Auf den ersten Blick mutet es sicher merkwürdig an, wenn jemand behauptet, totalitäre Regime hätten Einfluss auf die Ausübung von Grundrechten in Deutschland, insb. auf die Meinungsfreiheit. Blicken wir auf Fakten:
„YouTube hat angekündigt, zahlreiche vermeintlich medizinische Inhalte zum Coronavirus zu löschen. Dabei geht es um Fehlinformationen über die Verbreitung und Behandlung von Covid-19, die den offiziellen Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) widersprechen,“ berichteten zahlreiche Medien im April 2020. Die YouTube-Chefin Susan Wojcicki erklärt dies damals in einem Interview mit CNN. Das kategorische Verbot, eine medizinische These zu vertreten, die nicht von der WHO gebilligt wurde, ist ein eindeutiger Verstoß gegen die Wissenschaftsfreiheit, gegen die Meinungsfreiheit und gegen die Pressefreiheit.
Die WHO ist eine Koordinationsbehörde der Vereinten Nationen. Die Vereinten Nationen sind ein wichtiges Organ, ihre Mitglieder sind aber zu einem großen Teil keine Demokratien. Nach dem „Demokratie-Index“ der britischen Zeitschriftg „Economist“ sind mehr als ein Drittel der Mitglieder der UN autoritäre Regime, mit Hybridregimen bezieht sich der Anteil an den UN-Mitgliedern auf deutlich über 50%, vollständige Demokratien sind in der Minderheit. Die (wissenschaftlichen) Positionen einer Koordinationsbehörde der Vereinten Nationen, deren Mitgliedermehrheit nicht demokratisch legitimiert ist, kann nicht der Maßstab für die Reichweite der Grundrechte in einem demokratischen Rechtsstaat sein. Dies würde nicht mehr und nicht weniger bedeuten, als dass autoritäre Regime jedenfalls mittelbar ein wesentliches Mitspracherecht bzgl. dessen haben, was in Deutschland erlaubt ist und was nicht. Soweit die „Richtlinien“ von YouTube maßgeblich wären.
Fraglos hat die Aluhutdichte in den sozialen Medien mit Beginn der Pandemie drastisch zugenommen. Strafbare und falsche Inhalte dürfen dann gelöscht werden, es gibt kein Grundrecht dafür, Falschbehauptungen zu verbreiten. Aber die unverrückbare Grenze setzt die Meinungsfreiheit.
Den Lösch-Tsunami bei YouTube in Zusammenhang mit Covid haben viele mittelbar oder unmittelbar miterlebt. Es genügte oft, das Covid erwähnt wurde oder der Name eines Wissenschaftlers, dessen Thesen hier und da unpopulär waren und schon war die Verwarnung dar, dann die zweite und dann war der Kanal weg. Ebenso wäre es auch einem Kanalbetreiber aus der Nähe von Chemnitz ergangen, der eine aufwendig produzierte Reportage über eine Demonstration gegen die „Corona-Maßnahmen“ aus dem Kanton Schwyz veröffentlichte. Journalisten berichten über Ereignisse und machen sich den Gegenstand der Berichterstattung nicht zu eigen. Wenn „Spiegel-TV“ die Reichsbürger interviewt, macht sich der Reporter die Thesen des Interviewpartners nicht zu eigen. Dass man so etwas überhaupt erwähnen muss, liegt daran, dass YouTube das 25minütige Video wegen einer 5sekündigen Äußerung eines interviewten Demonstranten löschte („Die WHO hat doch gesagt, Covid sei wie die Grippe, oder?“). Zu zeigen, wie Menschen denken und argumentieren, ist originäre Aufgabe des Journalismus.
Das Landgericht Chemnitz allerdings bewertete die Löschung gerechtfertigt, das Oberlandesgericht Dresden verbot sie mit einstweiliger Verfügung. Das war am 20.04.2021 und es dauerte bis zum 14.05.2021, bis das Video bei YouTube wieder online war.
Das hatte jetzt spürbare Konsequenzen. Wird ein gerichtliches Verbot, hier die einstweilige Verfügung, verletzt, kann ein Ordnungsmittelantrag gestellt werden. Das Ordnungsgeld kann bis zu € 250.000,00 betragen, auch Ordnungshaft bis zu 6 Monaten ist möglich. In der Praxis sind die Ordnungelder häufig niedrig, Beträge im sechsstelligen Bereich Ausnahmen.
Das gerichtliche Verbote ohne Wenn und Aber einzuhalten sind, leuchtet jedermann ein, der die Grundregeln eines demokratischen Rechtsstaats akzeptiert. YouTube allerdings wähnt sich offenbar über dem Gesetz. Und teilte dies dem Oberlandesgericht in dem Ordnungsmittelverfahren dann auch noch mit:
„Die Schuldnerin [YouTube] hatte daher die jeweiligen Konsequenzen der Entscheidung des OLG Dresden und ihre Möglichkeiten sorgfältig abzuwägen, bevor sie das Videomaterial für den Abruf durch Dritte wieder bei YouTube einstellte.“
Wir haben darauf erwidert:
„Die Schuldnerin unterstreicht damit erneut ihre Einschätzung, dass sie sich über die unbedingte Beachtung eines gerichtlichen Verbots erhaben wähnt und dies ihrem eigenen Ermessen unterordnet. Der Senat wird diese Haltung zu bewerten haben.“
Und das hat der Senat dann auch getan und ein in dieser Höhe für Löschungen oder Sperrungen auf sozialen Netzwerken noch nie verhängtes – und damit historisches und richtungsweisendes – Ordnungsgeld verhängt. In dem Beschluss des 4. Zivilsenats heißt es:
„Vor dem Hintergrund ist in der Zuwiderhandlung ein vorsätzlicher und – aufgrund der Zeitdauer – auch schwerer Verstoß seitens der Verfügungsbeklagten gegen die Unterlassungsverfügung zu sehen, der – auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Verfügungsbeklagten – die Verhängung eines deutlich höheren Ordnungsgeldes als vom Landgericht angenommen rechtfertigt. Nachdem es sich jedoch auf der anderen Seite um den Erstverstoß seitens der Verfügungsbeklagten handelt, hat der Senat davon abgesehen, das Ordnungsgeld auf den Höchstbetrag festzusetzen, sondern hält im Ergebnis der Gesamtabwägung die Verhängung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 100.000,00 € (noch) für ausreichend.
Sollte das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden können, tritt an dessen Stelle Ordnungshaft.“
Das Verfahren war für den Kanalbetreiber war überhaupt nur möglich, weil dieser einen Sponsor hatte, der nicht genannt wird, die Kosten übernahm, die von YouTube nur nach Gebührenordnung (und damit nicht in der für diese Verfahren erforderlichen Höhe) zu erstatten sind. Ohne diesen Sponsor wäre das Video nicht nur gelöscht geblieben, sondern der Kanal vermutlich mittlerweile auch. Dies gehört zur Wahrheit dazu.
Es sind weitere Ordnungsmittelverfahren gegen Facebook und YouTube anhängig. Die „Welt“ hat online berichtet, der „Spiegel“ ebenfalls. In der Print-Ausgabe der „WAMS“, die ausführlich über diesen Fall berichtet, wird ein an der TU Dortmund tätiger Professor für Medienrecht wie folgt zitiert:
„Grundrechte kann man gegenüber Unternehmen grundsätzlich nicht geltend machen.“
Ich ärgere mich, wenn Personen sich zu diesem Thema äußern, denen es insoweit an der nötigen Sachkunde mangelt. In einer Facebook betreffenden Entscheidung – nur ein Beispiel – hat der Bundesgerichtshof schon im Juni 2020 erkannt (Beschl. v. 23.6.2020 – KVR 69/19):
„Je nach den Umständen, insbesondere wenn private Unternehmen – wie hier – in eine dominante Position rücken und die Bereitstellung schon der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen, kann die Grundrechtsbindung Privater einer Grundrechtsbindung des Staats im Ergebnis vielmehr nahe- oder auch gleichkommen.“
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