Tichys Einblick
Grüner Kongress in Karlsruhe

Partei der Besserwissenden

Die kleineren Ampel-Partner machen sich überflüssig. Die FDP dadurch, dass sie sich konsequent nicht an ihre Überzeugungen hält. Die Grünen dadurch, dass sie sich an ihre Überzeugungen halten – koste es, was es wolle. Der Parteitag der Ökopaxe ist ein Klassentreffen der Unbelehrbaren.

IMAGO / Chris Emil Janßen

In gewisser Weise, das kann man nicht anders sagen, ist auf die Grünen Verlass. Scheinbar unbeeindruckt von einer sich verändernden Welt – und als ob der Rückhalt in der Bevölkerung nicht dramatisch eingebrochen wäre – hält die Partei an allem Althergebrachten geradezu trotzig fest.

Zunächst einmal am qualifizierten Spitzenpersonal: Ricarda Lang, 29 Jahre jung, kein abgeschlossenes Studium und keine Berufsausbildung, bleibt für zwei weitere Jahre Co-Vorsitzende. In ihrer Bewerbungsrede bleibt Lang auch sich selbst treu: mit einem schier unerträglich selbstverliebten Vortrag, der inhaltlich ausschließlich (sic!) aus Hohlstanzen besteht. An ihrer Seite wiedergewählt wird Omid Nouripour, 48 Jahre alt, kein abgeschlossenes Studium und keine Berufsausbildung.

Die Funktionäre liefern, was die Basis von ihnen offenkundig erwartet: Selbstvergewisserung und Durchhalteparolen. Baden-Württembergs Landesvater Winfried Kretschmann ist wegen seiner vergleichsweise gemäßigten Positionen in der Partei nicht beliebt, aber als einziger grüner Ministerpräsident eines Bundeslandes wegen seiner Wahlerfolge immerhin geduldet. Er streichelt die Seele der 825 Delegierten: Die Grünen hätten der Bundesrepublik „Orientierung gegeben“.

Nouripour legt nach und ruft die Partei dazu auf, dem derzeitigen Gegenwind zu trotzen. Die Grünen hätten in der Ampel-Koalition unter schwierigsten Umständen vieles erreicht. „Die Angriffe kommen, weil wir wirken.“ Als Beispiele nennt er den Ausbau der erneuerbaren Energien, das Einwanderungsgesetz, die Abschaffung des Paragrafen 219a über das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche und die Absenkung des Wahlalters bei der Europawahl auf 16 Jahre.

Nun könnte man sich fragen, ob das wirklich die Orientierungspunkte sind, die Deutschland angesichts von Inflation, Deindustrialisierung, Wirtschaftskrise, Flüchtlingsflut, Ukraine-Krieg und Nahostkonflikt gerade am dringendsten braucht. Könnte man – in Karlsruhe tut das aber niemand, jedenfalls nicht am Rednerpult.

Da lautet das unausgesprochene Motto: jetzt erst recht. „Weiter so“ ist der Subtext von ausnahmslos allen Wortbeiträgen – trotz Wahlniederlagen in Bayern, Berlin und Bremen, und obwohl man im Stammland Hessen aus der Regierung geflogen ist. Selbstkritik ist nicht zu hören, Schuld sind die anderen.

Hier tut sich Ricarda Lang mit besonders steilen Thesen hervor. Sie hat ja schon die Union kritisiert, weil die angeblich zu viel Opposition gegen die Ampel macht – was ein durchaus etwas eigenartiger Vorwurf von einer Regierungs- an eine Oppositionspartei ist. Nouripour schlägt in dieselbe verstörende Kerbe, als er sich darüber beschwert, die CDU wolle den Erfolg der Ampel nicht.

Für die grünen Funktionsträger ist hörbar CDU-Chef Friedrich Merz der wichtigste Gegner, für die einfachen Delegierten ist es wohl eher der Koalitionspartner FDP. Auf der Suche nach einem gemeinsamen Hauptfeind, gegen den sich die Partei zusammenschließen könnte, kann sich der Saal dann schließlich einigen: Das Allerschlimmste ist die Schuldenbremse.

Die taugt offenbar als eine Art Generalschuldiger für alles. Wegen der Schuldenbremse hatte das Bundesverfassungsgericht ja geplante Milliardenausgaben der Ampel für grüne Lieblingsprojekte, insbesondere beim Klimaschutz, gestoppt.

„Mit der Schuldenbremse, wie sie ist, haben wir uns freiwillig die Hände hinter dem Rücken gefesselt“, wettert Wirtschaftsminister Robert Habeck. Nötig sei „ein zeitgemäßes Update“. Bei näherem Hinsehen wird klar, dass damit im Kern gemeint ist, die Schuldenbremse komplett zu kippen. „Kaputtsparen geht nicht“ sekundiert Nouripour. Am deutlichsten wird Lang: Sie sagt ganz offen, dass die Schuldenbremse nicht nur 2023, sondern auch 2024 und 2025 ausgesetzt werden müsse.

„Einen neuen Generationenvertrag“ fordert sie, „wo die Älteren in das investieren, was die Freiheit und Sicherheit der Jüngeren schützt“. Dass die Freiheit der Jüngeren besonders von denen gefährdet wird, die heute mehr Schulden machen, als spätere Generationen jemals zurückzahlen können – das ist die grundlegende kognitive Dissonanz dieses Parteitags.

Dass es die Grünen selbst sind, die mit ihrer Was-kostet-die-Welt-Mentalität Deutschland in die mutmaßlich schwerste Staatskrise nach dem Zweiten Weltkrieg gestürzt haben, blenden alle Anwesenden in Karlsruhe konsequent aus. „Ich habe oft gelesen, die Grünen müssen in der Realität ankommen. Ich kann es nicht mehr hören“, ruft Habeck unter dem tosenden Jubel der Delegierten. Dabei bleibt unklar, ob das applaudierende Parteivolk wirklich meint, die Realitäten zu akzeptieren – oder ob es mit der Wirklichkeit halt tatsächlich nichts zu tun haben will.

Habeck ist es auch, der den großen Elefanten im Raum zumindest streift: „Die Realitätsverweigerung der GroKo hat Deutschland in diese Lage gebracht. (…) Jetzt soll ausgerechnet die GroKo der neue Kassenschlager sein?“, ruft er sichtlich wütend. Indirekt spricht er damit aus, was tatsächlich viele umtreibt und hinter vorgehaltener Hand auch besprochen wird: die Angst davor, dass SPD-Bundeskanzler Scholz genug von der FDP und von den Grünen hat, die Ampel beendet und sich mit Friedrich Merz zu einer Neuauflage der Großen Koalition zusammentut.

Die Parteiführung ist deshalb auch sichtlich darum bemüht, die Grünen als absolut regierungsfähig zu präsentieren. Die absehbar wilde Debatte um einen bei allen Flügeln höchst umstrittenen Leitantrag des Bundesvorstands zur Migration wurde auf den späten Samstag gelegt – parallel zum bei den Delegierten traditionell beliebten „Bunten Abend“.

Alles, was bei normalen Menschen ungläubiges Kopfschütteln hervorruft, kann aber auch die Parteitagsregie nicht verhindern.

Im Wahlprogramm zur Europawahl ist ein Kapitel mit dem Titel überschrieben: „Was Wohlstand schützt“. Zahlreiche Delegierte haben damit ein Problem. Mehrere Änderungsanträge fordern, das Wort „Wohlstand“ zu streichen. Es sei „altmodisch“, stamme aus den 1960er-Jahren und solle durch „Lebensqualität“ ersetzt werden. Ein Kreisverband merkt an, der Fokus auf materielle Sicherheit sei „kontraproduktiv“. Wohlstand stehe für „Verschwendung und Ineffizienz“.

Das offizielle Motto dieser Delegiertenkonferenz ist: „Machen, was zählt“. Keine Pointe.

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