Eigentlich ist in Mainz alles gut. Eine Milliarde Euro Steuern hat Impfhersteller Biontech an den Stadtsäckel überwiesen. Mit einem Schlag war die hochverschuldete Landeshauptstadt plötzlich reich. Statt Theater zu schließen, konnte sie plötzlich darüber reden, diese besser auszustatten. Eigentlich dürfte in Mainz keine Wechselstimmung herrschen. Doch am Sonntag gerieten die Mainzer Verhältnisse ins Rutschen: Die Wahl zum Oberbürgermeister ging in die erste Runde: Der parteilose Nino Haase und der Grüne Christian Viering gehen in die Stichwahl – die SPD ist raus.
74 Jahre hat die SPD die Oberbürgermeister gestellt. Darunter die weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Legende Jockel Fuchs. Doch damit ist jetzt Schluss. Gerade mal 13,3 Prozent holte die sozialdemokratische Kandidatin Mareike von Jungenfeld. Nur das viertbeste Ergebnis an diesem Wahlabend. Was ist schiefgelaufen in der Stadt, die in dem mRNA-Impfgeld schwimmt?
Da ist zum einen die Kandidatin. Mareike von Jungenfeld. Sie ist perfekt: jung, weiblich, links. Genau so will Ministerpräsidentin Malu Dreyer die SPD haben. Genau so sieht die SPD das kommende Wahlvolk. Nur das Wahlvolk – das scheint’s anders zu sehen: 13,3 Prozent. Platz vier. Jungenfeld ist 41 Jahre alt. Nach dem Abitur studiert sie Jura und bricht ab, danach erwirbt sie einen Bachelor in Betriebswirtschaftslehre. Dann arbeitet sie für den Landesverband der Partei als Referentin und wird dort für höhere Weihen vorbereitet. Schließlich ist sie als Kandidatin perfekt: jung, weiblich, links. Wenn es denn nur der Wähler einsehen würde.
Zum anderen ist da die sozialdemokratische Politik. Vor allem der Wohnungsbau. Die Stadt ist jetzt dank Biontech reich. Doch das treibt die Mietpreise weiter hoch. Die Sozialdemokraten kündigen seit Jahren an, den sozialen Wohnungsbau stärken zu wollen – und bauen stattdessen ein Luxusviertel nach dem nächsten. Günstige Bestandswohnungen werden auf teuer subventioniert, sodass alte Mieter weichen müssen. Aber es soll ja sozialen Wohnungsbau geben. Bald. Also demnächst. Irgendwann. Ist ja auch nötig. Wirklich. Echt.
Das Mainzer Stadtparlament hat nicht mehr viel zu sagen. Den eigentlichen Handlungsspielraum hat die Politik in die stadtnahen Gesellschaften verlegt. In deren Hinterzimmer haben die Parteien das Sagen. Vor allem die SPD und der Oberbürgermeister. Das gilt auch für die Baugesellschaft, die günstige Wohnungen errichten soll. Bald. Oder für die Verkehrsgesellschaft, die günstige Hilfskräfte für die Busse trainiert, weil das Stammpersonal so teuer geworden ist. Auch hier mischt die SPD mit – und redet anders, als sie handelt.
Die Leute haben von dieser Art politischer Klasse die Schnauze voll. Das bekommt eben diese Klasse 2018 zu spüren. Das Gutenberg-Museum soll einen Bibelturm erhalten, ein hübscher Platz mit schönen Bäumen soll dafür weichen. Hinter diesem Projekt steht eine überwältigende Mehrheit – an Politikern. Die Bevölkerung lehnt es mit zwei Drittel der Stimmen ab. Das liegt auch an dem Wahlkampf. Der ist von Arroganz geprägt. Zu den Gegnern des Bibelturms gehört Nino Haase. Das Scheitern des Projekts ist auch Haases Triumph. Auch und gerade weil ihm die politische Arroganz abgeht und die Bürger ihn als einen der ihren wahrnehmen.
Als gut ein Jahr später der Oberbürgermeister gewählt wird, stellt die CDU den parteilosen Haase als ihren Kandidaten auf. Der holt einen Achtungserfolg, schlägt im ersten Wahlgang die schwache grüne Kandidatin Tabea Rößner, scheitert aber in der Stichwahl an Amtsinhaber Michael Ebling. In einer Partei, die immer mehr von Apparatschicks geprägt wird, ist der ehemalige Ortsvorsteher des Arbeiterstadtteils Mombach der letzte Sympathieträger. Nach der Wiederwahl sieht es so aus, als ob er seine landespolitischen Ambitionen begräbt – weil klar ist, dass die SPD ohne den beliebten Ebling den Chefsessel verlieren wird.
Doch dann kommt die Ahrflut. Dreyer und ihr Innenminister Roger Lewentz (SPD) gehen in dieser Katastrophennacht schlafen. Lewentz muss zurücktreten. Dreyer darf im Amt bleiben. Auch weil ARD und ZDF auf jegliche kritische Berichterstattung über Dreyer verzichten, wie jüngst eine Studie gezeigt hat. Ebling folgt auf Lewentz, soll als Krisenmanager die SPD-Vorherrschaft im Land retten. Die Stadt werde schon rot bleiben. Schließlich ist die Kandidatin der Partei weiblich, jung und links – was soll da schon schiefgehen? Nun: alles.
Die SPD landet auf Platz vier – die CDU auf drei. Dieses mal hat sie eine eigene Kandidatin aufgestellt. Die Dezernentin Manuela Matz. Die schneidet mit 13,5 Prozent kaum besser ab als die SPD-Kandidatin. In die Stichwahl geht nun gegen Haase der grünen Kandidat Christian Viering, der im ersten Wahlgang 21,5 Prozent holte. Haase kann 40,2 Prozent der Wähler auf sich vereinen. Er ist unabhängig. Ähnlich wie die Stadt selbst ist er mit einem Schlag reich geworden. Genauer gesagt mit „Schlag den Raab“. In der Show auf Pro Sieben gewann Haase 2009 drei Millionen Euro gegen Stefan Raab. Er ist also Zweikämpfe gewohnt.