Leverkusen braucht aber kein Arbeitnehmer zu hoffen: Arbeitnehmern bringen Lauterbachs Reformen höhere Beitragssätze. Bewohner zahlen danach mehr fürs Heim und die Leistungen dort werden schlechter. Mehr Geld für schlechtere Pflege ist das Ergebnis nach drei Jahren Karl Lauterbach – in seinem Umfeld glaubt niemand, dass es nach der nächsten Reform besser wird. Nicht mal Lauterbach selbst, der bereits angekündigt hat, dass sich mit den bisherigen Pflegebeiträgen die Qualität nicht halten lasse.

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