Erst hörte man es aus den USA und Großbritannien, aus Princeton, Cambridge und Harvard. Inzwischen sind auch an deutschen Universitäten bestimmte Meinungen und Auffassungen nicht länger wohlgelitten – und wer sie vertritt, wird angefeindet oder soll gar die Uni verlassen.
Um welche Meinungen geht es? Und wer achtet auf ihre Ächtung? Vielleicht helfen Studien weiter. Gemäß einer britischen Umfrage vermeidet ein Drittel der konservativen Hochschullehrer dort politische Aussagen in der Öffentlichkeit. Links eingestellte Professoren – und das sind ohnehin drei Viertel der britischen Hochschullehrer – deutlich seltener (13 Prozent der Fälle).
Jetzt sagen manche: Das ist nun einmal die ungemütliche Natur von Diskussionen und politischem Streit. Aber wenn solche Handlungsweisen zur Ausblendung bestimmter Positionen führen, dient das wohl eher der Vermeidung des Streits. Linke Studenten scheinen dabei besonders intolerant zu sein, während ihre konservative Kommilitonen sich schwer damit tun, ihre Meinungen zu Themen wie Einwanderung oder »Gender« zu äußern. Gemäß der Theorie der Schweigespirale von Elisabeth Noelle-Neumann führt das letztlich zur Unsichtbarkeit konservativer Positionen an der Universität – wenn auch nicht zu ihrem Verschwinden.
AStA: permanente Revolution in den Grenzen des Bestehenden
Das bringt schöne Stilblüten und stolze Manifeste hervor, die meist wenig mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu tun haben. In Köln führte ein solches Manifestationsverhalten kürzlich zu einem Distanzierungsaufruf des AStA gegen seine eigene Vorsitzende, nachdem sie an einer Demonstration gegen die Änderung des Infektionsschutzgesetzes teilgenommen hatte.
Ähnlich und doch etwas anders ist es mit einer Pressemitteilung des AStA der Universität Münster. Nun stellt man sich Münster als eher beschauliches Freilichtmuseum vor. Allerdings erinnern die an St. Lamberti aufgehängten Täuferkörbe noch daran, dass auch ein Suffraganbistum sich zum imaginären Zentrum der Welt und Schlachtfeld eines Glaubenskampfs aufschwingen kann. Die Wiedertäufer riefen es kurzerhand zum »Königreich Zion« aus, auch wenn viele daran zweifelten und sich diese Zweifel am Ende – mit Waffengewalt – durchsetzten. Aber das ist lange her, und inzwischen denkt man bei Münster eher an unseren Gesundheits-Spahn und seine liquide Sparkasse.
So sachlich, dass es quietscht
Das zeigt vielleicht am besten der Fall des außerplanmäßigen Universitätsprofessors Paul Cullen, dessen Lehrtätigkeit der AStA überprüft sehen möchte. Als Labormediziner leitet Cullen hauptamtlich das MVZ-Labor in Münster, das für die Corona-Tests in der Region zuständig ist. Aber mit diesen zwei bis drei Arbeitsfeldern gibt sich Cullen nicht zufrieden. Seit einigen Jahren ist er auf verschiedenen Kanälen publizistisch aktiv. Er ist dabei keiner, der seinen Zuhörern das Himmelreich verspricht, eher einer, der skeptisch bleibt angesichts von Horrorgemälden und Heilsversprechungen gleichermaßen. Weder übernimmt er unkritisch die »pandemische Erzählung«, noch betrachtet er die Impfstoffe als Allheilmittel oder verbreitet Panik. Man könnte das auch einfach wissenschaftliche Skepsis nennen.
In einem Beitrag auf TE und einem Tagespost-Artikel sowie einem Youtube-Video vom letzten August hob Cullen die Unsicherheit aller Covid-Impfstoffe hervor, deren Testreihen nach konventioneller Praxis auch heute noch nicht abgeschlossen sind. Die Impfseren auf RNA-Basis (also die Impfstoffe von Biontech-Pfizer und Moderna) beschreibt er als vielversprechende Neuentwicklung, die aber eben, weil sie neu ist, vollkommen unerprobt sei. Normalerweise würde ein derartiger Impfstoff noch jahrelang auf Langzeit-Nebenwirkungen getestet. Das Video und der gleichlautende Artikel Cullens sind allerdings so sachlich und fachlich gehalten, dass es quietscht.
Gute Gedanken an ungutem Ort?
Für den AStA und die mitunterzeichneten »kritischen Mediziner*innen« ist vor allem der Ort ungut, an dem Cullen seine Skepsis äußert. Gemeint ist der Youtube-Kanal, in dem angeblich »Verschwörungserzählungen« vorkommen und »Virolog*innen« mit Taliban verglichen werden. Eine reichlich konstruierte Schuld durch Assoziation wird Cullen so angehängt. Nach diesem Vorklapp flicht das Studenten-Statement einige Äußerungen des Professors ein und lässt es so aussehen, als seien auch sie schon extrem: Seine Hinweise auf die »überhastete« Impfstoffsuche, die von einigen diskutierte Impfpflicht (die ja manche Berufe informell schon gilt) oder auch die überwiegend unsymptomatischen Krankheitsverläufe von Sars-CoV-2-Infizierten – alles das seien »streitbare oder schlicht falsche« Behauptungen.
Cullens Einordnung von Covid-19 als vielleicht nicht gefährlich genug, um eine Massenimpfung zu rechtfertigen, greift der AStA als »unwissenschaftliche Verharmlosung« an. Dabei stellt Cullen eigentlich nur Selbstverständlichkeiten in Konditionalsatzform fest: »Die Erkrankung, gegen die geimpft wird, muss so schwerwiegend sein, dass sie die Impfung einer großen Zahl von Menschen rechtfertigt. Denn geimpft werden Gesunde, die mit dem Erreger vielleicht nie in Kontakt kommen werden. Daher muss man sicher sein, dass der Nutzen die Risiken mit großer Sicherheit und mit großem Abstand überwiegt. Ist dies nicht der Fall, stellt die Impfung eine Körperverletzung dar.«
Nun gibt es mit Sicherheit eine weltweite Diskussion darüber, welcher Umgang mit dem neuen Virus der richtige ist und am Ende funktionieren wird. Kein Land kann wohl sagen, immer alles perfekt gemacht zu haben. Insofern ist auch die Impfdiskussion noch keineswegs beendet. Den Westfälischen Nachrichten ließ Cullen über seine Anwälte mitteilen: »Dass wir jetzt impfen ist das richtige Ergebnis einer Abwägung von Nutzen und Risiken. Wer aber bestreitet, dass bislang unbekannte Spätfolgen denkbar sind, handelt unverantwortlich und verlässt den seriösen wissenschaftlichen Diskurs.«
Sachliche Informationen als »Ideologien«
Für den AStA ist das einfach nur antifeministisch. Cullen vertrete »offen die Extremposition des Lebensbeginns ›ab der Zeugung‹«. Dem radikal-demokratischen AStA gilt es also als extrem zu sagen, dass das Leben mit einer Zelle beginnt. Außerdem weiß man offenbar vor aller Diskussion, dass der Mediziner die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur psychischen Belastung der werdenden Mutter durch einen Abbruch falsch interpretiert. Dabei wäre dies ein veritables, auch politisches Thema, das man durchaus an einer Universität diskutieren könnte.
Der AStA behauptet weiter, dass Cullen in einer »Infoveranstaltung für Medizinstudierende« zum Thema Abtreibung »seine Ideologien verbreitet« habe. Tatsächlich finden sich in dem verlinkten Fortbildungsskript rein sachliche Informationen zu den möglichen Folgen und Kontraindikationen der verschiedenen Methoden, einschließlich der »Pille danach«. Cullen erwidert seinen scharfen Kritikern: »Der AStA infantilisiert und bevormundet Studierende, wenn er sie präventiv sogar vor meiner Privatmeinung zu Themen ›schützen‹ will, über die ich im Hörsaal nicht einmal rede. Universitäten sind ein Ort des Streits und des freien Denkens und Sprechens.« Die eigentliche Gefahr sieht er darin, dass der AStA diese Kultur zerstören wolle.
Linke Investoren sind immer recht
Genährt werden sollen die Vorwürfe aus einer Rede, die Cullen 2016 bei einem Lebensrecht-Forum in Kassel gehalten hat. Darin sagte er unter anderem: »Meinungen, die außerhalb des sehr eng begrenzten politisch korrekten Meinungskorridors liegen, werden als ›fundamentalistisch‹, ›frauenfeindlich‹, ›extremistisch‹ usw. regelrecht diffamiert.« Für Cullen folgte daraus, dass sich die derart vom normalen Diskurs ausgeschlossene Gruppe nur durch eine Art »Kulturkampf« verteidigen kann, den sie zum Beispiel über die sozialen Medien führen kann: »Selbst mit fünf Prozent der Bevölkerung kann man ein Umdenken in der gesamten Gesellschaft herbeiführen.«
Es gehe darum, eine Gesellschaft zu verhindern, in der Menschen zur Ware und Kinder zu Objekten werden (zitiert nach der Website der Evangelischen Allianz). Das sind sicher die Worte eines Überzeugten. Aber sind sie deshalb schon undemokratisch oder antisemitisch? Im weiteren sprach Cullen auch von »mächtigen Finanzinteressen«, die nach seiner Auffassung hinter der »Abtreibungs- und Euthanasielobby« stehen. Hier soll auch der Name der Soros-Stiftung gefallen sein, deren Einsatz für »progressive« Vorstellungen allgemein bekannt ist, ob es nun um Zuwanderung geht oder um andere Themen, zum Beispiel auch »Reproductive Health and Rights«. Man vergleiche nur diesen Reader des Open Society Institute von 2001, in dem unter anderem zu lesen ist: »Science has changed, the culture has changed, public attitudes have changed, but the politics of abortion unfolds like a Kabuki play, stylized and familiar.«
Das rote Gummiband der politisch Wohldenkenden
Mehrmals kommt der AStA auf die »demokratischen Prinzipien« zurück, auf denen die Universität basiere. Cullen übertrete »klare Grenzen, die unsere demokratische und offene Universität und Gesellschaft zusammenhalten«. Das ist kein hartes, verfassungsrechtliches Argument gegen irgendjemanden, sondern das rote Gummiband der politisch Wohldenkenden. Denn eine Gesellschaft »zusammenhalten« kann auch eine totalitäre Ideologie. Und wie die gesellschaftlichen »Grenzen« sich nun genau auf die Universität übertragen, die in besonderer Weise der Freiheit verpflichtet ist, versteht man noch nicht ganz. Jedenfalls scheint für den AStA aus der Nichtübereinstimmung mit Cullens Auffassungen eine Art Austreibungsrecht zu resultieren.
Mit den »demokratischen Prinzipien« ist hier – wie leider zu oft im politischen Diskurs – nicht Meinungsvielfalt und Pluralität gemeint, sondern der Ausschluss bestimmter Postionen. Ihre Forderung nach Konformität verfehlt den demokratischen und pluralen Charakter, den die Statement-Autoren selbst der Universität zuweisen. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren: Diese Studenten haben noch viel zu lernen. Doch wehe, wenn sie – unverändert – einmal etwas an bedeutenderer Stelle zu sagen haben sollten.