Tichys Einblick
Regierungsprogramm

Österreich: Türkis-blaue Regierung mit neuem Stil

Bei der gemeinsamen Präsentation vor der Presse legten Kurz und Strache Wert auf einen unaufgeregten Start: Sie könnten und wollten nicht alles anders machen, aber vieles besser.

© Alex Halada/AFP/Getty Images

In der Republik selbst haben Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache die dortigen Medien mit einem neuen Stil bekannt gemacht. In aller Ruhe und sehr konzentriert verhandelten sie mit ihren Vertrauten und Experten. Dem alten Spiel, das die Medien in Wien und den Landeshauptstädten bisher immer genauso spielten wie in Berlin, entzogen sie den Boden: durch fast lückenlose Vertraulichkeit. So fehlte den Medien der Stoff, mit dem sie innerparteiliche Opponenten gegen Kurz und Strache, andere Interessen in den Kammern, Bünden, Länderregierungen und so weiter gewohnt waren, gegeneinander in Stellung bringen zu können.

Dieses alte Spiel lief auch deshalb ins Leere, weil die ÖVP Kurz bei seiner Wahl zum Vorsitzenden (Parteiobmann) mit den von ihm ausbedungenen Vollmachten ausstattete, die seine (formelle) Handlungsfähigkeit garantierte, wie sie seit Bruno Kreisky (informell) kein österreichischer Parteichef mehr hatte.

Auf dem Internetportal des Boulevardblattes Österreich schreibt dessen Herausgeber Wolfgang Fellner unter anderem:

Der weiße Rauch der Zigaretten von HC Strache ist aufgestiegen, der Hund von Präsident Van der Bellen hat nicht zugebissen – wir haben nach nur 60 Tagen seit der Wahl eine neue Regierung. Selten war eine Koalitionsverhandlung so professionell, so zielorientiert, auch so amikal wie diese für Türkis-Blau …

Noch klingt das Regierungs-Programm etwas (zu) verhalten. Noch fehlen die großen Visionen etwa in der Bildung, bei der Steuerentlastung, auch bei der direkten Demokratie. Diese Regierung geht ihren Job vorsichtig, jedenfalls nicht rechtsextrem oder ultrakonservativ an. Das ist durchaus gut so.“

Kurz und Strache haben mit ihren Leuten offensichtlich persönlich und sachlich in einem Stil verhandelt, der Vertrauen schuf. Können die beiden Teams diesen Stil im Großen und Ganzen in den kommenden fünf Jahren fortsetzen, täte dies einer neuen Politik gut und könnte sogar erzieherisch auf den Stil der Medien ausstrahlen. Journalisten, die ohnedies lieber kritisch in der Sache berichten und kommentieren wollen, bekämen eine echte Chance gegenüber jenen, die von Streit und Skandälchen von Personen leben.

Austria Felix
Österreich: neue Regierung
Der größten Gefahr ist sich Sebastian Kurz bewusst, jener der überhöhten Erwartungen, die auch besteht, wenn er selbst sie gar nicht schürt. Dass in den Verhandlungen auch darüber gesprochen wurde, dokumentiert ein Satz von Heinz-Christian Strache – ganz sicher im Einvernehmen mit Kurz – bei der gemeinsamen Präsentation vor der Presse: „Wir wissen beide, dass wir keine Zauberer und Wunderwuzzis sind.“ Noch ein Satz von Strache unterstreicht das Interesse der beiden Regierungspartner in spe an einem unaufgeregten Start: Sie könnten und wollten nicht alles anders machen, aber vieles besser. Eine Ansage mit Stil.

Die hübscheste Frage bei der Präsentation stellte der Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen: Welche Bedeutung die Wahl des Präsentationsortes am Kahlenberg habe. Außer Kurz und Strache dürften die meisten im Raume die Frage nicht verstanden haben. Die Schlacht am Kahlenberg 1683 war der Beginn vom Ende des Osmanischen Reiches. Kurz‘ Antwort war kurz und typisch (Strache lächelte verschmitzt), er habe so manches in den Verhandlungen beeinflusst, die Wahl des Kahlenbergs nicht (von ihm hat man übrigens einen prächtige Ausblick auf die Stadt).

Auf Welt online ist zu lesen: „Per Twitter forderte der Präsident das neue Kabinett dazu auf, proeuropäisch zu agieren.“ Damit folgt die Welt dem verengten Blickwinkel vieler deutscher Medien, die neue Regierung in Wien an ihrer Distanz zu Merkels und Macrons EU-Politik zu messen. Wahr ist vielmehr, dass Kurz, Strache und van der Bellen in allen Phasen der Verhandlungen kontinuierlich miteinander sprachen, so dass der Bundespräsident und die Verhandlungsführer stets wussten, was die eine Seite von der anderen erwarten durfte. Den von WON genannten Tweet ließ van der Bellen erst los, nachdem sich die drei über alle EU-relevanten Fragen einig waren.

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Es würde mich nicht wundern, wenn Bundespräsident, Kanzler und Vizekanzler hier schon eine Routine der andauernden Zusammenarbeit gefunden hätten, von der sie noch gar nicht wissen, dass eine in der Sache ruhige große Gemeinsamkeit der österreichischen Politik einen neuen Stil bescheren könnte – bei der der politische Einfluss des Präsidenten größer ausfiele, als van der Bellen selbst erwartet hat. Am Ende werden die drei noch „best friends“. Dem persönlichen Stil von Sebastian Kurz entspräche das, dem des inzwischen als Staatsmann agierenden Heinz-Christian Strache auch und dem des nie zum Krach neigenden Alexander van der Bellen ebenfalls.

Für die Spitzenpersonen der Oppositionsparteien wie vom Krach lebende Journalisten wären das schlechte Nachrichten. Aber so ist das Leben.

Fußnote: Auf eine Kommentierung des Regierungsprogramms verzichte ich, hier können Sie sich selbst ein Bild machen. Über die öffentlichkeitsträchtigen Punkte im Regierungsprogramm schreibe ich getrennt.

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