Es ist das Jahr 2014. Die Grünen haben im letzten Wahlkampf eine herbe Schlappe verbucht. Jürgen Trittin sieht sich nach einem linkslastigen Wahlkampf, der sich um Steuern und Abgaben dreht, herber Kritik ausgesetzt. Obwohl es zu kurzzeitigen Verhandlungen zwischen Union und Grünen kommt, gehen diese nicht über Sondierungen hinaus. Der Eindruck bleibt: Die Grünen sind geschwächt. Nur der Rauswurf der FDP aus dem Parlament wiegt schlimmer. Die Große Koalition, die über eine Zweidrittelmehrheit verfügt, kann vor Kraft kaum laufen. Die Oppositionsparteien sind marginalisiert. Die AfD verfehlt knapp den Einzug ins Parlament. Rund 16 Prozent der Wähler werden im neuen Bundestag gar nicht abgebildet.
Doch die politische Schwäche der Grünen ist kaum von Belang. Der grüne Geist ist längst in die Ministerien eingezogen. Die wiedergewählte Bundeskanzlerin Merkel hatte spätestens 2011 eine entscheidende Wende vollzogen, als sie den Ausstieg aus der Atomkraft ankündigt. Sie setzt die Energiewende um, welche die Grünen vorgedacht haben. Die CDU wird später einen Wahlslogan lancieren, dass sie es gewesen sei, die den Atomausstieg durchgesetzt hat.
Der bekanntere von ihnen ist Rainer Baake. Einer der Vordenker der Energiewende und als Staatssekretär im Bundesumweltministerium unter Rot-Grün tätig. Gabriel beruft also ausgerechnet jenen Mann zur rechten Hand, der sich für das Erneuerbare-Energien-Gesetz verantwortlich zeigt. Zwischen seinen Posten als Staatssekretär im BMU und BMWi war er Chef von gleich zwei grünen NGOs. 2006 bis 2012 war er Co-Geschäftsführer der DUH an der Seite von Jürgen Resch. 2012 gründete er die Agora Energiewende und war deren erster Direktor. Bei der Denkfabrik herrscht Jubelstimmung. Baake: ein Staatssekretär mit grünem Parteibuch im roten Ministerium.
Doch das sollte nicht verwundern. Gabriel belässt auch den FDP-Mann Stefan Kapferer auf seinem Posten. Vorerst. Auf ihn folgt im Oktober 2014 Matthias Machnig. Er hat wie Gabriel ein rotes Parteibuch – und war unter Gabriel bereits Staatssekretär im Umweltministerium. Und es gibt noch eine Verbindung: Machnig sitzt im Rat der Agora. Eben jene Organisation, die sein Kollege Baake zwei Jahre zuvor ins Leben gerufen hat. Baake legt 2014 bei seiner Berufung sein Amt als Direktor nieder, ihm folgt Patrick Graichen, der zuvor im Umweltministerium arbeitete.
Dass Machnigs Mitgliedschaft im Agora-Rat keine bloße Formalie ist, zeigt der Umstand, dass der Staatssekretär im Mai 2017 einen Impulsvortrag bei der Agora-Veranstaltung „Konferenz Energiewende und Industriepolitik“ hält. Die Keynote kommt vom damaligen Bundeskanzleramtschef Peter Altmaier – der ein Jahr später Bundeswirtschaftsminister wird. Ansprechpartner der damaligen Veranstaltung ist der „Projektleiter Grundsatzfragen“ der Agora, Michael Schäfer. Er ist zugleich der Trauzeige von Agora-Direktor Graichen – und wird sechs Jahre später (fast) Chef der Deutschen Energie-Agentur. Es ist überdies nicht das erste Mal, dass Altmaier in Kontakt mit der Agora tritt. Bereits 2016 hält er die Rede bei der Eröffnung des neuen Büros von Agora Verkehrswende, Agora Energiewende und Clean Energy Wire.
Denn die Welt berichtet auch: Der Kontakt zwischen Gabriel und Baake riss nie ab, obwohl Baake nur zwei Monate als Staatssekretär im Umweltministerium unter diesem gearbeitet hatte. Zitat: „Gelegentlich trafen sie sich während Baakes Zeit bei der Deutschen Umwelthilfe zum Abendessen.“ Und Merkel fragte beim Netzausbau nach, was denn Baake davon halte. Bereits 2014 schriebt dieselbe Zeitung über das Zusammenspiel von Agora und BMWi:
„Die Reform des EEG basiert zu einem großen Teil auf seinen Agora-Ideen. Im Eckpunktepapier des Ministeriums finden sich noch Grafiken im Corporate Design von Agora.“
Und:
„Lange Zeit kämpfte das BMWI gegen eine Energiewende – und damit gegen Baake. Jetzt sitzt der Feind im eigenen Haus. […] Jetzt würden die Schaltstellen in der Energieabteilung mit linientreuen Beamten aus dem Umweltministerium besetzt. Von einer ‚feindlichen Übernahme‘ ist die Rede.“
Aus einer Anfrage der Linkspartei aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass Baake allein im Jahr 2014 sich fünfmal mit Graichen berät. In den Arbeitsgruppen der Ministerien ist die Agora nunmehr ständig präsent. Bei den Arbeitsgruppen „Plattform Energiegesetze“, „Plattform Strommarkt“ und „Plattform Energieeffizienz“ schickt sie einen Vertreter. Aus einer FDP-Anfrage aus dem Jahr 2018 geht hervor, dass die Agora in diesem Zeitraum auch Mitglied der Arbeitsgemeinschaften „Netzplanung“, „Systemsicherheit“ und „Intelligente Netze und Zähler“ war, die der BMWi-Plattform Energienetz angehörten.
Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich bei der DUH. 2014 gibt es vonseiten Baakes Gespräche mit Jürgen Resch und Sascha Müller-Kraenner. Wie die Agora entsendet sie Vertreter bei den Arbeitsgruppen „Plattform Strommarkt“, „Plattform Energiegesetze“ und „Plattform Energieeffizienz“. Zusätzlich wird sie zum Runden Tisch „Erdgasmobilität“ eingeladen.
Es zeigt sich neuerlich: Jeder wusste davon, aber niemand tat etwas. Die Grünen übernahmen das Wirtschaftsministerium, ohne eine einzige Wahl gewinnen zu müssen. Merkel wie Gabriel legten die deutsche Wirtschaft in die Hände Baakes – und damit auch in die Hände von Agora und DUH. Der Kontakt zu alten Bekannten brach nie ab. Doch mit der politisch-ideologischen Beeinflussung ist es womöglich nicht getan.
Wie anfangs erwähnt: Wir schreiben das Jahr 2014. Es ist dasselbe Jahr, in dem ein millionenschwerer Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums ausgeschrieben wird. Es geht um maximal 2,8 Millionen Euro. Pro Jahr. Stichwort: Bürgerdialog Stromnetz. Die Energiewende kommt die Deutschen teuer zu stehen. Das betrifft nicht nur die steigenden Strompreise. Mit dem Ausbau der „Erneuerbaren“ im Norden und dem Abbau der Atomkraft im Süden sind gewaltige Stromtrassen quer durch die Republik nötig. Dazu müssen die Bürger per Nudging überzeugt werden. Das hat zwar mit einem „Dialog“ wenig zu tun, aber ändern kann der Souverän sowieso nichts. Die Regierung und der Bundestag haben es beschlossen.
Das BMWi schüttet deshalb rund 3 Millionen Euro aus, um den Leuten zu erklären, warum der Strom teurer und ihre Landschaft verschandelt wird. Der Auftrag wird europaweit ausgeschrieben. Die Auftragsbekanntmachung erfolgt am 23. Juli 2014. Den Zuschlag erhält ein Dreierkonsortium. Ein Mitglied des Konsortiums ist dabei ausgerechnet die DUH. Jene NGO, die der Staatssekretär Rainer Baake von 2006 bis 2012 als Co-Geschäftsführer mitgeleitet hat. Eigentlich eine Nachricht mit Sprengkraft. Dem deutschen Mediendschungel entgeht sie komplett. Die DUH, die 2015 und 2016 mit dem Staat kämpft, weil sie Fahrverbote durchsetzen will und im Zuge der „Dieselaffäre“ eine Kampagne nach der nächsten fährt, handelt im direkten Auftrag des Staates und wird von ihm bezahlt.
Der fraktionslose Abgeordnete Mario Mieruch, der bereits im Januar 2018 aufdeckte, dass die DUH hunderttausende Euro Projektzuschüsse aus den Bundesministerien erhielt, stellt deswegen im April desselben Jahres eine Frage zum Bürgerdialog. Er will wissen, wie viel Geld die DUH denn nun genau bekommt. Die Antwort:
„Der Rahmenvertrag über den Bürgerdialog Stromnetz hat einen breit angelegten gesellschaftlichen Dialog mit allen Beteiligten über den für das Gelingen der Energiewende dringend erforderlichen Ausbau der Energieinfrastruktur zum Ziel. Dazu zählen Bürgerbüros, ein Dialogmobil, verschiedene Dialogformate vor Ort und im Internet, Mediation und Öffentlichkeitsarbeit. Die Auftragnehmer haben keinen Anspruch auf Abruf eines bestimmten Auftragsvolumens aus dem Rahmenvertrag und damit keinen Anspruch auf eine feste Vergütung. Der Rahmenvertrag sieht für alle Einzelleistungen definierte Vergütungen vor. Einzelne vertraglich vereinbarte Vergütungen betreffen verfassungsrechtlich geschützte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Auftragnehmer. Unter Abwägung zwischen diesen verfassungsrechtlich geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der Auftragnehmer einerseits und dem Auskunftsanspruch des Deutschen Bundestages andererseits hat die Bundesregierung die erfragten Informationen zum Vertrag über die Initiative Bürgerdialog Stromnetz als „VS – VERTRAULICH“ eingestuft und der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages übermittelt.“
Auch eine solche Antwort wäre in der Presselandschaft üblicherweise eine Bombe. Sie wird nur vom Focus lanciert. Bis 2020 bleibt der Rahmenvertrag in der Hand des Dreierkonsortiums, dem neben der DHU die IKU GmbH und die Hirschen Group angehören. Mieruch versucht es weiter: Gab es Mitbewerber bei der Auftragsvergabe? Und wenn ja, welche waren das? Neuerlich mauert das Ministerium: geschützte Geschäftsgeheimnisse, Grundrechte beteiligter Unternehmen, VS – Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestags. Die Geschäftsgeheimnisse der Profiteure sind wichtiger als die Information, wo die Steuergelder des Souveräns hinfließen und mit welchem Recht.
Heute konstatiert Mieruch: „Während die aufgedeckten Fördergelder an die DUH noch so viel Aufmerksamkeit generierten, dass viele große Medien darüber berichteten, wollte so gut wie keiner weiter über die sich dahinter abzeichnenden Strukturen berichten. In meinem Wahlkreis wurde nicht nur dieses Thema von der heimischen Presse mit der Begründung abgelehnt, es wäre bundespolitisch und hätte keinen regionalen Bezug. Nun, heute zeigt sich, wie sehr das Thema auf alle Regionen einwirkt.“
Mieruch kontaktiert Medien und Verbände. Aber als fraktionsloser Abgeordneter hat man damals eben keine Lobby. Obwohl er in Anfragen aufdeckt, dass die Ausmaße des Öko-Netzes größer sind als gedacht, geht man im Journalismus bald wieder zum Tagesgeschäft über. Die DUH ist irgendwann ein ausgelaugtes Thema. Dass die grüne Lobby fortbesteht und in den Ministerien schaltet und waltet, geht unter. „In Gesprächen mit Pressevertretern hörte ich nach meinen Schilderungen, was da im Hintergrund unseren Parlamentarismus unterminierte, oft: ‚oh, spannend!‘, und dann nichts weiter“, sagt Mieruch. „Dabei wäre es ureigenster Journalismus gewesen, hier sofort weitere Recherchen anzustellen.“
Acht weitere Bieter gab es, doch ausgerechnet das Dreierkonsortium kommt zum Zuge, das mit der Öko-Lobby verknüpft ist. Unter einem grünen Staatssekretär in einem Ministerium, das sturmreif für DUH und Agora geschossen wurde und der Pate der Energiewende als rechte Hand des Ministers sitzt. Man könnte konstatieren: vergangene Geschichten, die keinen mehr interessieren. Doch es sind Geschichten, die der aktuellen sehr ähneln. Weil es eine ungebrochene Kontinuität gibt, wie die Öko-Lobby agiert, wer ihr angehört und wo sie steht.