Christian Lindner (FDP) erhält eine Frage zu E-Fuels. Er will antworten. Doch dann reißt Olaf Scholz (SPD) die Frage an sich und gibt eine Antwort, wie nur er sie geben kann – indem er lange redet, ohne irgendwas zu sagen. Trotzdem ist seine Botschaft deutlich: Von Schloss Meseberg soll ein Zeichen der Harmonie ausgehen für die Ampelkoalition. Ein Burgfrieden. „Wir brauchen mehr Tempo“ lautet eine von Scholz Beschwörungen.
Alles ist auf Harmonie angelegt. Und die treuen unter den Medien setzen diesen Auftrag um: „Konstruktive Gespräche und gute Stimmung“ titelt die Tagesschau zu einem Beitrag im Netz. Der sprüht nur so von dem sprachlichen Witz des alten Neuen Deutschlands: „Trotz aller Meinungsverschiedenheiten sprechen die Ministerinnen und Minister am Rande der Klausurtagung von einem konstruktiven Miteinander.“ Wäre dieser Tagesschau-Text eine Amazon-Besprechung, würde sie von Olaf Scholz fünf Sterne erhalten.
Doch wie weit die von Scholz verordnete Harmonie trägt, zeigte sich noch an der selben Frage. Als der Kanzler mit seinem Einwurf fertig war, holte sich Lindner die Frage zurück. Antwortete: Wenn die EU keine Möglichkeiten anbiete, wie künftig Verbrenner mit sauberem Antrieb fahren können, könne sie nicht das Aus der fosil betriebenen Brenner durchsetzen. Die FDP bevorzugt in dem Zusammenhang E-Fuels. Synthetische Antriebe, die aus dem Strom erneuerbarer Energien gewonnen werden sollen.
Es ist eines der Reizthemen auf der Klausur. Das wichtigste Reizthema hat die Koalition sogar ganz ausgespart. Alle Teilnehmer – der Kanzler voran – betonen, die Verhandlungen um den Haushalt seien kein Thema auf der Klausur gewesen. Dabei soll der Entwurf des Haushalts bis Mitte März fertig sein – steht angesichts der massiven Verschuldung der letzten Jahre jede künftige Entscheidung unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit – und hat eben dieser Vorbehalt zu einem öffentlichen Streit zwischen Scholz‘ wichtigsten Ministern geführt: Lindner und Robert Habeck (Grüne, Wirtschaft).
Die beiden haben Mitte Februar einen Briefwechsel geführt und stehenden Fußes an die Presse weitergegeben. Habeck wollte Steuererhöhungen, Lindner nicht. In dem Brief haben sie sich mit „Sehr geehrter Herr Kollege“ angesprochen. Jetzt müht sich Scholz auf der Pressekonferenz von „dem Robert“ und „dem Christian“ zu sprechen. So oft, dass auch ja alle mitkriegen, dass sich die wichtigsten Männer in diesem Kabinett duzen.
Und dann hat da noch zufällig einer auf Twitter ein Bild eingestellt, wie Scholz einen Schneeball wirft. Und wie bestellt fragt eine Journalistin auf der Pressekonferenz, ob es auf der Klausur eine Schneeballschlacht gegeben habe. Und glucksend wie ein Kind erzählt der Olaf, dass er den Schneeball geworfen, aber auf niemand gezielt habe. Er wolle ja keinen verletzen. Ach was ein Bild der Glückseeligkeit. Piep, piep, piep – die Ampel hat sich ganz doll lieb.
Doch zu Scholz‘ großem Leid hat dem Wirtschaftsminister niemand ein Gesicht in die Pressekonferenz mitgebracht, das zu dieser Glückseeligkeit passen will. Habeck steht da – neben der Deutschlandfahne – wie ein geknickter Mann und sagt, dass das Förderungsmodell der EU nur zulasse, dass der Staat fördere, wenn privat investiert werde. Jeder andere Profi hätte das gewusst. Robert im Wunderland wird von solchen Erkenntnissen überrascht und steht entsprechend bedröppelt auf der Pressekonferenz.
Die Realität ist der größte Feind des Kinderbuchautors Habeck. Vier bis fünf Windräder müsse Deutschland jeden Tag bauen, um seine Klimaziele zu erreichen, sagt Scholz. 51 Windräder hat Deutschland in diesem Jahr genehmigt, sagt die Fachagentur Windenergie. Das ist nicht mal eins pro Tag. Kein einziges neues Windrad genehmigt hat Baden-Württemberg – das einzige Bundesland, in dem die Grünen den Ministerpräsidenten stellen. Vielleicht wirft Habecks Gesicht deshalb so viele Falten wie die Deutschlandfahne neben ihm.
Trotz vieler Wahlniederlagen hat Lindner Oberwasser. Gut, der Mann macht auch Schulden und erfreut sich an seinen Sondervermögen. Gemeinsam mit Justizminister Marco Buschmann (FDP) will er nun ein Gesetz vorlegen, das private Investitionen erleichtert. Für die auf den Staat setzenden Grünen ein Horror. Für den Ausbau der Windenergie aber notwendig, wie ein Gast der Klausur dem Olaf, dem Christian und dem Robert klargemacht hat: die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen (CDU). Vor allem dem Robert hat sie damit bittere Medizin zu schlucken gegeben.
Doch für den Christian ist das nur ein kurzer Sieg zwischen der tatsächlichen Schlappe in Berlin und der zu erwartenden Schlappe in Bremen. Mit dem Atomausstieg, mit dem Kohleausstieg und mit den Gas-Sanktionen hat sich Deutschland vom Ausbau der erneuerbaren Energien abhängig gemacht. Vier bis fünf neue Windräder pro Tag braucht es, sagt Scholz. Eine gigantische Investition. Vertrauen, das Investoren in einen Standort haben müssen, von dem große Konzerne wie Ford und BASF fliehen. Dessen Energiepreise und Lohnnebenkosten so hoch sind wie in keinem anderen Industrieland. Und dessen Wirtschaftsminister ein Azubi ist, der immer wieder einräumen muss, dass er gerade Selbstverständliches gelernt hat. Etwa, dass die Investitionen in vier bis fünf Windräder pro Tag nicht alleine vom Staat kommen können.
Die Wirtschaft wackelt. Ob der angestrebte Ausbau der erneuerbaren Energien kommt, ist schon fraglich. Ebenso, ob er dann ausreicht. Die Sozialkassen sind ruiniert. Und über den Haushalt hat die Ampel – da ist sie stolz darauf – noch gar nicht geredet. Scholz‘ Sehnen nach Harmonie ist verständlich, aber kaum erfolgsversprechend. Dauerhaft scheint sich Lindner das Reden von Scholz nicht nehmen zu lassen.