Mit ihren Plänen eines Sonderstrafrechts, das Angriffe auf Politiker anders bewerten soll als auf Normalbürger, stoßen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) auf erheblichen Widerstand selbst bei Rechtspolitikern der Ampel-Koalition. In der Auseinandersetzung entsteht der Eindruck, es ginge jetzt erstmals darum, ein spezielles Strafrecht zu schaffen, das zwischen Amtsträgern und einfachen Bürgern unterscheidet. Das existiert in Deutschland allerdings schon – in Gestalt von Paragraf 188 des Strafgesetzbuchs. Er wurde erst 2021 eingefügt – auf Betreiben der damaligen SPD-Justizministerin Christine Lambrecht im Zuge des einseitig politisch motivierten „Gesetzespaket gegen Hass und Hetze“. Er sanktioniert Beleidigungen gegen „eine im politischen Leben des Volkes stehende Person“, wenn die Formulierung geeignet ist, „ihr öffentliches Wirken erheblich zu erschweren“.
(2) Unter den gleichen Voraussetzungen wird eine üble Nachrede mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren und eine Verleumdung mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“
Die Strafnorm erfüllt alle Merkmale eines sogenannten Gummiparagrafen, also eines Rechts, das sich sehr weit dehnen lässt. Denn es definiert nicht, worin eine „erhebliche Erschwerung“ des politischen Wirkens bestehen soll. Objektiv ist es kaum denkbar, dass eine Beleidigung die Arbeit eines Politikers erschwert oder gar unmöglich macht. Es geht also eher – wie auch die folgenden Beispiele zeigen – um das subjektive Empfinden von Anzeigenerstattern und Ermittlern.
Der Journalist Rainer Meyer, besser bekannt unter dem Namen Don Alphonso, kassierte auf Grundlage des Politikerschutz-Paragrafen sogar eine Verurteilung vor dem gleichen Amtsrichter in Miesbach. Meyer hatte auf X, vormals Twitter, den launigen Satz veröffentlicht, es gebe Wirtschaftsminister, die, sinngemäß, in einer Gruppe von alkoholverzehrenden Dauergästen auf Bahnhofsvorplätzen nicht negativ auffallen würden. Obwohl namentlich gar nicht erwähnt, fühlte sich der Vizekanzler offenbar angesprochen, und stellte einen Strafantrag. Schließlich sprach das Landgericht München Meyer in zweiter Instanz frei. Das klingt zunächst beruhigend.
Der Punkt besteht allerdings darin, dass der Gummiparagraf eine Strafverfolgung überhaupt erst ermöglicht, die kaum stattfinden würde, wenn es sich bei der Zielperson eines Spotts um einen Normalbürger handelt. Üblicherweise verweist die Staatsanwaltschaft dann, wenn jemand eine Frau Mustermann übergewichtig nennt, oder meint, unter Vertretern einer bestimmten Berufsgruppe gäbe es auch unrasierte und schlechtgekleidete Exemplare, auf den Privatklageweg.
Einige Juristen im Staatsdienst scheinen das Problematische an dem Politiker-Sonderrecht mittlerweile erkannt zu haben. So stellte die Staatsanwaltschaft Hamburg Anfang 2024 das Verfahren gegen einen Mann ein, der auf X zu Habeck geschrieben hatte: „Werft den Vollidioten endlich raus“ – offenbar ebenfalls in Bezug auf dessen Insolvenz-Äußerung. Die Behörde beendete die Ermittlungen wegen des Vorwurfs übler Nachrede und Beleidigung wegen Geringfügigkeit (Az: 1K/0700332/2022). „Vollidiot“ sei zwar grundsätzlich ehrverletzend, so die Begründung, in diesem konkreten Fall überschreite die Formulierung aber noch nicht die Strafbarkeitsgrenze.
Wenn es eine notwendige Gesetzesänderung gibt, dann die Abschaffung des Paragraf 188, der modernen Variante des Majestätsbeleidigungsparagrafen. Politiker können gegen vermeintliche Beleidigungen klagen wie alle anderen – aber am besten privat und auf eigene Kosten.