Die Tornado-Flotte der Luftwaffe ist in die Jahre gekommen. Sie soll durch 45 Kampfflugzeuge des Typs F18 von Boeing und bis zu 93 Eurofightern von Airbus ersetzt werden. Eine endgültige Kaufentscheidung fällt frühestens 2022 durch den nächsten Bundestag. In der Bundespolitik ist man sich aber mal wieder nicht einig. Das gäbe Gelegenheit, sich auch andere Lösungsmöglichkeiten durch den Kopf gehen zu lassen.
Die für sich schon delikate Frage, ob beim zunehmend schwierigen Bündnispartner USA Milliarden für Waffen ausgegeben werden sollen, wird überlagert von einer Fragestellung strategischer Bedeutung: die nach der nuklearen Teilhabe. Darüber steht nicht weniger als die sicherheitspolitische Rolle Deutschlands in der NATO zur Debatte. Anders ausgedrückt: Wie soll es Deutschland künftig halten mit den hier stationierten US-Atomwaffen, die im Ernstfall mit Kampffliegern der Luftwaffe ins Ziel gebracht werden sollen. Und nach der Tornado-Ausmusterung eben mit dessen Nachfolgesystem.
Rückblick: Adenauer und Strauß für Nuklearbewaffnung
Die junge Bundesrepublik hatte sich verpflichtet, auf atomare, biologische und chemische Waffen zu verzichten. Angesichts der Bedrohung durch die Sowjetunion verfolgten Konrad Adenauer und sein Atomminister (später Verteidigungsminister) Franz Josef Strauß aber im Hintergrund die Idee eines eigenen Nukleararsenals. Seit Mitte 1955 waren US-Atomwaffen in Deutschland stationiert. Latente Zweifel an den Sicherheitsgarantien der Amerikaner nahmen mit dem Sputnik-Schock von 1957 zu. Damit demonstrierten die Sowjets, dass sie mit Interkontinentalraketen auch die USA erreichen konnten. Opfern die Amerikaner New York im nuklearen Schlagabtausch für Frankfurt oder München wurde zur Schicksalsfrage erhoben.
Wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatten die Alliierten allerdings alles andere im Sinn, als den Deutschen die Verfügungsgewalt über Atomwaffen zuzugestehen. Als Alternativlösung wurde gemeinsam mit Frankreich und Italien eine europäische Nuklearbewaffnung ins Auge gefasst. Die US-Präsidenten John F. Kennedy wie auch dessen Nachfolger Lyndon B. Johnson wollten jedoch die Weiterverbreitung von Atomwaffen begrenzen und die NATO stärken. Nicht zuletzt sollte auch der Einfluss der USA in Europa gewahrt und das Entstehen eines europäischen Blocks außerhalb der NATO verhindert werden.
Mit einer nuklearen Nato-Planungsgruppe wurde 1966 die politische Mitwirkung formalisiert. Dieses Gremium gilt der Regierung auch heute noch als zentrales Argument gegen die Aufgabe der nuklearen Teilhabe. An den strategischen Diskussionen und Planungen zur nuklearen Abschreckung teilzuhaben, liegt heute wie früher im ureigensten Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Sich aus der militärischen Mitverantwortung zu verabschieden und gleichzeitig am Tisch der Entscheider sitzen bleiben zu wollen, wird aber nicht funktionieren.
Zu Hochzeiten des Kalten Krieges hatten die USA bis zu 7.300 Sprengköpfe für nukleare Artillerie und Flugzeuge in Europa stationiert, heute dürften noch etwa 150 taktische US-Atomwaffen auf dem alten Kontinent lagern. Die letzten bei uns verbliebenen ca. 20 Bomben vom Typ B-61 lagern auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel, bewacht von einer eigens dafür stationierten US-Einheit.
Alte Debatte in neuem Gewand
Mit der Ablehnung durch Teile der SPD wird eine Debatte wieder losgetreten, die an den Doppelbeschluss unter Kanzler Helmut Schmidt erinnert. Die Fronten kommen einem bekannt vor: Eine zunehmend friedensbewegte, im Inneren zerrissene SPD arbeitet sich an einer Nachrüstungsfrage ab, die Konservativen verlangen eine wenn man so will Nachrüstung (diesmal lediglich als Ersatz vorhandener Flugzeuge) gegen eine erneut zunehmende nukleare Bedrohung aus dem Osten. Der INF-Vertrag wurde von Trump mit Verweis auf russische SSC-8 Marschflugkörper gekündigt, die mit ihrer Reichweite Zentraleuropa bedrohen. Immerhin entspricht dies dem strategischen Konzept der NATO aus dem Jahre 2010. Die NATO hatte auch unter Präsident Obama an der erweiterten Abschreckung ebenso wie der nuklearen Teilhabe festgehalten. Schon damals konnte sich Außenminister Westerwelle nicht mit seiner Forderung nach Abzug der Atomwaffen von deutschem Boden durchsetzen.
Unbeschadet dessen arbeitet die SPD-Spitze an einer atomwaffenfreien Zone Deutschland. Dass daraus eine Verunsicherung des ganzen Kontinents entstehen würde, wird in Kauf genommen. Man tut aber so, als würde nach Abschaffung der nuklearen Teilhabe nichts weiter passieren: Die Deutschen ersetzen die Flugzeuge nicht, die diese Waffen tragen können, die Amerikaner gehen nach Hause und alles ist gut. Der sicherheitspolitische Ansehens- und Vertrauensverlust Deutschlands nähme jedoch abermals zu. Dass Polen gerne in diese Bresche springen würde und neue fundamentale Spannungen mit Russland entstehen müssten, spielt keine Rolle.
Die Kernfrage einer nuklearen Bedrohung wird ausgeklammert. Dabei liegt der Sachverhalt unverhüllt auf dem Tisch: Wladimir Putin hat in den vergangenen Jahren Abrüstungsverträge gebrochen, internationale Verpflichtungen missachtet und mit Gewalt Grenzen in Europa verändert. Er investiert in Nuklearsysteme, die für Europa eine zentrale Bedrohung darstellen. Was sollte in dieser Lage die einsame Abkehr Deutschlands von der nuklearen Abschreckung bewirken? Russland ist damit sicher nicht zu beeindrucken, unsere osteuropäischen Partner aber sehr wohl. Sie würden daraus eigene Signale ableiten.
Ersatz für das Waffensystem Tornado
Die nukleare Teilhabe soll nach dem Willen von CDU/CSU denn auch fortgesetzt werden. Demzufolge hat Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer den politischen Willen bekundet, bei den Amerikanern F18-Kampfflugzeuge als Nachfolger für die bis in die 90er Jahre eingeführten Tornado-Flieger zu beschaffen. Alternative Eurofighter müssten erst in einem jahrelangen Prozess dafür ausgerüstet und von den Amerikanern zertifiziert werden.
Nun sucht die Luftwaffe also nach Ersatz. Eigentlich hat es ihr die F 35 angetan, das modernste Kampfflugzeug der US-Luftstreitkräfte. Selbst SPD-Verteidigungspolitiker äußerten Unverständnis, warum Deutschland nicht wie viele andere Nato-Partner diesen aktuellen US-Kampfflieger beschaffe und sich stattdessen mit der F 18 „lediglich für das zweitmodernste Flugzeug“ entscheide. Die F 35 hat jedoch im Verteidigungsausschusses keine Chance. Mit deren Kauf würde man die Franzosen vergrätzen, auch die eigene Luftfahrtindustrie gewänne mit dessen Nachbau keine neuen Fähigkeiten. Schließlich wird für die fernere Zukunft ab 2040 das FCAS mit Frankreich entwickelt, die Verträge sind geschlossen. Demzufolge wird lediglich eine Übergangslösung gesucht, bis das neue europäische Vielzweckwunderflugzeug die Aufgabe übernehmen kann.
Keine Begeisterung der Luftwaffe
Als alternative Lösung käme auch der Eurofighter in Betracht. Die Zweifel sind allerdings groß, ob dieser rechtzeitig umgerüstet werden könnte, um die nukleare Teilhabe unterbrechungsfrei zu gewährleisten. Dem Tornado wird nur noch eine Lebensdauer bis 2025 gegeben, danach soll das Flugzeug nicht mehr zu akzeptablen Bedingungen in Betrieb gehalten werden können. Die Briten haben das System bereits ausgemustert. Dumm nur, dass mit einem Vertragsschluss 2022 oder gar 2023 für die Beschaffung der F 18 das behauptete Aussonderungsdatum 2025 des Tornado auch schon nicht mehr erreichbar ist. Bis ein neues Waffensystem truppenverwendungsfähig ist, vergehen mindestens fünf Jahre, nach aller Erfahrung eher noch weit mehr.
Die deutsche Seite hat sich durch ihr jahrelanges Lavieren mal wieder massiv in Verdrückung gebracht. Das geplante Aussonderungsdatum des Tornado ist schließlich lange bekannt, die Zertifizierung des Eurofighter hätte seit Jahren betrieben werden können. In der Amtszeit von der Leyens musste aber vorrangig den zahllosen Rechtsextremisten in der Bundeswehr hinterhergejagt werden. Für grundlegende Rüstungsfragen blieb da wenig Aufmerksamkeit übrig (Achtung Sarkasmus!). Es hilft nun aber weder der Luftwaffe noch dem deutschen Steuerzahler, mit der F 18 ein ähnlich altes Grundmuster wie den Tornado für eine zeitlich begrenzte Spezialaufgabe mit Milliardenaufwand einzuführen. Das Argument, die F 18 neuerer Baulose sei fortschrittlicher als die Ursprungsversion ließe sich auch auf den Tornado anwenden. Die Frage ist also, wie den US-Pressionen zu entkommen ist, ohne die eigenen Interessen auf dem Altar der transatlantischen Freundschaft opfern zu müssen.
Der Bundesrechnungshof irrt
Die einfachste und kostengünstigste Lösung wäre, den Tornado über 2025 hinaus im Dienst zu halten. Das Argument, dass die Kosten für dessen Unterhalt künftig rapide ansteigen würden und die Bundesrepublik für das Geld auch neue Flieger kaufen könne, geht fehl, obwohl inzwischen auch der Bundesrechnungshof (BRH) in diese Melodie einstimmt. Für diesen ist fraglich, ob „alle Fähigkeiten bis zur Einführung eines Nachfolgesystems unterbrechungsfrei erhalten werden können“. So zitiert zumindest der Spiegel einen geheimen BRH-Bericht. Damit geht aber auch der BRH den Erneuerern auf den Leim: Den Tornado auf die nukleare Rolle zu beschränken, erfordert eben nicht „alle Fähigkeiten … unterbrechungsfrei“ zu erhalten. Damit sind auch die BRH-Kostenschätzungen für den Weiterbetrieb Makulatur. Untersuchungen zeigen dem Vernehmen nach eindeutig, dass bei Reduzierung auf die für die atomare Abschreckung benötigten 35 Luftfahrzeuge der Aufwand in Grenzen bleibt.
Es wäre glatter Irrsinn, für einige Jahre mit X-Milliardenaufwand ein weiteres, der technischen Grundauslegung nach ähnlich betagtes Waffensystem wie den Tornado einzuführen. Mit dem Weiterbetrieb des Tornado käme sogar wieder die zeitlich risikobehaftete Umrüstung des Eurofighter auf die atomare Einsatzrolle in Betracht, weil dann der Zeitdruck entfallen würde. Sollte dessen Zertifizierung ein paar Jahre länger dauern, wäre dies unschädlich. Aber vielleicht kommt ja auch Hilfe von unerwarteter Seite: Die Folgen der Korona-Krise werden zu einer sparsamen Ausgabenpolitik zwingen, die F 18-Milliarden würden an anderer Stelle fehlen.
Deutsche Rüstungspolitik auf dem Holzweg
Nicht zuletzt ist oft genug die Rede davon, dass die Bundeswehr am Rande ihrer Möglichkeiten stünde und hochbelastet sei. Die Beschaffungsorganisation arbeitet am Rande ihrer Möglichkeiten, jeder fünfte Dienstposten ist unbesetzt. Ein neues Waffensystem einzuführen, würde Verhandlung und Abschluss von hunderten Verträgen erfordern. Für die F 18 müssten erst wieder die Organisation umgebaut, Instandsetzungs- und Ersatzteilkreisläufe aufgebaut und aufwendige Ausbildungen des fliegenden und technischen Personals durchgeführt werden. Und das ohne nennenswerte einsatztaktische Vorteile im Vergleich zum Ist-Zustand. Was soll das? Auch im Bereich des elektronischen Kampfes gibt es gute Alternativen zur F 18. Diese Aufgaben sollte in jedem Fall der Eurofighter übernehmen. Die Amerikaner teilen Aufklärungsergebnisse nur sehr eingeschränkt mit Partnern. Allein dies wäre Grund genug, in diesem sensiblen Bereich nicht auf US-Gerätschaften, sondern auf eigene Systeme und Fähigkeiten zu setzen.
Kramp-Karrenbauer möchte die militärische Zusammenarbeit mit den USA zur Stabilisierung der Beziehungen stärken. Washington sei der wichtigste Bündnispartner erklärte die Ministerin bei ihrer Antrittsreise im letzten Jahr. Immerhin kann die US-Rüstungsindustrie bereits ein Milliardengeschäft einkalkulieren: Den Beschaffungsauftrag für den Nachfolger des ebenfalls in die Jahre gekommenen schweren Transporthubschraubers CH-53. Die beiden in Frage kommenden Systeme werden von den US-Firmen Boeing (CH-47F) bzw. Sikorsky (CH-53K) angeboten. Erpressbar aber bleibt die deutsche Seite durch die Verschiebung des 2%-Ziels des BSP-Anteils der Verteidigungsausgaben auf den Sankt Nimmerleinstag. Um des lieben Friedens willen fühlt man sich dann gezwungen, an anderer Stelle nachzugeben. Auch wenn es mal wieder weh tut und aus einem Pferdefuß der nächste wird. Scheinbar eine Gesetzmäßigkeit deutscher Rüstungspolitik!