Tichys Einblick
Nach 30 Stunden Koalitionsausschuss

Olaf Scholz regiert als Merkel-Klon

Kanzler Olaf Scholz regiert wie ein Update von Angela Merkel: brilliant im eigenen Machterhalt, aber fatal fürs Land. Das jüngst ausgehandelte Koalitionspapier liest sich wie ein Protokoll des Politbüros der DDR.

Olaf Scholz und Angela Merkel, 13. Februar 2022

IMAGO / photothek

Das alte Neue Deutschland brachte noch Erfolgsmeldungen zu Plan-Überfüllungen, als der DDR die Bürger bereits über Ungarn und Tschechien wegliefen. Die Herren des Politbüros weigerten sich bis tief in den Sommer 1989 hinein, diese Massenflucht zur Kenntnis zu nehmen. Stattdessen beschäftigten sie sich auf ihren Sitzungen mit ihren Lieblingsthemen wie dem strategischen Umgang mit der westdeutschen SPD.

Unfair wäre indes ein Vergleich zwischen einer Sitzung des DDR-Politbüros und dem Koalitionsausschuss von SPD, Grünen und FDP. Das Politbüro brauchte niemals 30 Stunden, um zu Ergebnissen zu kommen, die nicht tragen. Das schafften die Genossen deutlich schneller. Vermeintliche Erfolgsmeldungen inklusive. In ihrem Gruselfaktor ließen sich die Protokolle von Politbüro und Koalitionsausschuss indes durchaus vergleichen.

30 Stunden Koalitionsaussschuss
Die Grünen sind in der Regierung nur noch Küchenhilfe
Noch vor gut einem Jahr sprach Kanzler Olaf Scholz (SPD) angesichts des Kriegs in der Ukraine von einer „Zeitenwende“. Was ist von diesem preisgekrönten Begriff geblieben? Nichts. Der Krieg kommt im Protokoll des Koalitionsausschuss nur als bestärkendes Argument für den Ausbau erneuerbarer Energien vor: Bündnispolitik? Landesverteidigung? Außenpolitik? Fehlt im 16 DIN-A4-Seiten umfassenden Protokoll. Ebenso wie Geldpolitik oder Wirtschaftspolitik: Der Autoindustrie droht das Aus, die BASF erklärt offen ihren geplanten Abzug aus Deutschland und trotz massenhafter Einwanderung können nicht mal simpelste Arbeitsplätze besetzt werden. Kein Wort davon im Protokoll. Der Koalitionsausschuss duckt sich vor diesen Themen so weg wie die Genossen einst vor dem CSSR-Ungarn-Problem.

Ein bisschen Digitalisierung, Verkehr und Entbürokratisierung. Vor allem aber Klima, Klima, Klima. Das Wetter im Jahr 2050 ist der Bundesregierung wichtiger als der Wohlstand seiner Bürger im Jahr 2030. Olaf Scholz blinkt Grün. Aber gleichzeitig bremst er die Grünen aus. Diesen Widerspruch muss aushalten, wer sich dem Kanzler nähert. Denn über inhaltliche Konsistenz ist er nicht zu verstehen – nur über den Willen zum Machterhalt. Da ist der Kanzler ein Klon seiner Vorgängerin Angela Merkel (CDU).

Das in 30 Stunden dauernder Detailarbeit erstellte Papier wird im Alltag nicht viel wiegen. Zum einen, weil es voller Symbolpolitik steckt: „Künftig wird die Bundesregierung im ersten Jahr einer Legislaturperiode ein umfassendes sektorübergreifendes Klimaschutzprogramm beschließen, um das Erreichen der Klimaziele sicherzustellen.“ Noch mehr Papiere statt Realität. Zum anderen decken sich die Aussagen des Koalitionsausschusses eben nicht mit der Realität.

"Die Arbeit tun die Anderen"
Habeck und die Scharlatane des großen Versprechens
Zum Beispiel erleichterte Genehmigungen für LNG-Terminals, also Flüssiggashäfen. Im Papier heißt es da verheißungsvoll: „Mit dem Sommerpaket wurde für … die zügige Einbindung von Flüssiggas in das Gasnetz … gesorgt.“ Die Realität: Im Rekordtempo wurde ein LNG-Terminal vor Lubmin genehmigt. Trara. Blöd nur, dass die Planer übersehen haben, dass Tanker Lubmin wegen der dort seichten Ostsee nicht anfahren können. Also schlugen sie ein Terminal vor Sellin auf Rügen vor. Im Biosphärenreservat. Als die Vorarbeiten schon begonnen haben, kam Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit dem Vorschlag um die Ecke, das Terminal nach Mukran auf Rügen zu verlegen. Direkt vor ein Unesco-Weltnaturerbe.

Es ist fast egal, was Scholz in ein Koalitionspapier schreiben lässt. Am Ende kann sich der Kanzler darauf verlassen, dass es sein Wirtschaftsminister in der Praxis verbocken wird. Wie die Gasumlage. Oder wie das Thema CO2-Ausstoß. Über diesen berichtet das Papier hymnisch: „Ein Umstieg auf erneuerbare Energien macht Deutschland unabhängiger und sorgt für mehr Sicherheit.“ In der Praxis ist Deutschland abhängig von französischem Atomstrom und polnischem Kohlestrom geworden und hat selbst Kohlekraftwerke reaktiviert.

Für Menschen, die von Inhalten her denken, sind solche aktrobatischen Leistungen frustrierend. Doch Scholz ist Machtpolitiker. Und aus der Sicht des Machtpolitikers macht er derzeit viel richtig. Im September 2021 war es noch so, dass Habeck und Annalena Baerbock (Grüne) gemeinsam mit Christian Lindner und Volker Wissing (beide FDP) ein ikonisches Foto schossen. Es signalisierte den Volksparteien, dass jetzt die beiden kleineren Parteien bestimmen, wer in Deutschland regiert. Scholz wurde Kanzler, weil die Grünen ihn gegenüber Armin Laschet (CDU) bevorzugten. Er hatte sich vor ihnen zu verbeugen.

Volksentscheid in Berlin
Die Niederlage der Luisa Neubauer
Scholz ist immer noch von den Grünen abhängig. Ein Koalitionsbruch kann nur bedeuten, dass eine große Koalition nötig wird. Doch die wird es mit Friedrich Merz nicht geben. Scholz kann ihm nur die Vizekanzlerschaft bieten. Doch der Oppositionsführer hofft darauf, dass die Ampel implodiert und ihm nach entsprechender Wartezeit die Kanzlerschaft so in den Schoß fällt wie der CDU-Vorsitz. Wenn die FDP aber gemeinsam mit den Grünen die SPD zugunsten der CDU verlässt, weil die SPD den Grünen nicht genug entgegenkommt, bräuchte die FDP zu keiner Wahl mehr anzutreten.

Also ist Scholz zu einer Doppelstrategie genötigt: die Grünen am Seitenrand halten, weil ihren Klima-Extremismus nicht mal in Berlin 20 Prozent der Bevölkerung wollen. Aber gleichzeitig muss er die Grünen bei Laune halten. Deswegen nimmt er sich 30 Stunden Zeit für ein Papier, in dem sich die Koalitionäre mit Fragen beschäftigen wie der Einbindung der Bahncard 100 ins „Deutschlandticket“, den Beginn eines „E-Fuels-Dialogs“ oder der Auswahl von Fahrzeugen, die fürs Carsharing geeignet sind. Während in den gleichen 30 Stunden keine Zeit ist für Randthemen wie Innenpolitik, Außenpolitik, Einwanderungspolitik, Verteidigungspolitik, Finanzpolitik oder Wirtschaftspolitik. Läuft ja von alleine.

Inhaltlich frustrierend. Keine Frage. Aber der Machtpolitiker Scholz denkt nicht in Inhalten. FDP und Grüne spielen nicht mehr ihn und die CDU gegeneinander aus. Er balanciert stattdessen mit den Koalitionspartnern. Angesichts der Schwäche der Opposition ist eine Wiederwahl 2025 durchaus möglich. Über das Wohl des Landes kann er hinweglächeln, wie er über seine Verstrickung in Affären hinweggelächelt hat. So lange Scholz an der Macht ist, ist die Welt in Ordnung. Zumindest  die Welt von Olaf Scholz.

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