Tichys Einblick
Inszenierung der Politik

Olaf Scholz und Robert Habeck in „Die Sprachlosen und die Schlaflosen“

Politik wird inszeniert. Das ist nicht die Nachricht. Spannend ist, dass die Ampelkoalition nicht einmal des Kanzlers Lieblingsstück „Wir haben uns lieb“ hinbekommt – stattdessen gibt sie „Die Sprachlosen und die Schlaflosen“.

IMAGO / NurPhoto

Mittlerweile ist es fast egal, welche Ergebnisse nach dem Koalitionsausschuss rauskommen. Sind es Formelbeschlüsse? Symbolhandlungen? Oder sogar echte Veränderungen? In Erinnerung bleibt von diesen Tagen eine Koalition, die so sprachlos, wie sie schlaflos ist. Die sich 20 Stunden am Stück durch die Nacht tagt, um dann ergebnislos auseinanderzugehen.

Der Koalition verbleiben nur noch wenige Stunden, titelte die Bild am Dienstagmorgen. Eine spannende Überschrift. Nicht weil sie ein Thema anhotten soll, das nicht heiß ist. Sondern weil es der Eindruck ist, den die Ampel vermittelt: Wir tagen unermüdlich. 20 Stunden am Stück. In größter Eile. Dann fliegen wir in die Niederlande und danach tagen wir weiter. Um die Probleme zu lösen. Aber warum die Eile? Warum Marathon-Verhandlungen für Themen, die in der täglichen Regierungsarbeit viel besser erledigt werden könnten?

Koalitionsausschuss
SPD, Grüne und FDP kommen in 20 Stunden zu keinem Ergebnis
Hat jemand der Bundesrepublik den Krieg erklärt? Ist wieder eine Pandemie ausgebrochen, diesmal wirklich eine mit einer absoluten Killervariante? Oder ist gar ein Kanzler zurückgetreten? Nichts davon. Es geht um Autobahnausbau. Den Austausch von Heizungen. Oder die Ausgabenwünsche der Bundesministerien. Alles wichtige Themen. Die allerdings am besten ausgeschlafen und mit nüchternem Kopf besprochen werden. Und nicht, nachdem man sich gegenseitig müde geredet hat.

Die erste Sitzung haben SPD, Grüne und FDP nach 20 Stunden abgebrochen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) fand für dieses nächtliche Event bemerkenswerte Worte: „Es ist eine gemeinsame Erfahrung, wo man eng miteinander zusammen ist und davon erzählt man sich noch lange.“ Das sind angemessene Worte – für die neunjährige Lucy, die von ihrer ersten Pyjamaparty nach Hause kommt. Ein Kanzler, der so über Beratungen spricht, in denen über Rekordausgaben verhandelt wurde, der wirkt nicht gerade staatsmännisch, sondern … Tja, wie soll man sagen? Eben wie die neunjährige Lucy, die ihren Eltern stolz von ihrer ersten Pyjama-Party berichtet.

Den Journalisten bleibt ein entwürdigender Job: Auf Fluren und Wiesen rumstehen, in der Hoffnung, dass ein vorübergehender Mächtiger einem etwas zuraunt. Informationskrümel, aus denen sie dann ein Brot zusammenpuzzlen. „Konstruktiv“ seien die Gespräche gelaufen, wusste die Bild am Montag. Am Dienstag weiß sie von Frontstellungen zu berichten – zwischen SPD und FDP auf der einen sowie den Grünen auf der anderen Seite.

Verhandlungen mit jemandem wie Habeck dürften kein Spaß sein. Der hat jüngst erklärt, die Klimaneutralität sei als Ziel nicht zu hinterfragen und müsse erreicht werden, egal wie. Wer das doch hinterfragt, werde eben gesellschaftlich ins Abseits gestellt. Angenehmer Zeitgenosse. Nur ist seit einiger Zeit die öffentliche Meinung am Kippen. Selbst im grün-roten Berlin wollen nicht mal 20 Prozent der Einwohner die Klimaneutralität erreichen, zumindest nicht egal wie. Daher stehen bald recht viele im Abseits und Robert Habeck alleine mit grünen Fanatikern und Journalisten – doppelte Nennungen sind bitte zu entschuldigen.

Endloser Koalitionsausschuss
FDP-Koalitionsausstieg: Wenn nicht jetzt, wann dann?
Der große Widerspruch in dieser Koalition besteht darin, dass SPD und FDP vernünftig regieren und sich mit der Realität auseinandersetzen wollen. Mit überschaubarem Talent, sicherlich. Aber immerhin, die Absicht ist da. Auf der anderen Seite stehen die Grünen, die ihre ideologische Agenda abarbeiten wollen und die in ihrem Kern immer schon um Welten intoleranter waren, als sie sich das in ihrer Selbstwahrnehmung gerne vorspielen. Jetzt, an der Regierung, als Königsmacher und nicht als Kellner, bekommen immer mehr Menschen diese Intoleranz mit.

Jetzt, da die Grünen an der Regierung sind, zerbricht auch trotz öffentlich-rechtlicher Dauerbeschallung die grüne Einheitsmeinung in Deutschland. Für die Menschen war grüne Politik bisher ein Narrativ. Nett anzuhören und ehrenwert anzustreben. Doch jetzt wird aus diesem Narrativ ein Arbeitsplatz, den sie zu verlieren drohen. Ein Haus, das sie für Unsummen umbauen müssen, die sie nicht haben. Oder Mobilität, die ihnen genommen werden soll. Wer grüne Politik als Narrativ mochte, kauft noch lange nicht grüne Politik als Realität.

Diesen Widerspruch muss die Ampel überbrücken. Bisher gelang ihr das vor allem mit Geld. Mit Entlastungspaketen und „Sondervermögen“ hat Scholz in anderthalb Jahren eine Verschuldungswelle auf den Weg gebracht, wie sie dieses Land zuvor noch nicht kannte. Alles, um die Widersprüche in seiner Koalition zuzudecken. Doch nicht nur der Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat erkannt, dass die Bundesrepublik nicht mehr allzu oft zu diesem Mittel greifen kann. Der Bundesrechnungshof warnt mittlerweile offen vor einer Handlungsunfähigkeit des Bundes.

Wie soll Scholz das seinen Bürgern noch schönreden? Durch die Inszenierung des hart arbeitenden Politikers, der Nächte durchtagt? Gähn. Das haben Arbeiter ihren Gewerkschaftsfunktionären schon in den 1980ern nicht mehr geglaubt. Spätestens Angela Merkel hat mit ihren Ministerpräsidentenkonferenzen das Stück „Die Schlaflosen“ zu Tode geritten. Die endlosen Sitzungen sollten suggerieren, dass die Beschlüsse hart errungen seien. Am Ende kam heraus, dass die Teilnehmer währenddessen Candy Crush gespielt haben.

Nun versucht es Scholz also mit „Die Sprachlosen“. Ein Stück, mit dem er Erfolg hatte, als es um seine Beteiligung an Skandalen wie CumEx oder Wirecard ging. Nur irgendwann müssen die Ampelkoalitionäre raus aus den Verhandlungen. Und erzählen, was sie dort gemacht haben. Es sollte ein wenig mehr sein als eine Pyjama-Party von Olaf und Robert. Eher sollte es so in Richtung Ergebnisse gehen. Denn je länger sie tagen, desto höhere Erwartungen wecken die Koalitionäre an die Ergebnisse. „Piep, piep, piep – wir haben uns alle lieb“, ist dann zu wenig.

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