Tichys Einblick
Leere Versprechen statt Taten

Scholz für Abschiebungen – weil die Migration so nicht gebremst werden kann

600 zusätzliche Abschiebungen im Jahr soll das heute beschlossene „Abschiebe-Paket“ bringen. Olaf Scholz verspricht, was viele fordern: schnelle Abschiebung. Weil er weiß: Das kann nicht klappen. Wirksame Maßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderung benennt er nicht – ein doppeltes Spiel.

IMAGO

Ganz kernig bildet der Spiegel Olaf Scholz ab, klare Kante, harter Mann, Entschlusskraft im Gesicht, stählernes Strahlen in den Augen, ein Kanzler, der Krisen meistern kann. Es ist ein Kanzler, der heute ein Abschiebe-Erleichterungsgesetz durch den Bundestag gebracht hat, bei dem es nur um 600 zusätzliche Fälle geht. Man könnte es auch „Täsuschungspaket“ oder Dummenfang nennen.

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— DER SPIEGEL (@derspiegel) October 20, 2023

Und starke Sprüche. „Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben.“ Wer sich nicht auf Schutzgründe berufen könne und keine Bleibeperspektive habe, müsse gehen. „Wir müssen mehr und schneller abschieben.“ Und ganz entschieden: »Wir müssen hart sein, wenn jemand keinen Anspruch hat zu bleiben.“ Es ist ihm nicht zu widersprechen. Aber Politik ist nicht an Worten zu messen, sondern an der Wirklichkeit der Taten. Und da stellt sich die Frage: Kann das, soll das funktionieren und sind es die richtigen Maßnahmen – oder wieder nur leere Versprechen? 

Abschiebe-Realität

Die Zahlen: Rund 300.000 Personen sind in Deutschland abschiebepflichtig. Das Recht ist eindeutig, daran muss nichts geändert werden. Es wären immerhin mehr als 1.500 Flüge mit dem am häufigsten benutzten Flugzeugtyp A320; oder fünf, sechs Maschinen am Tag, um dies in einem Jahr zu bewerkstelligen. Von Januar bis Juni 2023 wurden 7.861 Personen abgeschoben – ein krasses Missverhältnis, die Kluft zwischen Rechtslage und Rechtsdurchsetzung wird täglich größer. 600 mehr oder weniger – vergessen wir es einfach.

Abschiebung ist eine populäre, berechtige Forderung. Sie scheitert an einigen Fragen: Wohin? Wer nimmt sie? Wer organisiert das? Der Migrationsforscher Ruud Koopmans von der Berliner Humboldt-Universität hält Scholz‘ Forderung  daher für wenig effektiv. „Abschiebungen scheitern letzten Endes nicht an der Länge der Verfahren, sondern am Fehlen von Papieren, an ungeklärten Identitäten, Herkunftsländern, die nicht mitarbeiten, und nicht zuletzt an Gerichtsentscheidungen, die eine Abschiebung blockieren“, sagte Koopmans zu „Bild“. 

Viele sogenannte Flüchtlinge werfen bekanntlich ihre Papiere weg und verschleiern ihre Identität, um sich genau diese Möglichkeit offen zu halten: Keine Papiere, keine Abschiebung. Handys könnten den Fluchtweg offenlegen, dürfen aber nur in wenigen Einzelfällen ausgewertet werden, genauso wie Spracherkennungssysteme, die präzise die Herkunft festzustellen in der Lage sind, nur sehr begrenzt  eingesetzt werden dürfen. Deutschland lässt sich gerne betrügen, was die Herkunft angeblicher Flüchtlinge betrifft. Schon 2017 gab es 250.00 Klagen gegen Abschiebung, seither sind die Verwaltungsgerichte damit blockiert und für andere Aufgaben etwa klagender Bürger kaum mehr belastbar.

Weiße Salbe an den Grenzen

Genau an dem Punkt aber zeigt sich die Doppelbödigkeit der Scholz’schen Rede, die nahtlos an den wirkungslosen Maßnahmen von Innenministerin Nancy Faeser anschließt. Sie hat Grenzkontrollen nach Polen als große Maßnahme angekündigt – sie wirken so wenig wie die sprichwörtliche weiße Salbe. Mit der Einrichtung fester Grenzkontrollen soll die Schleuserkriminalität an der Grenze zu Polen verringert werden. Zurückweisungen sind somit nun möglich. Einen Tag nach Einführung der stationären Kontrollen an der Grenze zu Polen stellte die Bundespolizei tatsächlich eine Vielzahl unerlaubter Einreisen fest.

Aber, so betont die Bundespolizei: Wer hier um Asyl bittet, für den ist weiter Deutschland zuständig. Und das geht so: Der Gewerkschaftsvorsitzende für Bundespolizei und Zoll in Berlin und Brandenburg erklärt, mindestens 90 bis 95 Prozent der Migranten, die über die Grenze kämen, stellten einen Asylantrag. Sie könnten damit nicht abgewiesen werden. Die Asylbewerber werden also zwar „festgestellt“. Dann sagen sie das Zauberwort und schon fährt sie das Polizeitaxi in die nächste Aufnahmestation. In den ersten Stunden nach Faesers angekündigten Maßnahmen wurden zwar 45 illegale Migranten an der polnischen Grenze geschnappt – aber nur einer zurückgeschoben.

Vom Asylaufnahmezentrum führt dann der Weg der Migranten früher oder später in die Kategorie „abschiebepflichtig“. Nur ein Viertel wird als asylberechtigt anerkannt. Aber Abschiebung ist für die Mehrheit noch lange nicht bedrohlich. Rund die Hälfte der „Asylbewerber“ erhält einen anderen sogenannten „Schutzstatus“, unter anderem weil sie angeblich keinen Pass haben; andere gleich mit „Abschiebeverbot“, weil sie angeblich in den Herkunftsländern bestraft werden könnten. Das sind die „unsicheren Herkunftsländer“. Sichere Herkunftsländer sind immerhin die EU-Staaten, außer Griechenland, weil laut eines Gerichtsbeschlusses dort die Versorgung zu mies sei. Außerdem immerhin Indien, Ghana und Senegal, Bosnien und Herzegowina, Serbien und das heutige Nordmazedonien, Albanien, Kosovo und Montenegro. Moldawien und Georgien sollen dazu kommen. Es grenzt an Satire.

Was Scholz in Gang setzt, ist also eine Art Drehtür: die Migration findet in großer Zahl statt, die allermeisten bleiben. Es ist zwar richtig, wenn einige mehr abgeschoben werden, aber ändert nichts an der Dimension der Überforderung. Es ist der ungehinderte Zugang, den das Wort „Asyl“ ermöglicht und die nachfolgenden Möglichkeiten ewiger Prozesse und komplizierter Regelungen, die nicht angepackt werden. Auch nicht von Scholz. Damit bleibt alles so, wie es ist.

Kontrolle an den Außengrenzen

Deshalb hat Migrationsforscher Ruud Koopmans Recht, wenn er fordert, dass “der einzige wirklich wirksame Weg ist, dafür zu sorgen, dass Menschen, die nicht schutzbedürftig sind, gar nicht nach Europa kommen“. 

Dies wäre durch die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten zu erreichen. Das ist eigentlich klar, selbstverständlich und breit diskutiert – wird von Scholz aber nicht gesagt. Die Maßnahmen sind klar. Erstens müsste die Europäische Union (EU) an den EU-Außengrenzen Stationen einrichten, in denen mit bester personeller Ausstattung binnen weniger Wochen entschieden wird, wer einreisen darf und wer abzuweisen ist. Bis zu dieser Entscheidung an der EU-Außengrenze müssten die Zuwanderungswilligen an den EU-Grenzen untergebracht und mit den notwendigen Sachleistungen versorgt werden.

Parallel dazu sollten an den nationalen Grenzen zusätzliche Kontrollen stattfinden und Transitzentren eingerichtet werden, um das „Asyltaxi“ wie an der polnischen Grenze zu stoppen.  Das hatte übrigens Horst Seehofer als Innenminister zuletzt vor fünf Jahren gefordert. Er wurde von Merkel mit Unterstützung ihres Koalitionspartners Olaf Scholz gestoppt. Diese Transitzentren würden im Inland wie etwa entsprechende Bereiche auch an Flughäfen als exterritoriale Räume gelten, sodass von dort eine Rückführung an die Herkunfts- und vor allem Transitländer schnell möglich wäre. Damit könnten auch solche Migranten erfasst werden, die über die grüne Grenze kommen.

Das wären wirkungsvolle Maßnahmen. Sie wurden schon 2016 von der SPD als „Konzentrationslager“ diffamiert. Es ist eine alte Debatte, durchgekaut und analysiert, verändert hat sich nichts Nennenswertes. Auch dieses Mal wird der Vorstoß von Olaf Scholz sofort von Ampel-Politikern erbittert abgelehnt: Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin schrieb auf X: „30 Jahre nach 1993 sollten wir doch gelernt haben, dass Abschotten, Abschrecken, Abschieben keine Migrationspolitik ist, sondern ein Konjunkturprogramm für Rassismus und Rechtsradikale.“

Olaf Scholz weiß das alles. Seine Abschiebeforderung löst eine aufgeregte Debatte aus und bewirkt nichts, soll sie wohl auch nicht.

In den kommenden Wochen soll Streit entschiedenes Regierungshandeln vortäuschen – danach passiert: nichts.

Weiter werden Migranten mit dem Versprechen einer goldenen Zukunft inklusive Haus bzw. Wohnung und Gesundheitsversorgung nach Deutschland gelockt, Tausende werden weiter auf der „Mittelmeerroute“ ertrinken, wenn die angeblichen „Seenotrettungsschiffe“ doch nicht so schnell kommen, wie die Menschenhändler beim Abkassieren versprochen haben. Solange der Flüchtlingsmagnet Deutschland wirkt, werden sich weiter illegale Einwanderer auf den Weg machen und die soziale Lage in Deutschland weiter dramatisch verschärfen. 

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