Der Affärenkranz namens Visa-Skandal nimmt kein Ende. Die Frage ist nun nur, wann dieses Halsband der verantwortlichen Ministerin zu schwer wird oder wann es ihr, aus welchem Anlass auch immer, um die Ohren fliegen wird. Die ersten Vorwürfe gegen das Auswärtige Amt und Annalena Baerbock persönlich gab es schon im Februar letzten Jahres. Im Mai 2023 folgte die Anzeige der AfD-Bundestagsfraktion gegen den Referenten Henning G. im Auswärtigen Amt. Dabei ging es um den Fall des (möglicherweise) Schein-Afghanen Mohammad Ali G. und seines (vielleicht nicht wirklichen) Bruders Khan G. Mohammad. Er sollte nach Deutschland geschleust werden, verstrickte sich aber in Widersprüche und legte zudem einen minderwertigen afghanischen Pass vor, bevor er sein Visum mit Falschgeld bezahlen wollte.
Nun berichtet der Cicero von einem neuen Fall, in dem es möglicherweise um die Aufnahme der siebenköpfigen Familie N. geht. Die Mutter und vier Kinder waren schon im September 2022 nach Deutschland geflogen worden. Im Februar 2023 wollte der angebliche Vater und ein volljähriger Sohn nachkommen. Aber der Sohn sprach mit einem anderen Akzent als die schon in Deutschland lebende Mutter, der nämlich vorwiegend in der Gegend um Quetta (Pakistan) gesprochen wird.
Und auch der Vater, der als Friseur für die australische Armee in Afghanistan gearbeitet haben will, verstrickte sich in Widersprüche. So machte er einen „sehr gebildeten, fast schon militärischen, und gepflegten Eindruck“, wie die Botschaft in Islamabad berichtete, während man von afghanischen Friseuren weiß, dass sie den unteren Schichten entstammen, oft diskriminiert werden und daher „eher zurückhaltend“ agieren (das ganze Dokument findet sich hier). Zudem konnte er zahlreiche Dokumente pakistanischer Regierungsstellen vorweisen, was die Botschaftsmitarbeiter in ihrem Misstrauen bestärkte: Vielleicht handelte es sich gar nicht um einen Afghanen, sondern um einen Agenten des pakistanischen Geheimdienstes?
Ein Fall, inszeniert von pakistanischen Behörden?
„Hauptperson und Familie könnten absichtlich mit afghanischen Identitäten ausgestattet worden sein“, hieß es in dem internen Schreiben weiter. Es liege „der dringende Verdacht“ nahe, dass es sich bei der Familie „um einen von pakistanischen Behörden inszenierten Fall handelt“. Aber das wäre ja wirklich zu einfach gedacht: Die Pakistaner wollen einen Agenten nach Deutschland einschleusen und benutzen einfach einen von Baerbocks Charterflügen dazu?
Die Aufnahmezusagen für Vater und Sohn N. wurden dann doch zurückgenommen. Die Mutter und vier andere Kinder leben aber weiterhin in Deutschland, obwohl sie durch die gescheiterte Nachholaktion in höchstem Maße verdächtig geworden sind.
Die Aufnahme der gesamten Familie war im übrigen von der sogenannten „Kabul Luftbrücke“ des grünen EU-Abgeordneten Erik Marquardt tatkräftig unterstützt worden. Diese NGO verfügt bekanntlich über beste Kontakte zu Annalena Baerbock und ins Auswärtige Amt. Nach einem gescheiterten Alleingang (die eigenhändige Organisation von Charterflügen war dann doch schwieriger als gedacht) kontrolliert die Migrations-Lobbygruppe nun immer noch als eine von mehreren „meldeberechtigten Stellen“ die Aufnahmen und Einreisen von angeblichen Afghanen aus der pakistanischen Hauptstadt Islamabad. Nur die vom Auswärtigen Amt (AA) benannten Stellen, die zum größten Teil der Verschwiegenheit des Amtes unterliegen, dürfen Anträge annehmen und dem AA Namen vorschlagen. Im Schreiben der Botschaft heißt es sehr eindeutig: „Sachverhalt wird eng von Kabulluftbrücke (KLB) begleitet (u. a. Verfassen der Gefährdungsanzeige)“.
Weisung an Visastellen weltweit: Grundstein der „Operation Luftbrücke“
Dabei waltet aber doch eine gewisse Konsequenz in diesen Dingen. Denn schon kurz nach ihrem Amtsantritt im Dezember 2021 hatte Baerbock verkündet, „bürokratische Hürden abbauen“ zu wollen, um die Aufnahme und Einreise „besonders gefährdeter Afghaninnen und Afghanen zu erleichtern“. Die frischgebackene Ministerin wollte damals gleich „mehrere humanitäre Luftbrücken von Afghanistan nach Deutschland“ errichten.
Am 22. März 2022 verkündete das Auswärtige Amt – per vertraulicher Weisung an die Visastellen in aller Welt – eine Lockerung bei der Prüfung von Visa-Anträgen. Das betraf angeblich vor allem die Stellen in „Addis Abeba, Amman, Ankara, Bagdad, Beirut, Damaskus, Doha, Duschanbe, Erbil, Islamabad, Istanbul, Khartum, Nairobi, Neu-Delhi, Taschkent und Teheran“ – alles Hauptstädte, die als Tore zur Asylmigration nach Deutschland überaus gut taugen. Diese Weisung war so etwas wie der Startschuss für eine weltweit organisierte „Operation Luftbrücke“, die Deutschland zusätzlich zur unguten Situation an den EU-Außengrenzen und den deutschen Grenzen mit weiteren Asylbewerbern fluten sollte.
In der vom Cicero zitierten E-Mail heißt es unter anderem:
„Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die besonders schwierige und volatile Lage in verschiedenen Regionen weltweit bezüglich der Möglichkeiten, Familienzugehörigkeiten und Identitäten nachzuweisen, machen vielerorts eine Optimierung der Prüfschritte bei der Bearbeitung von Anträgen auf Familienzusammenführung notwendig. Hierbei sind stellenweise Unsicherheiten und unnötige Verzögerungen eingetreten, die wir mit dieser Weisung gerne ausräumen und zukünftig verhindern möchten. (…) Der formelhafte Griff zu den bewährten Instrumenten wie der Urkundenüberprüfung ist nicht durchgehend zweckmäßig und muss durchdacht und ergänzt werden.“
Ins Deutsche übersetzt: Die Identitätsprüfung bei Visa-Anträgen bleibt ein schwieriges Geschäft, wir wollen aber mehr Visa als bisher vergeben, um die Einreisen nach Deutschland zu erleichtern. Wir wollen keine Verzögerungen mehr. Bitte vergessen Sie doch einfach das Kapitel Urkundenprüfung mehr oder weniger ganz. Stattdessen sollen Antragsteller nur „mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugen“, dass sie die sind, die sie zu sein behaupten. Damit soll immerhin „Zweifeln Schweigen“ geboten werden, ohne dass diese Zweifel doch „völlig auszuschließen“ wären.
Ein lebhaftes Beispiel für diese Praxis im Auswärtigen Amt bildete in der Tat der Fall Mohammad Ali G., wo sich der Referent Henning G. deutlich für den Verzicht auf Zweifel an einer „abenteuerlichen Geschichte“ aussprach, obwohl ihm dieselben durchaus möglich erschienen. Gemeint ist die Mail mit den inzwischen legendären Worten: „An der Identität des Antragstellers bestehen nach der ausführlichen Befragung des Bruders (…) eigentlich keine Zweifel, falscher Pass hin oder her, zumal wir auf afghanische Personenstandsdokumente sowieso nicht viel zählen, aus genau diesem Grund.“
Baerbock ließ Papier zur weiteren Einreise-Erleichterung erarbeiten
In einem internen Dokument des Auswärtigen Amtes vom 30. November 2022, das der Cicero ebenfalls in Gänze veröffentlicht hat, kann man lesen: „Ausreisen aus AFG (= Afghanistan) – bisher ein Erfolg: Durch die unterstützte Ausreise konnten bislang 68% aller Afghaninnen und Afghanen mit Aufnahmezusage in Deutschland einreisen. Das sind rund 27.000 Menschen: ehemalige Ortskräfte und besonders Gefährdete, auch aus dem seit Mai laufenden Überbrückungsprojekt.“ Man kann diese fehlgeleitete Euphorie kaum noch kommentieren, wenn man bedenkt, wie lange schon starke Zweifel an der Integrierbarkeit von Afghanen in die deutsche Gesellschaft überhaupt bestehen. Und dennoch feiert das Auswärtige Amt die zusätzliche Aufnahme von zehntausenden Afghanen im November 2022 als Erfolg.
Anspruch auf „unterstützte Ausreise“ hatten damals aber noch weitere 12.500 afghanische Staatsangehörige, auch wenn vielleicht nicht alle gerade nach Deutschland ausreisen wollten, wie das Dokument ebenso festhielt. Die Rede ist zudem von „akutem Passmangel“ und von den „schwierigen Nachbarn“ Pakistan und Iran, die leider die einzigen Ausreiserouten bilden. Man wollte aber neue Routen erschließen, etwa über die usbekische Hauptstadt Taschkent – wo man damals schon Gespräche unter Einbindung von Innenministerium, Entwicklungsministerium und GIZ führte – oder auch Tadschikistan.
Die Bundesministerin Annalena Baerbock kommentierte das Dokument im November 2022 an mehreren Stellen und machte klar, dass sie Sicherheitsbedenken um fast jeden Preis zurückdrängen wollte. „Stattdessen Fokus darauf, dass diejenigen, die in PAK/IRN sind, rasch nach DEU kommen können“. Vor allem auf Familienzusammenführungen und „Fälle, in denen Kinder noch festsitzen“ hatte es Baerbock, immer auf der Jagd nach der Träne im Augenwinkel, hier abgesehen.
Das ganze Papier kann man nur als Beitrag zur Einreise-Erleichterung nach Deutschland ansehen. Das war der ministerielle Auftrag Baerbocks, und den bestätigte sie auch in ihrem schon bekannten Seitenkommentar, in dem Baerbock Sicherheitsvorbehalte aus dem Innenministerium ausdrücklich „nicht akzeptieren“ will: „Hier sollten wir hart bleiben, ggfs. weiter bis zur Ebene BMin eskalieren. ggfs. öffentlich.“ Auch einen öffentlichen Koalitionskrach wären die windigen Einreisen über Pakistan und Iran Baerbock also wert gewesen. Die Botschaft Islamabad hatte schon damals 18.700 Visa erteilt, die in Teheran 4.700 Visa. Schon da waren 6.400 Afghanen ohne Pass oder Visum, nur mit einem afghanischen Personalausweis (Taskira), also allenfalls einem Passersatz, in sogenannten „Taskira-Operationen“ über Pakistan nach Deutschland eingereist. Von den – im November 2022 – 12.500 laut AA zur Einreise „Berechtigten“ hatte nur ein Viertel überhaupt einen Pass.
Auswärtiges Amt belehrte Pakistan in Sachen Rechtsuntreue
Als einen von mehreren „Lösungsansätzen“ hatte das Auswärtige Amt damals in allem Ernst Folgendes für die Ministerin erarbeitet: „Passlieferung als Hebel“. „In enger Abstimmung mit Partnern … könnten wir die ausstehende kommerzielle Lieferung von 3 Mio. Passrohlingen aus LTU (Litauen?) nach Kabul als Hebel zu nutzen, um Menschen mit Aufnahmezusage zu einem Pass und damit zur Ausreise zu verhelfen“. Man spricht vom eigenen „Drängen“ nach mehr Einreisen aus Afganistan. Das Auswärtige Amt ist unter Annalena Baerbock zum Einreise-Amt geworden, zur Schleuserorganisation für oftmals zweifelhafte Einreisewillige, die häufig ohne ordnungsgemäße und legale Papiere sind.
Und es war am Ende Pakistan, das sich gegen den Grenzübertritt von Afghanen ohne Pass oder Visum wehrte und so den „Taskira-Operationen“ des AA ein Ende machte. Doch das Auswärtige Amt übte offenbar Druck auf Pakistan aus, damit die Ausreise von Afghanen mit minderwertigen Papieren wieder möglich würde. Auch die „erforderliche Zustimmung der Taliban dazu“ wollte man einholen, um möglichst viele Personen aus Afghanen über Islamabad nach Deutschland einzuschleusen. Es ist zum Haareraufen: Ein deutsches Ministerium versucht Länder in anderen Erdteilen davon zu überzeugen, dass sie es mit den rechtlichen Verfahren an ihren Grenzen bitte nicht so genau nehmen sollen, nur damit noch mehr Einreisen und Charterflüge nach Deutschland zustandekommen.
Alles das wirft sicher kein rein-weißes Licht mehr auf das Auswärtige Amt unter Annalena Baerbock. Der feste Wille, etwas zu schaffen, was andere vor ihr nicht schafften, nämlich die Einreisen aus Afghanistan nochmals zu steigern oder doch auf einem stetig fließenden Niveau von 1.000 Einreisen pro Monat zu halten, ließen Baerbock zu unlauteren Mitteln greifen, und das sowohl im Verkehr mit den eigenen Botschaften wie mit der deutschen Öffentlichkeit. Wobei, ja, die deutsche Öffentlichkeit hat sie eigentlich nicht im Prinzip getäuscht. Dass sie „bürokratische Hürden abbauen“ und gleich „mehrere Luftbrücken“ errichten wollte, hatte sie ja sofort nach Amtsantritt gesagt.