Tichys Einblick
Paragraf 188

Wann Habeck die Bezeichnung „Vollidiot“ hinnehmen muss

Es gibt schon ein Sonderstrafrecht, das Politiker gegenüber Normalbürgern privilegiert – den Paragraf 188. Er passt nicht in eine aufgeklärte Demokratie

IMAGO

Mit ihren Plänen eines Sonderstrafrechts, das Angriffe auf Politiker anders bewerten soll als auf Normalbürger, stoßen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) auf erheblichen Widerstand selbst bei Rechtspolitikern der Ampel-Koalition. In der Auseinandersetzung entsteht der Eindruck, es ginge jetzt erstmals darum, ein spezielles Strafrecht zu schaffen, das zwischen Amtsträgern und einfachen Bürgern unterscheidet. Das existiert in Deutschland allerdings schon – in Gestalt von Paragraf 188 des Strafgesetzbuchs. Er wurde erst 2021 eingefügt – auf Betreiben der damaligen SPD-Justizministerin Christine Lambrecht im Zuge des einseitig politisch motivierten „Gesetzespaket gegen Hass und Hetze“. Er sanktioniert Beleidigungen gegen „eine im politischen Leben des Volkes stehende Person“, wenn die Formulierung geeignet ist, „ihr öffentliches Wirken erheblich zu erschweren“.

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Im genauen Wortlaut heißt es: „Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts eine Beleidigung aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Das politische Leben des Volkes reicht bis hin zur kommunalen Ebene.
(2) Unter den gleichen Voraussetzungen wird eine üble Nachrede mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren und eine Verleumdung mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

Die Strafnorm erfüllt alle Merkmale eines sogenannten Gummiparagrafen, also eines Rechts, das sich sehr weit dehnen lässt. Denn es definiert nicht, worin eine „erhebliche Erschwerung“ des politischen Wirkens bestehen soll. Objektiv ist es kaum denkbar, dass eine Beleidigung die Arbeit eines Politikers erschwert oder gar unmöglich macht. Es geht also eher – wie auch die folgenden Beispiele zeigen – um das subjektive Empfinden von Anzeigenerstattern und Ermittlern.

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Die Wirkung des Gesetzes bekam vor einiger Zeit der Blogger Hadmut Danisch zu spüren – einer der Publizisten, die 2021 während des Bundestagswahlkampfs die Irreführungen und Falschbehauptungen im Lebenslauf von Annalena Baerbock aufdeckten. Danisch äußerte sich in seinem Blog 2023 nicht schmeichelhaft, aber faktisch zutreffend über die Körperform der grünen Parteivorsitzenden Ricarda Lang. Die Staatsanwaltschaft Berlin strengte darauf ein Beleidigungsverfahren gegen ihn an, ein Kriminalbeamter startete eine Abfrage bei der Deutschen Bank, wo Danisch seine Konten unterhielt. Darauf kündigte die Bank ihm die Geschäftsbeziehung. Das Verfahren endete mit einer Einstellung. Sein Konto bekam der Blogger trotzdem nicht zurück. Auf den Paragraf 188 berief sich auch die Staatsanwaltschaft im oberbayerischen Kreis Miesbach, die dem Unternehmer Michael Much einen Strafbefehl zuschickte, weil der auf seinem eigenen Grundstück in Gmund zwei Plakate aufgestellt hatte, die grüne Spitzenpolitiker verspotteten. Eins zeigte Robert Habeck mit dem Schriftzug: „Kann er überhaupt bis drei zählen?“ in Anspielung auf die Aussage des Wirtschaftsministers, Unternehmen, denen Einnahmen wegbrechen, seien nicht insolvent, „sie hören nur auf zu produzieren“. Das andere zeigte mehrere Vertreter der Partei, darunter Ricarda Lang als Dampfwalze, dazu den Satz: „Sie machen alles platt“. Polizeibeamte drangen auf das Grundstück des Taxi-Unternehmers ein und entfernten die Plakate, die Anklagebehörde hielt eine Geldstrafe von 6000 für angemessen. Ihre Begründung lautete, die Plakate seien geeignet gewesen, „das öffentliche Wirken der Politiker – gerade während des Wahlkampfes – zu erschweren“. Worin die Erschwernis konkret bestanden haben sollte, begründete sie nicht. Es mutet vor allem paradox an, dass die beiden Spott-Transparente überhaupt erst durch die Justizaktion eine große Aufmerksamkeit erhielten. Bis dahin waren sie nur von wenigen Leuten in der kleinen Ortschaft Gmund wahrgenommen worden. Im März 2024 landete der Fall schließlich vor dem Amtsgericht Miesbach, da Unternehmer Much sich weigerte zu zahlen. Der Richter sprach ihn frei – obwohl Außenministerin Annalena Baerbock sich die Mühe gemacht hatte, einen Strafantrag zu stellen.

Der Journalist Rainer Meyer, besser bekannt unter dem Namen Don Alphonso, kassierte auf Grundlage des Politikerschutz-Paragrafen sogar eine Verurteilung vor dem gleichen Amtsrichter in Miesbach. Meyer hatte auf X, vormals Twitter, den launigen Satz veröffentlicht, es gebe Wirtschaftsminister, die, sinngemäß, in einer Gruppe von alkoholverzehrenden Dauergästen auf Bahnhofsvorplätzen nicht negativ auffallen würden. Obwohl namentlich gar nicht erwähnt, fühlte sich der Vizekanzler offenbar angesprochen, und stellte einen Strafantrag. Schließlich sprach das Landgericht München Meyer in zweiter Instanz frei. Das klingt zunächst beruhigend.

Der Punkt besteht allerdings darin, dass der Gummiparagraf eine Strafverfolgung überhaupt erst ermöglicht, die kaum stattfinden würde, wenn es sich bei der Zielperson eines Spotts um einen Normalbürger handelt. Üblicherweise verweist die Staatsanwaltschaft dann, wenn jemand eine Frau Mustermann übergewichtig nennt, oder meint, unter Vertretern einer bestimmten Berufsgruppe gäbe es auch unrasierte und schlechtgekleidete Exemplare, auf den Privatklageweg.

Einige Juristen im Staatsdienst scheinen das Problematische an dem Politiker-Sonderrecht mittlerweile erkannt zu haben. So stellte die Staatsanwaltschaft Hamburg Anfang 2024 das Verfahren gegen einen Mann ein, der auf X zu Habeck geschrieben hatte: „Werft den Vollidioten endlich raus“ – offenbar ebenfalls in Bezug auf dessen Insolvenz-Äußerung. Die Behörde beendete die Ermittlungen wegen des Vorwurfs übler Nachrede und Beleidigung wegen Geringfügigkeit (Az: 1K/0700332/2022). „Vollidiot“ sei zwar grundsätzlich ehrverletzend, so die Begründung, in diesem konkreten Fall überschreite die Formulierung aber noch nicht die Strafbarkeitsgrenze.

Wenn es eine notwendige Gesetzesänderung gibt, dann die Abschaffung des Paragraf 188, der modernen Variante des Majestätsbeleidigungsparagrafen. Politiker können gegen vermeintliche Beleidigungen klagen wie alle anderen – aber am besten privat und auf eigene Kosten.

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