Tichys Einblick
WIE RASSISTISCH IST DIE POLIZEI?

Opferbefragungen für Polizei-Studien und ihre Tücken

Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum sieht Hinweise auf ungerechtfertigte polizeiliche Gewalt und Diskriminierung vor allem von Migranten und „People of Color“. Die Polizeigewerkschaft spricht von „Stimmungsmache“.

Wie erleben „People of Color“ (PoC) und Menschen mit Migrationshintergrund polizeiliche Gewalt und Fehlverhalten von Polizisten? Dies haben Forscher der Ruhr-Universität Bochum im Rahmen des Projekts KviAPol, kurz für „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“, analysiert. Der Fokus des Projekts liegt auf „Viktimisierungserfahrungen“ und den „außerstrafrechtlichen Folgen für die Betroffenen“. Gleichzeitig wird das Themenfeld Diskriminierung/Rassismus behandelt. Der Zweite Zwischenbericht des Rechtswissenschaftlers Tobias Singelnstein und seines Teams wurde am 11. November veröffentlicht. Das Projekt wird von der DFG finanziert. Es beruht auf einer – nicht-repräsentativen – Online-Befragung von gut 3.370 Betroffenen, „die polizeiliche Gewalt erlebt haben, die sie als rechtswidrig bewerteten“. Die Daten wurden Ende 2018/Anfang 2019 erhoben. [Der Fragebogen ist hier einsehbar, der Erste Zwischenbericht hier.]

Die Studienteilnehmer waren überwiegend männlich (72 %), zum Zeitpunkt des Vorfalls im Schnitt 26 Jahre alt und formal höher gebildet (71 % mit Fach-oder Hochschulreife), weichen also in der Zusammensetzung stark vom Bevölkerungsdurchschnitt ab. Je 43 Prozent war hauptberuflich erwerbstätig bzw. Schüler/Student, der Rest nicht berufstätig. Darüber hinaus haben 232 Befragte angegeben, von anderen Personen normalerweise als „nicht deutsch“ aussehend wahrgenommen zu werden.

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Die Studie trifft Aussagen darüber, inwiefern Unterschiede zwischen den einschlägigen Erfahrungen mit der Polizei bei Bürgern mit Migrationshintergrund und Persons of Color im Vergleich zu Bürgern ohne Migrationshintergrund bzw. sogenannten „weißen“ Personen bestehen. Des Weiteren zogen die Autoren als Basis einer qualitativen Inhaltsanalyse 17 Interviews mit Fachleuten heran: Davon entstammten 9 der „Zivilgesellschaft“ (u.a. Opferberatungsstellen), 8 dem Umkreis der Polizei.

Das Forscherteam kommt zu dem Ergebnis, dass PoC und Personen mit Migrationshintergrund „in anderer Weise von als rechtswidrig bewerteter polizeilicher Gewalt betroffen (waren) und diese anders wahr(nahmen) als weiße Personen oder Personen ohne Migrationshintergrund“. Vor allem die Teilgruppe der PoC geriet eigenen Angaben zufolge relativ oft in Personenkontrollen und fühlte sich diskriminiert. Personen mit Migrationshintergrund und PoC berichteten im Durchschnitt von stärkeren psychischen Folgen der polizeilichen Gewaltanwendung als Personen ohne Migrationshintergrund. Aus den Interviews geht in Zusammenschau mit dem in der Studie aufgearbeiteten Forschungsstand zudem hervor, „dass derartige Situationen und Unterschiede aus polizeilicher Sicht … häufig nicht als rassistische oder als diskriminierende Ungleichbehandlung wahrgenommen werden. Dies führt zu einer Diskrepanz in der Wahrnehmung und Bewertung von einschlägigen Geschehensabläufen durch Betroffene einerseits und Polizeibeamt*innen andererseits.“

Die Befunde, so Kriminologe Singelnstein, verweisen darauf, dass die Benachteiligung von PoC und Personen mit Migrationshintergrund nicht vorrangig ein individuelles Problem einzelner Beamt*innen darstelle, sondern es sich „ebenso um ein strukturelles Problem polizeilicher Praxis“ handele. Darüber hinaus gebe es Anhaltspunkte für „bewusste rassistische Einstellungen und intendiert-rassistisches Handeln von Polizeibeamt*innen“. Rassismus sei ohnehin, meint Singelnstein, „ein gesamtgesellschaftliches und alltägliches Phänomen“.

Projekt mit grundsätzlicher politischer Bedeutung

Die Deutsche Polizeigewerkschaft lehnt die Studie als „Stimmungsmache“ ab. Der Bundesvorsitzende Rainer Wendt erklärte, wissenschaftlich haltbar seien die vorgelegten Aussagen nicht, „aber sie sind geeignet, die Arbeit der Einsatzkräfte weiter als ‚rassistisch‘ zu diffamieren.“

Dem Projekt kommt insofern allgemeine Bedeutung zu, als im politischen Raum bekanntlich seit Monaten erbittert darum gestritten wird, ob es spezifische Bundes- und auch Länderstudien über den „Rassismus“ von Sicherheitsorganen geben soll. Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte im Oktober nach einigen Hin und Her mitgeteilt, die Bundesregierung plane eine Studie „zur Untersuchung des Polizeialltags … Dazu gehören auch Gewalt und Hass gegen Polizeibeamte.“

Keine Repräsentativität

Was als Arbeitsauftrag griffig klingt – das (Fehl-)Verhalten von Ordnungshütern in seinen alltäglichen Dimensionen zu erfassen –, hat in praxi seine Tücken. Das zeigt beispielhaft die Bochumer Polizei-Untersuchung, der weitere Studien folgen werden. Sie präsentiert neben Umfrage-Zahlen auch theoretische Überlegungen dazu, welche Faktoren das Handeln von Polizisten beeinflussen können.

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Die Forscher selbst weisen darauf hin, mangels bevölkerungsrepräsentativer Stichprobe könne die vorliegende Auswertung keine Aussage darüber treffen, ob Personen mit Migrationshintergrund generell häufiger von rechtswidriger polizeilicher Gewaltanwendung betroffen sind als Personen ohne Migrationshintergrund bzw. sogenannte weiße Personen. Auch seien Aussagen zu Diskriminierungserfahrungen im Rahmen anderer Polizeikontakte, bei denen es nicht zu Gewalt kam, nicht möglich. Grundsätzlich gelte: Wie groß das Rassismus-Problem in der deutschen Polizei ist, „kann anhand der vorliegenden Daten nicht beurteilt werden.“

Ein weiterer Schönheitsfehler der explorativen Erhebung besteht darin, dass die von den Befragten als schlimm empfundenen aufgeführten „Referenzereignisse“ aus einem längeren Zeitraum stammen. Zwei Drittel ereigneten sich in den Jahren 2014 bis 2018, ein weiteres Fünftel datiert zwischen 2009 und 2013, einige Vorfälle liegen noch länger zurück. (Erster Zwischenbericht, S. 23f.).

Die Befragten wurden „im Schneeballverfahren über Gatekeeper*innen [u.a. Vertreter von Minderheiten und des „politischen Aktivismus“] sowie durch Öffentlichkeitsarbeit rekrutiert“. Bedingt durch die Erhebungsstrategie seien Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit in der Stichprobe (mit 3 %) unterrepräsentiert. Auch fiele die Stichprobe der PoC klein aus.

Gruppen-Bezeichnungen auf Grundlage von politischen Rassismus-Konzepten

Auffällig ist, dass die Wissenschaftler Gruppen-Bezeichnungen integrieren, die auf einschlägigen politischen Rassismus-Konzepten, so dem Critical-Whiteness-Konzept, (siehe hier und hier) basieren, das Weißsein als „Privileg“ sieht. Singelnstein arbeitet nicht nur mit den Kategorien des Statistischen Bundesamtes „Personen ohne“ und „ …mit Migrationshintergrund“ (= Person selbst oder mindestens ein Elternteil besitzt nicht die deutsche Staatsangehörigkeit). Er verwendet auch die eher verschwommenen Begriffe „PoC“ und „weiße“ Personen:

Die Stichprobe von rund 3.370 Personen setzt sich wie folgt zusammen: 16 Prozent der Teilnehmer werden als „mit Migrationshintergrund“ (543) definiert, 84 Prozent als „ohne“ (2.788). Überschneidungen mit beiden Gruppen haben die 5 Prozent „PoC“: 164 Befragte, ganz überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund. 3.100 Personen gelten als „weiß“ und im Wesentlichen deckungsgleich mit Nicht-Migranten.

Ausgewählte Befunde

Aus der Methode „Opferbefragung“ folgt, dass die Bekundungen der Beschwerdeführer als primärer Maßstab zur Abschätzung des Fehlverhaltens der Polizei dienen – anders als bei jedem dokumentierten Autounfall oder gerichtlichen Auseinandersetzungen, welche die Darstellung der Kläger mit derjenigen der Angeklagten, derjenigen möglicher Zeugen oder der (juristischen) Sichtweise Dritter abgleichen. Einige Befunde:

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Vertreter der Zivilgesellschaft vertraten in diesem Zusammenhang die Ansicht, dass migrantische und männliche Jugendliche „besonders ausgeliefert“ seien und Personen, die häufig Diskriminierungserfahrungen machen, „sehr sensibel, sehr genau spüren und merken, wann sie anders behandelt werden, als wenn sie weiß wären. Da geht es irgendwie um Mimik, da geht es um besondere Härte im Vorgehen, da geht es um nicht mit sich reden lassen und so weiter.“ Von den PoC wurden vor allem „explizite rassistische Beleidigungen, Racial Profiling und das „Gefühl“, die Polizei begegne ihnen mit Vorurteilen, angeführt. Die Studie spricht von der „Alltäglichkeit“ von Diskriminierungserfahrungen. Auch „nicht intendiert-rassistisches Handeln“ werde von den Betroffenen als rassistische Diskriminierung wahrgenommen.

Interessant sind die Erklärungsansätze für Einstellungen und (Fehl-)Verhalten von Polizisten.

Erklärungsansätze: Erfahrungswissen – verräumlichtes Handeln – Rassismus

Zum Erfahrungswissen des einzelnen Polizisten gehören demnach unter anderem Erfahrungen von Kollegen, Berichte über Erfahrungen Dritter sowie eigene Einstellungen. Relevant seien auch (ggf. unbewusste) stereotype und „kulturalisierende“ Vorurteile bezüglich bestimmter Gruppen, sei es aufgrund negativer (beruflicher) Erfahrungen, sei es aufgrund von Erzählungen Dritter oder diskriminierender Diskurse innerhalb der Gesellschaft. Daraus könne wiederum eine Polizeipraxis erwachsen, heißt es, die diese Personen oder Gruppen von vorneherein anders behandele.

Aus Perspektive der interviewten Polizeibeamten lassen sich das erhöhte Konfliktpotenzial und daraus resultierende Gewaltanwendungen gegenüber nicht-„weißen“ Personen unter anderem durch deren (z.B. als aggressiv erlebtes) Verhalten und Einstellungen gegenüber der Polizei erklären. „Das sind Menschen, die… auch, ja überreagieren oder wo auch Traumata zum Vorschein kommen und sie auch sagen: ‚Blaulicht, Obrigkeit, ich muss Widerstand leisten‘.“ Diese Vorannahme ist nach Meinung der Forscher allerdings nur eine von mehreren möglichen Deutungen. Es sei ebenso denkbar, „dass der Polizei des Landes, welches von der Person als Zufluchtsort gewählt wurde, mit Vertrauen begegnet wird“.

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Unter „verräumlichtem polizeilichen Handeln“ wird verstanden, dass die Polizei in bestimmten „Brennpunkten“ verstärkt aktiv wird, zum Beispiel Kontrollen durchführt. „Diese Kontrollen bergen ein besonderes Risiko für Racial Profiling, da die Personenauswahl bei der Kontrolle auf stereotypen Vorannahmen aufbauen kann“. Interviewpartner aus der Zivilgesellschaft verwiesen darauf, „dass diese Kontrollpraxis in übermäßigen polizeilichen Gewaltanwendungen münden könne, wenn zum Beispiel das Infragestellen von Maßnahmen, die als nicht gerechtfertigt oder rassistisch wahrgenommen werden, zu einer Eskalation der Situation führe“.

Daneben haben Tobias Singelnstein und sein Team auch „Hinweise auf explizite rassistische Einstellungen von Polizeibeamt*innen“ gefunden. So habe ein Interviewpartner Verhalten von Kollegen kritisiert („ ‚Heute gehen wir mal [N-Wort] klatschen‘, heißt es dann von Kollegen. Die gehen dann gezielt auf die Suche – oder ‚heute gehen wir Türken jagen‘. Und dann gehen die gezielt auf die Suche. … werden Situationen dann aufgebauscht, Handeln provoziert.“). Auch einzelne PoC und „weiße“ Personen meldeten Beleidigungen und Einschüchterungen durch Polizeibeamte. Die Studie hat in diesem Kontext auch die körperlichen und psychischen Auswirkungen des berichteten Verhaltens der Polizei abgefragt. Allein das Gefühl einer Ungleichbehandlung könne psychosoziale Folgen nach sich ziehen.

Nicht einmal jeder 10. Betroffene erstattete laut Studie Anzeige. Dies sei unter anderem begründet in der Überzeugung, dass eine Anzeige nichts bringe, die Einsatzkräfte nicht identifizierbar seien, eine Anzeigenaufnahme verweigert wurde oder den Beschwerdeführern von einer Anzeige abgeraten worden sei. – Dies bedeutet aber auch, dass eine unabhängige juristische Aufarbeitung der Konflikte selten erfolgt.

Im Ersten Zwischenbericht geht die Bochumer Forschergruppe ausgiebiger auf den Aspekt „Strafverfahren und justizielle Bearbeitung“ ein. In mindestens 80 Prozent der Fälle wurde nach Wissen der Befragten kein Strafverfahren eingeleitet. Das Gros der Fälle bleibe „im Dunkelfeld“. Die Staatsanwaltschaften erledigten „im Hellfeld“ jährlich mehr als 2.000 Strafverfahren gegen mehr als 4.000 Polizisten wegen rechtswidriger Gewaltausübung. Es gebe mutmaßlich aber mindestens fünfmal so viele Straftaten, wie bekannt würden. Die allermeisten Verfahren gegen Polizeibedienstete wegen Gewaltausübung und Aussetzung würden (u.a. mangels hinreichenden Tatverdachts) eingestellt. Die Erklärungen hierfür „reichen von einem hohen Anteil unberechtigter Anzeigen bis hin zur massenhaften rechtswidrigen Privilegierung von Amtsträger*innen“.

Sicht der Opfer-Vertretungen

Nach Angaben der zivilgesellschaftlichen Interviewpartner fokussieren sich Beratungsstellen und Betroffenenvertretungen auf die konkrete Unterstützung der Betroffenen und eine „Sensibilisierung der „(‚weißen‘) Mehrheitsgesellschaft“. Bemängelt wird hier eine unzureichende Fehlerkultur der Polizei. Es existierten „rassistische Deutungsmuster in den Köpfen, die unbewusst auch immer wieder hervorgebracht werden und irgendwie reproduziert werden, dementsprechend auch wirken.“ Es gebe in diesem Feld „einen umfassenden Reform- bzw. Transformationsbedarf“.

Offene Fragen

Es ist plausibel, dass Polizisten im Dienst, zumal in chaotischen, brenzligen Situationen falsch/zu aggressiv reagieren können bzw. es auch „rassistische Polizisten“ gibt, so wie wohl in jeder Berufsgruppe schwarze Schafe zu finden sind. Die offene Frage ist nur, inwieweit selektive Befunde grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Institution Polizei rechtfertigen. Hierbei ist am Rande im Auge zu behalten, dass nicht alle Polizisten „bio-deutsch“ sind: Ein Teil des Polizeipersonals von Bund und Ländern – laut Statistischem Bundesamt 2019 auf 322.500 Stellen verteilt (Vollzeitäquivalente) – stammt aus Einwandererfamilien.

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Opferbefragungen können in der Regel nicht mit einbeziehen, wie die Opfer in den entscheidenden Konfliktsituationen agiert und reagiert haben. Die Opferbefragung lässt offen, wie die kritisierten Polizisten oder weitere Beobachter Vorfälle zum Zeitpunkt des Geschehens beurteilen würden. Dabei beziehen die angesprochenen Vorfälle ja sehr unterschiedliche Situationen ein, angefangen von der Polizeipräsenz bei Großdemonstrationen und politischen Aktionen – die, wie gesagt, mehr als die Hälfte aller Vorgänge ausmachen –, bei Fußballspielen, Kontrollen einzelner Personen an verschiedenen Plätzen bis hin zu Vorfällen im Polizeigewahrsam und bei, gewöhnlich schwierigen, Abschiebungen. Für den Außenstehenden erschließt sich nicht immer, wie er sich eine „gefühlte“ „Diskriminierung“ so ganz konkret vorzustellen hat. Die zur Debatte stehenden Vorwürfe decken ein breites Spektrum ab, das von ausgeübter Gewalt bis zum vom Gegenüber empfundenen Unwillen, „mit sich reden zu lassen“, reicht. Der Erste Zwischenbericht zur Studie (Seite 51ff.) zeichnet in diesem Zusammenhang allerdings (bedingt durch die Auswahl der Fälle) ein erschreckendes Bild:

Danach gaben 7 von 10 Befragten an, durch den berichteten Gewalteinsatz körperliche Verletzungen davongetragen zu haben. Jeweils über 60 Prozent gaben an, geschubst oder geschlagen worden zu sein, jeder Zweite kritisierte, zu hart angefasst worden zu sein, 4 von 10, mit Reizgas/Pfefferspray besprüht worden zu sein, 37 Prozent, getreten worden zu sein, 30 Prozent, gefesselt oder fixiert worden zu sein. Jeder 10. gab zu Protokoll, er sei gewürgt worden.

Zwei Dilemmata

Während intensiv darüber nachgedacht wird, welche Weltbilder/„rassistischen Deutungsmuster“ in den Köpfen einzelner Polizisten spuken, bleibt eher außen vor, welche Einstellungen ihre Gegenüber zum Rechtstaat, zu Exekutivorganen des Staates, der Position der eigenen Klientel in der (Aufnahme-)Gesellschaft haben. Diese Faktoren prägen selbstverständlich ebenso wie Voreinstellungen der Polizisten das Aufeinandertreffen beider Seiten. Allerdings fühlen sich die Umfrageteilnehmer wohl mehrheitlich schuldlos. („Ich bin Ausländer und gehe davon aus, dass dies der Grund war, da ich von Anfang an beleidigt wurde.“)

Letztlich wird bei der Frage nach den Motiven und Gründen des alltäglichen Verhaltens von Sicherheitskräften deutlich, dass hier ein Sammelsurium von Faktoren zusammenkommt: neben „echter Feindseligkeit“ vielfältiges Erfahrungswissen, Stereotype. Dabei ist Diskriminierung im Sinne der ungleichen Behandlung von Menschen ja kein Alleinstellungsmerkmal von Polizisten. Jeder Mensch hat Weltbilder im Kopf, die notgedrungen pauschalisieren.

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Zu Recht wird dementsprechend im Fazit der Studie auch darauf hingewiesen, eine „berufsbedingte Konstruktion der sozialen Wirklichkeit“ sei einerseits notwendig, um in (polizeilichen) Alltag handlungsfähig zu sein und Entscheidungen treffen zu können. Problematisch sei ein solches Erfahrungswissen andererseits, „wenn es zu pauschalen, ‚kulturalisierenden‘ Zuschreibungen führt. Das bedeutet, dass bestimmten Personen aufgrund ihrer angenommenen kulturellen Zugehörigkeit zu (konstruierten) Gruppen negative Eigenschaften zugeordnet werden – wie etwa eine mangelnde Akzeptanz der Polizei, abweichende Moralvorstellungen oder eine besondere Kriminalitätsbelastung.“ So könne die „Prüfung des Einzelfalls möglichst frei von (pauschalisierenden) Vorannahmen“ erschwert werden. Migranten würden insbesondere dann eher als verdächtiger wahrgenommen, wenn sie sich an einem als problematisch wahrgenommenen Ort aufhalten.

Die Studie weist ferner darauf hin, dass die Häufigkeit von polizeilichen Kontrollen gegenüber PoC „zu der gesellschaftlichen Kriminalisierung rassifizierter Subjekte bei[trägt], da es in der Öffentlichkeit den Eindruck hinterlässt, dass die Polizei einen Grund dazu habe und die Angehaltenen und Durchsuchten tatsächlich kriminell seien“. In ähnliche Richtung geht die Argumentation der von der Initiative Schwarze Menschen unterstützen Kampagne „Ban! Racial Profiling – Gefährliche Orte abschaffen!“: „Es gleicht einer selbsterfüllenden Prophezeiung, wenn die Polizei durch die Einstufung eines Ortes als ‚kriminalitätsbelastet‘ dort mehr Präsenz zeigt und dadurch automatisch mehr Personen kontrolliert. Es ist die Vielzahl an Kontrollen, die einen Ort ‚gefährlich‘ macht. …“

Fazit

Letztlich stellen die in der Studie angestellten Überlegungen dazu, was die Polizeipraxis begründet und welche Folgen sie hat, die Polizei vor zwei Dilemmata:

  1. Sie soll im Alltag möglichst ihr Gegenüber als situativen „Einzelfall“ vorurteilslos und offen behandeln – hat aber ohne objektiviertes Erfahrungswissen und verallgemeinerte Vorstellungen von der Realität und sozialen Gruppen keine griffigen Kriterien, keine Maßstäbe für ihr Vorgehen.
  2. Sie soll Gefahren erkennen und die öffentliche Sicherheit zumal in Räumen mit (in der Kriminalitätsstatistik) schlechtem Ruf gewährleisten – gleichzeitig aber nicht dazu beitragen, Personengruppen und soziale Räume durch die Auswahl von Personen und bestimmten Orten zu stigmatisieren.

Die vorliegende Opferbefragung ist im Grundsatz eine legitime Herangehensweise an eine Gesellschaftsanalyse. Es ist ohne Zweifel wichtig, Fehlverhalten von Beamten zu beobachten und im Sinne einer Supervision zu hinterfragen. Allerdings: Schon die Zusammensetzung der Stichprobe wie auch die Auswahl der einbezogenen Vorfälle, die ja weniger dramatische, neutrale oder positive Erfahrungen mit der Polizei von vorneherein ausklammert, bewirken eine deutlich überproportional negative Sicht auf die Polizei(praxis). Die meisten vorliegenden Umfragen belegen ein großes Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei.

Grundsätzlich erweckt die Studie, ausgelöst durch die gewählte Methode der anonymen Opferbefragung, den Eindruck, das vor allem auf Seiten der Polizei viel Veränderungsbedarf herrscht. Dabei bleiben zahlreiche Aspekte ausgeklammert. Sie betreffen Einstellungen und Verhalten der Bürger gegenüber den Bediensteten, die alltäglichen Rahmenbedingungen der Polizeiarbeit, das öffentliche Image der Staatsorgane, aber auch die Frage, ob alle Beobachter Rassismus in gleichem Ausmaß wie die in der Studie auflaufenden Akteure und Experten von vornherein wie selbstverständlich „als gesamtgesellschaftliches und alltägliches Phänomen“ in Deutschland festmachen.

Und da die Ruhr-Universität zu Recht Wert darauf legt, die Schädigungen der evtl. schlecht behandelten Bürger ans Licht zu bringen, wäre es parallel auch angebracht auszuloten, was es auf der psychologischen Ebene mit Polizisten in ihrer Berufsrolle macht, wenn sie in brenzligen Situationen als nicht willkommene Vertretung des Staates von der Gegenseite abgelehnt werden und in der Gegenwart zunehmend zwischen die Fronten einer stark polarisierten Gesellschaft geraten.

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