Bayern ist bekanntlich nicht Deutschland, hier gehen die Kuckucksuhren anders als bei den nördlichen Nachbarn. Aber Bayern ist als Industrie-, Urlaubs- und Transitland durchaus repräsentativ für das Unfallgeschehen im Straßenverkehr: Anzahl der gemeldeten Unfälle, Verletzte, Verkehrstote, Todesursachen etc.
Die Straßenverkehrsunfallstatistik des Statistischen Bundesamtes erfasst alle von der Polizei aufgenommenen Unfälle, bei denen auf öffentlichen Straßen und Plätzen Personenschaden oder Sachschaden entstanden ist. Die Zahl der Verkehrstoten ist seit ihrem Höchststand Anfang der 1970er Jahre mit 19.193 stark rückläufig bis hin zu geschätzten 2.770 im Jahr 2022.
Die Gründe für diesen Rückgang sind vielfältig und statistisch zeitlich sauber zuzuordnen: neben rechtlichen Regelungen (Höchstgeschwindigkeit 100 km/h auf Landstraßen im Jahr 1972; Richtgeschwindigkeit 130 km/h auf Autobahnen im Jahr 1978; Alkohol-Promillegrenze 0,8 ab 1973, dann 0,5 ab 2001; Helm-, Gurt- sowie Kindersitzpflicht) spielen erheblich verbesserte Fahrzeugtechnik (Tagfahrlicht und Pflichtausrüstung, ABS etc.) und straßenbauliche Maßnahmen eine große Rolle.
Im krassen Gegensatz zur Unfallentwicklung mit oder ohne Todesfolgen im Autoverkehr auf Landstraßen und Bundesautobahnen ist die Anzahl der Unfälle und Verkehrstoten im Fahrradverkehr in den letzten Jahren steil angestiegen. Aktuelle Zahlen dazu gibt es nur auf Landesebene, wie soeben für Bayern veröffentlicht (Süddeutsche Zeitung). Die Zahlen sind alarmierend! Und zeigen klar und deutlich:
Die Forderungen nach einem Tempolimit sind berechtigt – aber vor allem für Pedelecs.
Zunächst zum statistischen Befund: In Deutschland haben sich im Jahr 2021 2,3 Millionen Verkehrsunfälle ereignet mit rund 323.000 Verletzten und 2.562 Verkehrstoten, deutlich weniger als im Vor-Pandemiejahr 2019.
Im Jahr 2021 sind insgesamt 372 Radfahrer im Straßenverkehr in Deutschland gestorben. Damit ging auch die Zahl der verstorbenen Fahrradfahrer im Vergleich zu den Vorjahren coronabedingt zurück. Das ist zwar positiv, aber nicht beruhigend. Die Betrachtung der Altersgruppen zeigt, dass vor allem ältere Fahrradfahrer tödlich verunglücken.
Zu den Gründen zählt unter anderem die gestiegene Nutzung von Pedelecs/E-Bikes. Im Jahr 2021 verunglückten 17.045 Menschen, die mit dem Pedelec unterwegs waren. Das sind achtmal mehr als im Jahr 2014 mit rund 2.223 Verunglückten. Eine ähnliche Entwicklung findet sich auch bei den Getöteten: 2021 kamen 131 Menschen auf einem Pedelec ums Leben, 2014 waren es noch 39 Frauen, Männer und Kinder.
Zahlen auf Bundesebene liegen für 2022 nicht vor, nur für Bayern wurden soeben von Innenminister Joachim Hermann detaillierte Angaben veröffentlicht. Das Ergebnis:
Die Anzahl der Fahrradunfälle erreichte 2022 in Bayern ein Rekordhoch, den höchsten Stand seit Beginn der Erhebung vor mehr als 65 Jahren!
Im Einzelnen ergibt sich für 2022 folgendes Bild:
- neuer Höchststand mit19.646 Fahrradunfällen;
- dabei starben 84 Radler, weniger als 2019, aber Tendenz steigend;
- bei rund einem Drittel der Rad-Unfälle (circa 6.000) waren keine weiteren Verkehrsteilnehmer beteiligt, davon haben wiederum zwei Drittel der Radfahrer den Unfall selber verursacht, durch Alkohol und Leichtsinn, laut Hermann, so durch verkehrswidrige Nutzung der Radwege in beiden Fahrtrichtungen und Kollisionen mit Autofahrern; oder durch Fahren ohne Licht bei Nacht.
Auffällig hoch mit circa einem Drittel ist bei den tödlichen Radunfällen der Anteil jener mit Pedelecs, das heißt mit zusätzlichem elektrischen Antrieb. Nach dem Motto: „Hilft Opa aufs Fahrrad wie früher die Oma im Hühnerstall aufs Motorrad“.
Offensichtlich ist: Viele „Pedelecer“ überschätzen die Geschwindigkeit ihrer Zweiräder. Vor allem überschätzen sie sich selber. Dabei spielt vor allem das Alter eine Rolle. Der Anteil der kreglen Alten am oberen Drittel der Bevölkerungspyramide nimmt ständig zu. Kein Berg zu hoch, kein Fluß zu lang, als dass sie heute nicht von Scharen von „silver-agers“ beradelt würden, zumeist in Rudeln.
Das Pedelec macht es möglich! Und Pedelec-Fahrer leben von allen Verkehrsteilnehmern am gefährlichsten. Eine detaillierte Untersuchung von Auto Motor Sport (AMS) für den Zeitraum Januar bis November 2020 zeigt, dass es bei fast allen Verkehrsbeteiligungsarten weniger Getötete im Straßenverkehr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gab. Den stärksten prozentualen Rückgang in den ersten elf Monaten des Jahres 2020 gab es bei den Getöteten in Personenkraftwagen mit -14,3 Prozent (- 176 Getötete). Dagegen nahm die Zahl der getöteten Pedelec-Fahrerinnen und -Fahrer um 22 (19,1 Prozent) auf 137 Personen zu.
Fazit: Nur Pedelec-Fahrer leben gefährlicher
Bemerkenswert an der AMS-Untersuchung ist auch, dass es die meisten Verkehrstoten durch Unfälle auf Landstraßen gab, die strikt tempolimitiert sind. Hier starben 1.592 Menschen, das waren 58,6 Prozent aller Verkehrstoten. Autobahn-Unfälle dagegen gehen weiter zurück, sehr zum Leidwesen der Befürworter eines Tempolimits. Auf Autobahnen staben 2021 317 Menschen (11,7 Prozent aller Verkehrstoten).
Und noch folgende Fakten aus Bayern für die deutsche Verkehrspolitik sind bemerkenswert:
- In Bayern nahm die Zahl der Verkehrsunfälle 2022 mit 375.700 gegenüber Normal-Jahr 2019 um knapp 10 Prozent weiter ab.
- Mit 519 Toten sind in Bayern noch nie so wenige Menschen durch Verkehrsunfälle gestorben.
- Das Problem sind die Landstraßen. Von den 519 Toten starben mit 315 mehr als die Hälfte auf Landstraßen, nicht auf Autobahnen. Hauptgründe: überhöhte Geschwindigkeit (91 Todesfälle) und Alkohol + Drogen (67 Todesfälle).
Will die Verkehrspolitik in Deutschland die tödlichen Unfälle im Straßenverkehr durch hoheitliche Maßnahmen weiter einzuschränken versuchen – gegen menschliches Fehlverhalten und Dummheit ist kein behördliches Kraut gewachsen –, sind drei Maßnahmen sinnvoll:
- Pedelecs sind technisch mit einem Geschwindigkeitslimit auszustatten;
- Pedelec-Fahrer der Altersgruppe Ü60 müssen einen Nachweis erbringen (Quasi-Fahrprüfung), dass sie ein Pedelec beherrschen; ab Ü80 jährliche Kontrolle;
- Geschwindigkeitsbeschränkungen auf BAB’s sind wenig zielführend, Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Landstraßen sind schärfer zu kontrollieren.