Wie sie es machen, machen sie es falsch: Nachdem die darbende SPD zunächst aus ihrer Friedrich-Ebert-Stiftung heraus glaubte, einen vermeintlichen Coup gelandet zu haben, als sie mit der 327 Seiten langen Studie „Verlorene Mitte – Feinselige Zustände“ für ein paar Stunden die Medienaufmerksamkeit auf ihre „antifaschistische“ Alltagsarbeit lenken konnte, kamen die ersten Journalisten dazu, das Papier auch zu lesen und erschraken.
Spätestens dann, als der ZDF-Anchorman Claus Kleber in einem Anfall von Wahrhaftigkeit (oder Eitelkeit?) via Twitter darauf aufmerksam machte, dass seine kritischen Fragen an die Studienmacher geschnitten worden waren, war klar: Hier stimmte etwas ganz und gar nicht.
Die Publikumsbeschimpfung im Auftrag der Sozialdemokratie aus dem Hause des so genannten „Extremismusforschers“ der Bielefelder Universität und Vorsitzenden der Amadeu Antonio Stiftung, Andreas Zick, war kontaminiert. Schlimmer: das Zickpapier, das die gesellschaftliche Mitte über hunderte von Seiten rechtsextremistisch schimpfte, widersprach sogar einer nur wenige Monate alten Studie, ebenfalls aus dem Hause Zick, die behauptet hatte, die Deutschen seien mehrheitlich für eine Willkommenskultur.
Zwar rechtzeitig vor der EU-Wahl und im Superwahljahr 2019 veröffentlicht, müssen die Parteistrategen relativ schnell erkannt haben, welches Ei sie sich da gelegt hatten. Riefen sie deshalb nach dem Tatortreiniger? Nun kann man von Sigmar Gabriel halten, was man will, seine Entsorgung aus den höchsten Ämtern der Partei nebst Verlust des Außenministerposten an Heiko Maas hindert ihn offensichtlich trotzdem nicht daran, der Sozialdemokratie den erwünschten Dienst zu leisten und den Müll wegzuräumen.
Hilfreich ist ihm hier seine sporadische Tätigkeit für den Tagesspiegel. Hier schreibt er, was er mag; das Blatt freut sich über den prominenten Gast.
Zunächst sieht dann aber alles so aus, als übernehme Gabriel die Lesart der Studienmacher, wenn es in der Headline heißt: „Eine Studie und ihre bewusste Fehlinterpretation“. Und weiter: „Die Deutschen sind demokratiefest und mehrheitlich tolerant. Was aus den Ergebnissen der „Mitte“-Studie gemacht wird, ist verantwortungslos.“
Nun muss der SPD spätestens nach Kleber klar gewesen sein, dass ihnen diese Publikumsbeschimpfung in der Hand explodiert ist. Niemand weiß, ob Sigmar Gabriel angerufen wurde, die Sache zu bereinigen oder ob er selbst parteidisziplinarisch auf die Idee gekommen ist, jedenfalls bemühte er sich das völlige Desaster doch noch zu verhindern, indem er der SPD und ihrer Stiftung vermeintlich die Leviten las.
Denn auch mit diesem Satz im Tagesspiegel meint er nicht etwa die bösen Rechten im Bundestag, sondern die Sozialdemokratie:
Aber Gabriel fegt den verlotterten Laden noch schwungvoller aus, wenn er weiter schreibt:
„Man kann sich des Verdachts nicht erwehren, hier seien die Ergebnisse einer Studie unter einer bestimmten Vorwahrnehmung ihrer Autoren interpretiert worden. Und kein Wunder, dass Überschrift und Inhalt der Studie verwechselt wurden. „Alarmierend“ an der jüngsten Mitte-Studie sind weniger ihre Ergebnisse als der Umgang damit.“
Jetzt jedenfalls, Jahre später, schreibt Gabriel: „Für diese Skepsis gibt es Gründe.“ Und Gabriel will weiter wissen: „Ist es wirklich so erstaunlich, dass es ein Gefühl der Unsicherheit hinsichtlich der Zuwanderung gibt?“
Was ist das? Der Instinkt des ehemaligen Volkstribuns? Hat Gabriel schneller erkannt als andere, dass diese Beschimpfung die Mitte der Gesellschaft nicht etwa einschüchtert, nun SPD zu wählen, sondern sie im Gegenteil von den Urnen fernhält oder gar zu rechten Ufern treibt? Für Gabriel ist das Papier eine „Pathologisierung” der Mitte geworden. Und es wird noch besser: Die Arbeit von Andreas Zick für die Stiftung der SPD sei unwissenschaftlich. Die Höchststrafe für diese Riege von nun also vermeintlich wissenschaftlich Tätigen klingt so:
Familienministerin Franziska Giffey bekommt übrigens auch ihr Fett weg, wenn es Gabriel „schleierhaft“ ist, dass ausgerechnet Giffey ein „Demokratiefördergesetz“ fordert. Es bräuchte aktuell alles andere, als eine „Fülle von sozialpädagogischen Förderprogrammen.“ Der Retter von Kaisers-Tengelmann jetzt als Job-Vernichter der Dobrindt’schen „Asylindustrie“?
Das Fazit des niedersächsischen Sozialdemokraten über die vorliegenden 327 Seiten Mitte-Beschimpfung fällt dementsprechend vernichtend aus:
„Es ist bei den alarmistischen Interpreten der Studie offenbar mehr die eigene Mitte verloren gegangen, weil der eigene Standpunkt zu häufig in schlagwortoptimierten Worthülsen eingebettet war.“
Aber ob das nun das war, was sich die SPD Führung von ihrem ehemaligen Anführer gewünscht hatte? Oder hat der Ausgestoßene seine Partei nur vom Regen in die Traufe geschubst?