In der Republik selbst haben Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache die dortigen Medien mit einem neuen Stil bekannt gemacht. In aller Ruhe und sehr konzentriert verhandelten sie mit ihren Vertrauten und Experten. Dem alten Spiel, das die Medien in Wien und den Landeshauptstädten bisher immer genauso spielten wie in Berlin, entzogen sie den Boden: durch fast lückenlose Vertraulichkeit. So fehlte den Medien der Stoff, mit dem sie innerparteiliche Opponenten gegen Kurz und Strache, andere Interessen in den Kammern, Bünden, Länderregierungen und so weiter gewohnt waren, gegeneinander in Stellung bringen zu können.
Dieses alte Spiel lief auch deshalb ins Leere, weil die ÖVP Kurz bei seiner Wahl zum Vorsitzenden (Parteiobmann) mit den von ihm ausbedungenen Vollmachten ausstattete, die seine (formelle) Handlungsfähigkeit garantierte, wie sie seit Bruno Kreisky (informell) kein österreichischer Parteichef mehr hatte.
- Über die Zusammensetzung der Liste Kurz der „neuen Volkspartei“ mit der neuen Farbe Türkis entschied Kurz allein.
- 36 der 62 Mitglieder des Nationalrats der neuen ÖVP sind neu im Parlament, darunter etliche Quereinsteiger.
- Sieben der acht künftigen ÖVP-Kabinettsmitglieder kommen erstmals ins Amt, vier sind Frauen.
- Bei der Personenauswahl spielten zum ersten Mal die alten Machtzentren der alten ÖVP keine Rolle: die berufsständischen Bünde und die Landesverbände.
- Alle EU-relevanten Kompetenzen liegen in Zukunft in ÖVP-Ressorts. Kurz hat mit Strache zusammen dieses öffentlich heiße Thema maximal entschärft.
Auf dem Internetportal des Boulevardblattes Österreich schreibt dessen Herausgeber Wolfgang Fellner unter anderem:
„Der weiße Rauch der Zigaretten von HC Strache ist aufgestiegen, der Hund von Präsident Van der Bellen hat nicht zugebissen – wir haben nach nur 60 Tagen seit der Wahl eine neue Regierung. Selten war eine Koalitionsverhandlung so professionell, so zielorientiert, auch so amikal wie diese für Türkis-Blau …
Noch klingt das Regierungs-Programm etwas (zu) verhalten. Noch fehlen die großen Visionen etwa in der Bildung, bei der Steuerentlastung, auch bei der direkten Demokratie. Diese Regierung geht ihren Job vorsichtig, jedenfalls nicht rechtsextrem oder ultrakonservativ an. Das ist durchaus gut so.“
Kurz und Strache haben mit ihren Leuten offensichtlich persönlich und sachlich in einem Stil verhandelt, der Vertrauen schuf. Können die beiden Teams diesen Stil im Großen und Ganzen in den kommenden fünf Jahren fortsetzen, täte dies einer neuen Politik gut und könnte sogar erzieherisch auf den Stil der Medien ausstrahlen. Journalisten, die ohnedies lieber kritisch in der Sache berichten und kommentieren wollen, bekämen eine echte Chance gegenüber jenen, die von Streit und Skandälchen von Personen leben.
Die hübscheste Frage bei der Präsentation stellte der Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen: Welche Bedeutung die Wahl des Präsentationsortes am Kahlenberg habe. Außer Kurz und Strache dürften die meisten im Raume die Frage nicht verstanden haben. Die Schlacht am Kahlenberg 1683 war der Beginn vom Ende des Osmanischen Reiches. Kurz‘ Antwort war kurz und typisch (Strache lächelte verschmitzt), er habe so manches in den Verhandlungen beeinflusst, die Wahl des Kahlenbergs nicht (von ihm hat man übrigens einen prächtige Ausblick auf die Stadt).
Auf Welt online ist zu lesen: „Per Twitter forderte der Präsident das neue Kabinett dazu auf, proeuropäisch zu agieren.“ Damit folgt die Welt dem verengten Blickwinkel vieler deutscher Medien, die neue Regierung in Wien an ihrer Distanz zu Merkels und Macrons EU-Politik zu messen. Wahr ist vielmehr, dass Kurz, Strache und van der Bellen in allen Phasen der Verhandlungen kontinuierlich miteinander sprachen, so dass der Bundespräsident und die Verhandlungsführer stets wussten, was die eine Seite von der anderen erwarten durfte. Den von WON genannten Tweet ließ van der Bellen erst los, nachdem sich die drei über alle EU-relevanten Fragen einig waren.
Für die Spitzenpersonen der Oppositionsparteien wie vom Krach lebende Journalisten wären das schlechte Nachrichten. Aber so ist das Leben.
Fußnote: Auf eine Kommentierung des Regierungsprogramms verzichte ich, hier können Sie sich selbst ein Bild machen. Über die öffentlichkeitsträchtigen Punkte im Regierungsprogramm schreibe ich getrennt.