Der Konflikt zwischen einem libanesischen und einem syrischen Familienclan, der in verschiedenen Städten des Ruhrgebiets entbrannt ist, zeigt Grenzen des deutschen Staates im Umgang mit Bürgern und Bewohnern der Republik auf. Nun sind erste Opfer zu verzeichnen. Am Montag wurde ein junger Libanese in Bottrop brutal angefahren. Ergebnis: angeblich zwei gebrochene Beine. Die Polizei musste das Krankenhaus mit Beamten und Hundeführern sichern. Auch 50 Libanesen belagerten das Bottroper Marienhospital und wurden zur gleichen Zeit durch Social-Media-Veröffentlichungen der syrischen Gegenseite weiter aufgewühlt.
Seit dem Sonntag hatten die Syrer Videos von sich verbreitet, wie sie in großer Mannstärke durch die Essener Innenstadt zogen. Am Mittwochabend folgte die nächste, nun definitiv clanbezogene Gewalttat, diesmal in Gelsenkirchen. Ein junger Syrer wurde mehrfach in den Oberschenkel gestochen und ebenfalls sofort in ein Krankenhaus gebracht. Als Angreifer kommen sechs bis acht Libanesen in Frage, mit denen der Syrer „Stress“ gehabt haben soll.
Und auch in diesem Fall war die Polizei in ganzen Hundertschaften gefragt, um die Lage am Ort des Messerangriffs zu sichern. Doch größere Unruhen in Gelsenkirchen blieben aus. Es war vielleicht die Ruhe vor dem Sturm. Gegenüber der Bild-Zeitung sagte ein Libanese: „Es gab einen Streit um eine Frau, aber in der jetzigen Situation sind solche blutigen Angriffe keine persönliche Angelegenheit, dann betreffen sie gleich den ganzen Clan. Denn es gibt immer noch keinen Frieden zwischen uns und den Syrern.“
Vorhang auf und toi toi toi: Die Deutschen – so weit sie Lust dazu und Interesse daran haben – sind live dabei bei der Etablierung des nahöstlichen Stammesrechts in der Bundesrepublik. Auch Innenminister Herbert Reul (CDU) bemerkte das Potential und sprach von „einer Art bewaffneter Straßenschlägerei“, welche die beteiligten Clans „veranstalten“ könnten, und von einem „Spektakel“, das dann ganz schnell von der Polizei beendet werden würde. Das sind kesse Töne des nordrhein-westfälischen Innenministers, die das Geschehen zugleich in die Richtung von Spiel, Spaß und leerem Imponiergehabe bringen. Ob Reul damit recht hat, wird sich erweisen. Schon die ersten Scharmützel eines anhebenden Clan-Kriegs machen deutlich, in welche Richtung die Sache sich entwickelt.
Die Stimme des Stammes-Scheichs dröhnt bis nach Essen
Aber eins sollte klar sein: Straßenkämpfe, Messerstechereien, vielleicht sogar bewusst herbeigeführte Verkehrsunfälle als „Spektakel“ zu bezeichnen, ist schon deutlich neben der Spur. Das relativiert die Gewalt und vor allem die Ernsthaftigkeit, mit der die Syrer und Libanesen hier zu Werke gehen. Das mag ein Videoschnipsel belegen, der uns laut Spiegel TV aus Ostsyrien erreicht. Ein beduinischer Stammesführer spricht die Worte: „Ich sage nur das, womit Allah einverstanden wäre. Und Allah sagt im Koran: Greift diejenigen, die euch angreifen, genauso stark an, wie sie euch angegriffen haben.“
Die Richtlinien seiner Leute seien „der Koran, die Traditionen des Propheten und die Bräuche unseres Stammes“. Und dieses Video hat tatsächlich wohl mehr mit Gelsenkirchen und Bottrop zu tun, als man sich noch vor kurzem hätte träumen lassen. Denn über die Realität der sozialen Medien ist dieses Video nun Teil eines Großfamilien-, Clan- und Stammeskonfliktes mitten in Deutschland. „Eine Frau wurde auf den Kopf geschlagen“ (wieder die Worte des syrischen Scheichs) – das ist der Startschuss für viele Schläge auf den Kopf, denen man in Essen wie Castrop-Rauxel zuschauen konnte.
Und es gab sie. Ein vermummter Syrer behauptet, auch im TV-Bericht zu sehen: „Es waren zehn Männer, und wir haben ihnen allen auf den Kopf gehauen.“ In den deutschen Tagesthemen bestätigt der Islamwissenschafter Ralph Ghadban: „Konkret in Essen haben wir es mehr als mit Großfamilien mit richtigen Stämmen zu tun, die aus Ostsyrien stammen.“ Und deutsche Medien tun sich plötzlich nicht schwer damit, die Eskalation in voller Länge zu zeigen.
Die Massenaufläufe von Syrern und Libanesen in Essen und anderswo taugen tatsächlich als theatralisches Spektakel. Doch die Polizei machte ihnen kein Ende. Sie eskortierte den Zug auch nicht. Dazu waren es zu wenige Beamte. Sie beobachtete ihn mit einem Streifenwagen. Ein Chef der Libanesen drohte mit mehr. Er will die Syrer auf dem Schlachtfeld treffen, „überall, egal wo ihr wollt“ – in Gelsenkirchen, Essen oder Dortmund. Überall da, wo seine Stammesmitglieder leben, will der Mann den Kampf entfachen, wenn die Syrer nicht nachgeben.
Man stelle sich vor: Zwischen libanesischer Shisha-Bar und syrischem Restaurant – das sind angeblich die respektiven Hauptquartiere – wird ein Krieg entfacht, bei dem es nicht nur, wie gesehen, zu Scharmützeln kommen kann, sondern zu wirklichen Schlachten, vor denen sich Herbert Reul (CDU) vermutlich schon genug graust. Und der Grund für den neuen, drohenden Konflikt ist natürlich die massive Zuwanderung von Syrern, die sich in mehr als sieben Jahren so gut etablieren und organisieren konnten, dass sie „alteingesessenen“ Clans wie den Libanesen die Stirn bieten wollen – wie wiederum Ghadban erklärt. Auf beiden Seiten herrscht dabei, wie gesehen, dasselbe archaische Ethos vom Stamm und seinen Gesetzen, allenfalls im Bann gehalten vom Gesetz des Propheten.
Ausgerechnet ein Grüner will Frieden stiften
Mitte der Woche glaubte dann noch einer, dass der Augenblick für seinen Auftritt gekommen sei. Der Essener Grünen-Politiker, das „Flüchtlingskind“ und der – so kann man wohl sagen – Neu-Flüchtlingsversteher Ahmad Omeirat. Omeirat wurde 1983 in Beirut geboren und kam 1985 als „Flüchtling“ nach Essen. Nun hat sich das Mitglied im Essener Stadtrat zum „Friedensrichter“ und Vermittler im Clan-Krieg aufgeschwungen – obwohl er den Begriff vom „Clan-Krieg“ natürlich pflichtgemäß als Übertreibung empfindet. Er schrieb via Facebook (dort gibt es auch eine Übersetzung des Texts) an „meine ehrenwerten Brüder“, das sind die Kombattanten, und das auf Arabisch.
Schon in seiner Vorrede sagt er, dass die „jüngsten Ereignisse“ in Castrop-Rauxel „mit den rechtlichen Mitteln, denen wir uns alle unterwerfen und die wir respektieren, hätten gelöst werden müssen“. Stattdessen habe sich der Konflikt „aufgrund wiederholter Provokationen in den sozialen Medien“ bis nach Essen ausgedehnt. Als erstes dankt er dann der „deutschen Polizei“. Darüber kann man wohl stolpern, denn es gibt hier keine andere Polizei. Es ist auch genau genommen nicht die deutsche Polizei, sondern „die“ Polizei, in diesem Fall die des Landes Nordrhein-Westfalen. Indem man sie im Gespräch mit Einwohnern Deutschlands zur „deutschen Polizei“ macht, zeigt man schon eine gewisse Distanz. Omeirat erklärt so Neulingen in diesem Land, wie das Land funktioniert.
Er dankt der Polizei insbesondere dafür, dass sie „klug und rational“ gehandelt habe, vor allem „ohne auf Gewalt zurückzugreifen“. Das ist dann doch etwas merkwürdig, auch wenn die Gewalt gleich noch einmal wiederkehrt als ein unbestimmtes Etwas, das „in dieser fatalen Nacht hätte eingesetzt werden können“. Vermutlich meint Omeirat hier die Gewalt, die von den Clans hätte ausgehen können. Doch der ausdrückliche Dank an das gewaltfreie Vorgehen der Beamten hat einen Beigeschmack. Denn es ist die Polizei, die das Gewaltmonopol in diesem Land hat.
Dass es sich bei dem Grünen Ahmad Omeirat um eine mindestens fragwürdige Personalie handelt, daran erinnern noch einmal einige Äußerungen und Artikel (aus dem Jahr 2019).
Bei Ausbleiben des Blutgelds – Eskalation!
Aber Omeirat ist noch nicht fertig: „Dieses Land hat ein Gesetz und eine Verfassung, die wir auf alle Konflikte beziehen, die zwischen zwei Personen auftreten, und was auch immer die Uneinigkeit ist, … ganz zu schweigen von einem kleineren und belanglosen Streit.“ Seine Leser, so fordert das Ratsmitglied, sollten „den Wert“ schätzen, in diesem Land zu leben: „Er gab uns die Sicherheit, Sicherheit und Freiheit, die wir in unserem Land verloren haben.“ Das deutsche Recht sei garantiert, ebenso garantiere die „deutsche Polizei“ es für alle, die auf ihren Territorien leben. Bei Unstimmigkeiten müsse man sich nur „dem Gesetz zuwenden“ – gemeint ist: dem Gesetz des Staates.
Nur der Stammesführer aus Ostsyrien hatte etwas ganz anderes gesagt. In Omeirats Vokabular „garantieren“ Allah, der Koran, die Aussagen des Propheten und die Bräuche seines Stammes die „Sicherheit“ der zugewanderten Syrer in ihrem Gesellschaftsteil. Die deutsche Polizei scheinen die Syrer ebenso wie die Libanesen eher als Leitplanke wahrzunehmen, die den Verkehr auf ihrer Autobahn nicht stören sollte.
Käme es zu einem Todesopfer, dann mag auch der Berliner Clan-Experte Ahmad A. Omeirate (nicht identisch mit dem Essener Grünen-Politiker) nicht mehr für irgendetwas garantieren. Aus der Tat würde direkt und ohne Frage eine schlichte Alternative folgen: Entweder kommt es zur „Blutrache“ oder ein „Blutgeld“ wird gefordert und gezahlt. Aber sollte das misslingen, dann „könnte die Situation in Essen vollständig eskalieren“, so Omeirate gegenüber der Nachrichtenseite Der Westen.
Es ist das Gesetz der Stämme, das der Experte Omeirate hier als Realität und einzigen Weg zur Konfliktlösung darstellt. Und natürlich ist wieder einmal die böse „Isolation“ der Stämme von der deutschen Lebensrealität schuld: „Dadurch wird eine Integration nahezu unmöglich, der Rechtsstaat verliert an Bedeutung und es entsteht eine Paralleljustiz.“ Überflüssig zu sagen, dass der grüne Ratsherr Ahmad Omeirat für diese Überforderung des deutschen Gemeinwesens ist. Er freut sich aktuell darauf, dass die Essener Ausländerbehörde ab 2025 noch mehr zu einer „Willkommensbehörde“ wird. Dann soll sie nämlich endlich in einem „House of Integration“ untergebracht sein.
Langsam kann man bemerken, dass wir nicht allein Menschen, Schutzsuchende importiert haben, sondern ganze Gesellschaften, in denen die ordnende Funktion eines Staatswesens noch nicht in ihrer europäischen Fülle angelegt ist. Stattdessen gilt, wie Ralph Ghadban erklärt, das Gesetz der Familie, die eine allgemeinste „Schutzfunktion“ hat, in allen Lebenslagen. Und das fordert derzeit das Land Nordrhein-Westfalen mit seiner Polizei heraus. Und auch wenn der Vorhang nun wieder zugehen sollte, ist das Ende dieser Angelegenheit durchaus offen.
Anmerkung: In einer früheren Fassung dieses Textes wurde nicht klar zwischen dem Essener Ratsherr Ahmad Omeirat und dem Berliner Islamwissenschaftler und Referenten für Migration und Flucht, Ahmad A. Omeirate, unterschieden. Wir bitten das zu entschuldigen.