Manche Affären ziehen sich über lange Zeit hin. Wer sie verfolgen will, braucht einen langen Atem. Der Panorama-Komplex, der auch den Namen Panorama-Bundeswehr-Skandal verdient, begann am 23. Juli 2020. Im Februar 2022 fand er einen vorläufigen Abschluss. Allerdings noch kein Ende. Denn obwohl sich die Anschuldigung des ARD-Magazins gegen einen Bundeswehroffizier als manipulativ zusammengestoppelt und haltlos erwiesen hat, weigern sich die Verantwortlichen bis heute, ihre Verstöße gegen journalistische Grundregeln einzugestehen. Der Fall wirft auch eine grundsätzliche Frage auf: die nach der Nähe zwischen Mitarbeitern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und dem organisierten Linksradikalismus.
Am 23. Juli 2020 sendete das NDR-Magazin „Panorama“ einen Beitrag, der dem in der Social-Media-Abteilung der Bundeswehr beschäftigten Offizier Marcel Bohnert Sympathien für die identitäre Bewegung vorwarf. „Bundeswehr: Social-Media-Leiter sympathisiert mit Rechtsradikalen“, hieß damals die Anklage auf der Panorama-Webseite. Nicht mit „soll“ oder „möglicherweise“ abgepuffert, sondern als Tatsachenbehauptung.
Die Behauptung, um das gleich vorwegzuschicken, traf nie zu. In dieser Affäre eines ARD-Senders geht es allerdings nicht um einen Recherchefehler. Sondern um eine systematische Manipulation der Öffentlichkeit durch einen Sender, die bis heute andauert.
Oberstleutnant Bohnert gehört als leitender Mitarbeiter des Social-Media-Teams zu den Vertretern der Bundeswehr, die die Truppe nach außen vertreten, sowohl in den sozialen Medien als auch mit Vorträgen auf Veranstaltungen. Außerdem verfasste er mehrere Bücher, unter anderem über seine Erfahrungen im Auslandseinsatz. Die beiden für den Beitrag verantwortlichen Journalistinnen Katrin Kampling und Caroline Walter führten Bohnert deshalb auch als Beispiel für ein generelles Rechtsextremismusproblem der Bundeswehr vor. „Er ist nicht irgendein Oberstleutnant“, hieß es in der Sendung, „er ist ausgerechnet zuständig für Social Media bei der Bundeswehr, angesiedelt direkt im Ministerium.“
Obwohl der identitären Bewegung bisher keine Gewalttaten zugeordnet werden, rechnet sie beispielsweise der Verfassungsschutz zum äußersten Rand des Rechtsextremismus. Kontakte dorthin würden für einen Offizier also das Karriereende bedeuten.
Den dritten Like, der ihm vorgehalten wurde, setzte er unter einen Post des Antaios-Verlags, der zum einen selbst Bücher herausgibt, die sich im deutlich rechten Spektrum bewegen, der aber auch gleichzeitig als Buchvertrieb für Literatur aus vielen großen Verlagen auftritt. Wie schon erwähnt: In keinem einzigen Fall reagierte Bohnert also auf etwas Gesetzwidriges oder offensichtlich politisch Radikales. Mit dem Soldaten, von dem zwei der drei Postings stammten, hatte er sich einmal getroffen – beide tauschten sich über ihre Zeit in Afghanistan aus.
Der Panorama-Redaktion musste klar gewesen sein, dass sich selbst unter den sehr großzügigen Verdachtschöpfungsbedingungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus den drei harmlosen Likes eines Bundeswehroffiziers allein nicht viel machen ließ. Zumal sie unschwer feststellen konnten, dass Bohnert auch alles mögliche andere mit einem Like-Symbol versah, beispielsweise auch Postings von Fridays for Future.
In Fällen wie diesem behelfen sich haltungsstarke Sender gern mit einem Experten, der nach der Regel verfährt: Gerade kleinste Indizien und schwache Fakten brauchen wenigstens einen opulenten Rahmen, um vor dem Publikum zu wirken. Für diesen Beitrag besorgte die im Film als Expertin für die Identitären vorgesellte Österreicherin Natascha Strobl diese Einrahmung, neudeutsch auch Framing. Strobl erledigte die ihr zugewiesene Rolle bravourös. „Gerade der Leiter der Social-Media-Abteilung der Bundeswehr“, sprach sie in die Kamera, „darf natürlich überhaupt keinen Kontakt haben zu den Identitären. Das ist absolut ein Skandal für die Bundeswehr.“
Aus zwei Instagram-Likes und einer privaten Begegnung mit einem Afghanistan-Veteranen zauberte Strobl also einen „Kontakt zu Identitären“, so, als hätte Bohnert an Veranstaltungen dieser Bewegung teilgenommen oder sich mit ihren Mitgliedern zumindest über deren politische Forderungen ausgetauscht. Und daraus wiederum modellierte sie im zweiten Schritt einen Skandal für die gesamte Armee.
Im Februar 2022 bekundete Strobl ebenfalls auf Twitter ihre Zuneigung zu Straßenblockaden im Zuge des Klimakampfs, und stellte Überlegungen an, wie die mit der Antifa zusammenzubringen wären.
Ihrer Zurechnung zum linksradikalen Lager würde Strobl vermutlich noch nicht einmal selbst widersprechen. Schon 2019 twitterte sie folgende Analyse:
„‘Linksextremismus‘ ist ein loses Sammelsurium aus den abenteuerlichsten Gruppen. Von maoistischen Gruppen über die PKK bis hin zu Umweltschutz und AntiFa. Alles was vage in die Richtung ‘bessere Welt‘ geht, steht im Verdacht des ‘Linksextremismus’.“
Da steckt wirklich alles drin, bis zu den Anführungszeichen bei Linksextremismus, denn zu den Verabredungen in diesem Milieu gehört es, dessen Existenz entweder nach außen zu leugnen, als rechten Verdacht zu ironisieren, oder diesen Teil des politischen Spektrums einfach mit einem freundlicheren Etikett zu versehen. Beispielsweise: Bewegung für eine bessere Welt.
Ihre Auftritte bei der Antifa in Heidelberg und Kiel, ihr Engagement bei Marx 21 – das alles lag vor ihrem Auftritt als Zeugin der Anklage bei Panorama, genauso wie ihre Positionsbestimmung zum Linksradikalismus. Und auch alle ihre späteren Äußerungen ließen sich mühelos nachverfolgen. Über den politischen Hintergrund Strobls erfuhren die Panorama-Zuschauer in der Sendung allerdings kein Wort. Auch nicht bei allen weiteren Äußerungen des Senders zu der Affäre. Im Gegenteil. Bis heute streitet der Redaktionsleiter von Panorama kurzerhand ab, dass Strobl zum linksradikalen Spektrum gehört. Dazu gleich mehr.
In mehreren Twitter-Botschaften nannten NDR-Mitarbeiter damals, 2020, Marcel Bohnerts vollen Namen, obwohl die Regeln der Verdachtsberichterstattung es nahegelegt hätten, ihn nur abgekürzt in die Öffentlichkeit zu bringen. Schon vor der Ausstrahlung am 23. Juli waren die Vorwürfe gegen ihn in die Öffentlichkeit und auch zu seinen Vorgesetzten gedrungen. Unmittelbar nach der Sendung trat das übliche Twitter-Standgericht aus den üblichen Sing-Along-Medienschaffenden und Gutdenk-Politikern zusammen.
„Wem irgendein identitärer Schwachsinn besser gefällt als unser Grundgesetz, hat in der Bundeswehr nichts verloren“, twitterte der Grünenpolitiker Cem Özdemir über Bohnert. Bernd Riexinger, damals Vorsitzender der Linkspartei, fabulierte auf Twitter: „Der social-media-Leiter der #Bundeswehr sympathisiert mit #Nazis.“
In dieser Situation hätte die Bundeswehr-Führung, seinerzeit noch unter Annegret Kramp-Karrenbauer, den Oberstleutnant öffentlich in Schutz nehmen oder zumindest auf die Unschuldsvermutung hinweisen können. Stattdessen strengte die Wehrdisziplinaranwaltschaft ein Verfahren gegen Bohnert an. Die Verantwortlichen im Ministerium versetzten Bohnert von seinem Arbeitsplatz im Bendlerblock in eine Kaserne. Im Lager der Verdachtschöpfer galt das schon als halber Schuldspruch.
Um die Sache ganz zu Ende zu bringen, legte Panorama nach. Für einen neuen Beitrag über Bohnerts Kontaktschuld gruben die Redakteurinnen einen Vortrag des Offiziers in dem Studienzentrum Weikersheim und einen sehr lange zurückliegenden Auftritt bei der Burschenschaft Cimbria in München 2014 aus.
Und wieder gab Natascha Strobl die Einordnungsexpertin, selbstverständlich wieder ohne Einordnung ihrer Person.
„Dass Oberstleutnant Marcel Bohnert dort als Redner aufgetreten ist, ist für Natascha Strobl unverständlich“, so der Panorama-Kommentar, an den sich Strobls O-Ton anschloss: „Man kann nicht Vorträge halten, ohne sich darüber zu informieren, bei wem man sie hält.“ Bohnert hatte sich allerdings erkundigt. Er wusste – was auch den Panorama-Mitarbeitern höchstwahrscheinlich bekannt war – dass in Weikersheim auch schon Gerhard Schröder, Norbert Blüm, Wolfgang Schäuble, Joachim Gauck und Gesine Schwan zu Vorträgen oder Diskussionen aufgetreten waren. Die Burschenschaft Cimbria war 2014, als Bohnert dort sprach, noch nicht vom Verfassungsschutz unter Rechtsradikalismusverdacht gestellt worden.
In der Panorama-Sendung ging es interessanterweise auch nie um den Inhalt von Bohnerts Vorträgen. Dieser Punkt gewinnt jetzt noch einmal eine neue Bedeutung angesichts der Debatte um den Gastbeitrag, den Bundesinnenministerin Nancy Faeser kurz vor ihrem Amtsantritt für eine Publikation der vom Verfassungsschutz als linksradikal eingestuften Organisation VVN schrieb. Faesers Verteidiger in Politik und Medien wiederholen in Dauerschleife das Abwehrargument, es komme doch auf den Inhalt von Faesers Beitrag an, der nicht radikal gewesen sei – und nicht auf den Ort der Veröffentlichung. Bohnert hatte sowohl vor den Cimbria-Mitgliedern als auch in Weikersheim über seine Afghanistanerfahrungen und das Bild der Bundeswehr in der deutschen Öffentlichkeit gesprochen. Dass irgendetwas davon den Tatbestand der politischen Radikalität erfüllt hätte, behauptete selbst Panorama nicht. Den Haltungsredakteuren ging es, siehe oben, eben ausschließlich um die Vortragsorte. Aber selbst die ließen sich auch wieder nur mit größter agitatorischer Mühe in den Rahmen des Radikalen quetschen.
Während gegen den vorverurteilten Bohnert das Disziplinarverfahren lief, machte der Autor Don Alphonso in der Welt auf den politischen Hintergrund Strobls aufmerksam. In der Folge erhielt sie einige unfreundliche Mails und Twitter-Kommentare, was ihr wiederum die Gelegenheit gab, sich als das eigentliche Opfer der Affäre in Szene zu setzen.
Obwohl die Ermittler des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) schon beizeiten zu dem Schluss kamen, dass den Beschuldigungen gegen Bohnert jede Substanz fehlte, schleppte sich das Disziplinarverfahren gegen ihn insgesamt 16 Monate hin. Bei Kramp-Karrenbauer und ihrer Nachfolgerin herrschte offenbar die Parole, bloß nicht zu früh Entwarnung zu geben. Im Februar 2022 verkündete die Wehrdisziplinaranwaltschaft schließlich die Einstellung des Verfahrens, weil sich keine Hinweise auf einen Vorstoß gegen die Dienstpflichten ergeben hatten.
Damit begann dann der zweite Teil der Affäre – der taktische Rückzug von Panorama, wobei die Redaktion großen Wert darauf legte, die Operation nicht wie einen Rückzug aussehen zu lassen.
In einer langen verschwurbelten Mitteilung vermied das ARD-Magazin jeden Hinweis darauf, dass sich seine Behauptung, Bohnert sympathisierte mit Rechtradikalen, als falsch erwiesen hatte. Stattdessen formulierte Panorama seine Meldung über das Ende der Disziplinarermittlungen so kryptisch, dass sich ein normaler Leser ohne juristische Kenntnisse kaum etwas darunter vorstellen konnte.
„Ein rund 17 Monate laufendes Disziplinarverfahren gegen Oberstleutnant Marcel Bohnert ist nun eingestellt worden“, heißt es dort. „Nach Panorama-Informationen hat die Bundeswehr das Verfahren mit einer so genannten ‚Absehensverfügung‘ abgeschlossen. Das Bundesverteidigungsministerium wollte zu konkreten Fragen zum Ausgang des Verfahrens keine Auskunft geben, da es sich um eine ‚Einzelpersonalangelegenheit‘ handele und man sich dazu ‚aus rechtlichen Gründen‘ nicht äußere.“
Gleich darunter wiederholte Panorama dann noch einmal die alten Behauptungen:
„Hintergrund der Ermittlungen waren Panorama-Recherchen über zweifelhafte Kontakte von Oberstleutnant Bohnert zu einem rechtsextremen ‚Identitären‘ auf Instagram, dessen Beiträge Bohnert mehrmals mit einem ‚Gefällt mir‘ versehen hatte. Darunter waren beispielsweise Slogans der ‚Identitären Bewegung‘, die als rechtsextrem eingestuft ist.“
Im gleichen Text brachte die Panorama-Redaktion noch den bewährten Kniff unter, etwas zurückzuweisen, was keiner unterstellt hatte: „Der Beitrag von Panorama hatte das Verhalten von Oberstleutnant Bohnert gegenüber Rechtsradikalen in den Sozialen Medien kritisiert. Es wurde nicht behauptet, dass Bohnert rechtsradikal sei.“
‘Mit Rechtsradikalen sympathisieren‘ und ‘rechtsradikal sein‘ – da besteht bekanntlich ein feiner Unterschied. Dieser Beitrag beispielsweise behauptet auch nicht, die Verantwortlichen für die Sendungen über Bohnert seien linksradikal. Aber sie sympathisierten ganz offensichtlich mit der fest im linksradikalen Milieu verankerten Natascha Strobl. Das – die ziemlich unverhohlene Sympathie – ergibt sich aus den Antworten von Panorama-Redaktionsleiter Volker Steinhoff besonders auf eine Frage von TE an den NDR zu der Affäre.
Zunächst wollte TE wissen: Warum formulierte Panorama selbst die Meldung über das Ende des Verfahrens gegen Bohnert so, dass dessen Ergebnis, nämlich ein Freispruch, so weit wie möglich verschleiert wurde?
„Die von Panorama recherchierten Tatsachen waren Auslöser eines internen Verfahrens des Disziplinarvorgesetzten gegen Marcel Bohner“, schreibt Steinhoff, und bei ihm schwingt das Bedauern unüberlesbar mit, dass die Bundeswehr offenbar nach anderen Kriterien urteilt als NDR-Mitarbeiter: „In der disziplinarrechtlichen Bewertung kam dieser offenbar zu dem Schluss, dass diese Tatsachen nicht zu disziplinarrechtlichen Konsequenzen führen sollen.“ Gleichzeitig beharrt er: „Die zugrunde liegenden Recherchen sind damit nicht in Frage gestellt. Dies als ‚Freispruch erster Klasse‘ zu bezeichnen, ist eine Bewertung. Wir haben uns an die Fakten gehalten.“
„Sympathisiert mit Rechtsradikalen“ war allerdings auch eine Bewertung, kein Faktum. Und außerdem eine unzutreffende Bewertung.
Steinhoffs Antwort auf die Frage, ob Panorama angesichts des deutlichen Disziplinarverfahrensergebnisses bei Bohnert um Entschuldigung gebeten habe, vor allem für die volle Nennung seines Namens, wirkt noch erstaunlicher.
„Bei dem Panorama-Beitrag vom 23.7.2020“, so der Panorama-Redaktionsleiter, „handelte es sich nicht um Verdachtsberichterstattung, sondern um recherchierte Fakten, die bis heute nicht bestritten sind.“
Bisher galt immer, jedenfalls im Pressekodex, dass auch eine Verdachtsberichterstattung Fakten enthalten sollte. Beim NDR sieht man Verdachtsberichterstattung und Fakten offenbar als zweierlei. Die so genannten Fakten – die drei Likes und seine Auftritte in Weikersheim und bei Cimbria – hatte Bohnert tatsächlich nie bestritten. Sie rechtfertigten eben nur nicht die Anbräunung des Offiziers.
„Aus juristischen Gründen“, meint Steinhoff, „spricht nichts gegen die Nennung des vollständigen Namens. Marcel Bohnert exponierte sich regelmäßig selbst öffentlich, auch in dieser Sache […] An der Recherche, die ausschließlich auf Tatsachen beruht, ist nichts zu korrigieren.“
Die eigentliche Brisanz liegt in den beiden Antworten, die dann folgen. „Hat sich die Redaktion von Panorama“, wollte TE wissen, „angesichts der Kritik, als Kronzeugin gegen Bohnert damals die einschlägig als linksradikal bekannte Aktivistin Natascha Strobl aufgeboten zu haben, grundsätzlich damit auseinandergesetzt, wen sie künftig als Experten in ihren Beiträgen auftauchen lassen will?“
Steinhoff antwortet: „Die Annahme in der Frage (‚einschlägig als linksradikal bekannte Aktivistin‘) halten wir für nicht zutreffend.“ Wenn jemand wie Strobl, die bei der Antifa auftritt, die Antifa lobt und Linksradikalismus unter Zuhilfenahme von ein paar rhetorischen Schleifen generell für eine weltverbessernde Bewegung hält, nicht als linksradikal gelten soll – wer dann? Die Antwort sagt ziemlich viel über das Selbstverständnis und die Selbstverortung der Panorama-Redaktion aus.
Die letzte Frage bezog sich auf die Standards, nach denen der NDR und Panorama arbeiten. Welche Regeln, möglicherweise auch als Konsequenz aus dieser Affäre, gibt es für Mitarbeiter des Senders, was deren Nähe zu radikalen Milieus angeht? Immerhin hatte die Panorama-Redakteurin Katrin Kampling nicht nur flüchtig etwas von Natascha Strobl geliked, sondern zu ihr Kontakt aufgenommen, sie vor die Kamera geholt und den Zuschauern den Hintergrund der Kronzeugin verschwiegen. Kurzum: Anders als Bohnert unterhielt sie tatsächlich Kontakt mit jemandem, der am politischen Rand operiert, an dem auch Gewalt als legitimes Mittel betrachtet wird.
Auf die Frage nach den Standards geht Steinhoff überhaupt nicht ein. Stattdessen schickt er eine Nicht-Antwort: „Recherchen zu Themenfeldern wie Extremismus gehören zur Arbeit von Journalistinnen und Journalisten.“ Das bezweifelt allerdings auch niemand. Indirekt soll das wohl heißen: Für Panorama-Mitarbeiter selbst gilt kein Abstandsgebot zum radikalen und extremistischen Spektrum.
Durch die Panorama-Affäre zeigt sich auch eine grundsätzliche Blickverzerrung: Während es in den vergangenen Jahren dutzende Meldungen über tatsächliche, sehr oft aber nur angebliche rechtsradikale Vorfälle bei Bundeswehr und Polizei gab, die sich zu einer Art Dauerverdacht verdichteten, existiert auf der anderen Seite keine einzige Untersuchung darüber, wie viele Linksradikale und Sympathisanten des Linksradikalismus es beispielsweise in öffentlich-rechtlichen Medien gibt, mit wem sie Kontakte unterhalten, und wie stark sie die Agenda ihrer Sender bestimmen.
Hier gibt es ausnahmsweise wirklich eine false balance: Auf der einen Seite eine Hermeneutik des Verdachts, sobald es um Uniformierte und das rechte Spektrum geht, auf der anderen eine routinierte Selbstentlastung von Medien, Wissenschaftsbetrieb und Politik beim Thema Linksradikalismus. Eine Bundesinnenministerin, die sich demonstrativ nicht von Linksaußen abgrenzt, markiert den vorläufigen Höhepunkt dieser Gesellschaftsverformung.
Wobei: Für eine entsprechende Untersuchung der Panorama-Redaktion beispielsweise wäre es ja noch nicht zu spät. Den Vorwurf der Gesinnungsschnüffelei wird dort ja hoffentlich niemand erheben.
Mit ihrem Beharren darauf, bei der zusammenmanipulierten Beschuldigung Bohnerts eigentlich nichts falsch gemacht zu haben, geht die Redaktion des ARD-Magazins sogar noch weiter als der Grünen-Politiker Cem Özdemir, der 2020 nach der Sendung schnell auf den Zug der Verurteilung aufsprang. Auf TE-Anfrage teilt das Abgeordnetenbüro des heutigen Bundeslandwirtschaftsministers mit: „Cem Özdemir hat in dieser Sache Ende Juli 2020 das persönliche Gespräch mit Marcel Bohnert gesucht und mit ihm daraufhin telefoniert.“ Auf Twitter zitierte Özdemir außerdem jemanden aus einer Vereinigung von Soldaten mit Migrationshintergrund: „Marcel Bohnert ist kein Nazi & Marcel ist ein Demokrat“. Das klingt zwar gönnerhaft, wenn er diese Feststellung eines anderen nur weiterreicht. Eine öffentliche Entschuldigung würde anders aussehen. Aber immerhin ringt sich Özdemir mehr ab als die Panorama-Redaktion am Ende ihrer gescheiterten Denunziationskampagne.
Was sagt eigentlich der Intendant des NDR dazu? Und wie sieht Marcel Bohnert den vorläufigen Abschluss des kafkaesken Verfahrens gegen ihn?
„Nach dem Abschluss der Vorermittlungen durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft“, so Bohnert auf Anfrage von TE, „hat sich niemand, weder vom NDR, noch von Panorama, an mich gewandt, um sich zu entschuldigen. Ich habe meinerseits auch keinen Kontakt zu Panorama aufgenommen, behalte mir aber rechtliche Schritte vor.“
Auf seiner Facebookseite schreibt er: „Ein paar Kleinkriege wird es trotz der eindeutigen Ermittlungsergebnisse noch geben – vielleicht nicht @panorama.stories selbst, aber deren Subalterne graben, framen und konstruieren sicher fleißig weiter.
In diesem Sinne – always be aware.”
Er weiß: für ihn ist die Affäre nicht wirklich zu Ende. Aus Sicht der NDR-Redakteure bleibt er ein Verdachtsfall, der ihnen nur aus Mangel an Beweisen entwischen konnte.