Am 9. und 10. September kommt die CDU zu einem Programmparteitag in Hannover zusammen. Dort soll es etwa um eine faktische Frauenquote gehen und um eine Satzungsänderung, mit der künftig parteiinterne Kritiker leichter ausgeschlossen werden können. Und natürlich will Parteichef Friedrich Merz die Bühne für sich als Oppositionsführer nutzen. Er soll sich – so zumindest die Planung im Adenauer-Haus – als Parteimodernisierer und gleichzeitig als Kanzler im Wartestand präsentieren. Dafür müssten seine Chancen eigentlich gut stehen angesichts des steilen Absturzes von Olaf Scholz und seiner SPD. In letzten Umfragen rangierten die Sozialdemokraten nur noch bei 17 Prozent. Mit der Arbeit des Kanzlers zeigten sich so viele Bürger unzufrieden wie noch nie. Trotzdem – das zeigt eine aktuelle Umfrage des Instituts Civey – sieht nur eine Minderheit in Friedrich Merz den besseren Regierungschef. Schlimmer noch für ihn: eine deutliche Mehrheit hält ihn offenbar generell nicht für kanzlerfähig. Auf die Civey-Frage „kann Friedrich Merz Ihrer Meinung nach die CDU an der Spitze in die nächste Bundesregierung führen?“ antworteten im Erhebungszeitraum von 3. bis zum 5. September 40,6 Prozent „auf keinen Fall“. Weitere 16,4 Prozent meinen: „eher nicht“. Dass Merz die CDU auf jeden Fall ins Kanzleramt führt, meinen nur 19 Prozent, „eher ja“ sagen 14,2 Prozent.
Ganz ähnlich defensiv verhielt sich Merz im ARD-Sommerinterview mit Tina von Hassel am Wochenende. Die Interviewerin präsentierte ihm wieder ein Stöckchen, als sie fragte, wie er als „Chef der deutschen Konservativen“ zu den US-Republikanern stehe, der „Schwesterpartei“. Merz hätte klassischerweise antworten können, der Konservatismus sei eine von drei Wurzeln der CDU neben der liberalen und der sozialen. Auch hätte der Hinweis nahegelegen, Schwesterpartei der CDU sei die CSU, und mit vielen Politikern der Republikaner unterhalte er gute Kontakte. Nicht so Merz: Er antwortete pauschal, die CDU seien „nicht die deutschen Konservativen“, die US-Republikaner keine Schwesterpartei, so, als sei ihm sowohl die Nähe zu dem Begriff ‚konservativ‘ als auch zu der Partei Ronald Reagans generell peinlich. Etwas später erklärte er in dem gleichen Interview, die CDU grenze sich „ganz klar gegen rechts ab“. Die demokratische Rechte, so muss man den CDU-Vorsitzenden verstehen, soll offenbar keine Heimat mehr in der Partei haben.
Während sich Merz von Forderungen nach politischer Abgrenzung treiben lässt, und mit der Debatte um eine Frauenquote in der CDU viel Energie auf ein gesellschaftspolitisches Feld lenkt, liefert er erstaunlich wenig bei harten wirtschaftlichen Themen, die eine Mehrheit der Bürger derzeit bewegt: Energiekrise, Inflation, Rezession. Die Forderung, die drei verbliebenen Kernkraftwerke nicht zum Jahresende abzuschalten, erhob erst FDP-Chef Christian Lindner. Erst dann zog Merz nach. Zu dem weitergehenden Vorschlag, auch die drei 2021 abgeschalteten Kernkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen, rang er sich nicht durch. Es gehe nicht darum, „die alte Kernkraft zurückzuwollen“, beteuerte er kürzlich bei einem Besuch des Kraftwerks Isar 2 an der Seite von Markus Söder. Auch zu der Forderung, Gas in Deutschland durch Fracking zu fördern, mochte sich der Oppositionschef bisher nicht bekennen.
Ein weiterer Parteitagsantrag hat es in sich: er soll den Umgang mit CDU-internen Kritikern neu regeln, das heißt: verschärfen. Künftig soll es leichter werden, Abweichler wegen parteischädigenden Verhaltens hinauszuwerfen. In dem Antrag heißt es:
„Parteischädigend verhält sich insbesondere, wer in Versammlungen politischer Gegner, in deren Rundfunksendungen, Fernsehsendungen, Internet-Kanälen (z.B. YouTube-Channels, Podcasts) oder Auftritten in sozialen Medien oder Presseorganen gegen die erklärte Politik der Union Stellung nimmt; in sozialen Medien gegen die CDU und ihre Repräsentanten nachdrücklich und fortgesetzt Stellung nimmt und dabei erhebliche Verbreitung erlangt (und) den Namen der Partei für sich oder eine Organisation in der Absicht verwendet, der Partei Schaden zuzufügen“.
Die Formulierung zielt zum einen eindeutig auf Mitglieder der Werte-Union, einer kleinen konservativen Truppe innerhalb der Partei, die ohnehin praktisch keinen Einfluss besitzt. Zum anderen erstaunt die Formulierung bestimmte „Rundfunksendungen, Fernsehsendungen, Internetkanälen“ als Medien der „politischen Gegner“ zu kennzeichnen. Die neue Regelung scheint also vor allem auf CDU-Politiker gemünzt, die sich abseits der alteingesessenen Medien kritisch zum Kurs ihrer Partei äußern.
Genau das spiegelt sich in der Umfrage zu Merz‘ Kanzler-Aussichten wieder. Eine Mehrheit traut ihm die Führung nicht zu, weil sie spürt: der Oppositionschef traut sich selbst nicht.