Tichys Einblick
Schwarz-grüner Kabinettskompromiss?

Nordrhein-Westfalen: Wüst will nur noch „ausnahmsweise“ abschieben

In Nordrhein-Westfalen soll die Abschiebung nach einem abgelehnten Asylantrag nicht mehr die Regel sein. Diese Politik schreibt sich nun das schwarz-grüne Kabinett unter Hendrik Wüst auf die Fahnen. Vollzugsdefizite gab es vor Corona und danach noch mehr. Sie dürften größer werden.

IMAGO/photothek

Grüne Politik macht sich ehrlich. Bis 2021 war Armin Laschet nordrhein-westfälischer Ministerpräsident, seitdem ist es Hendrik Wüst, der seit Juni 2022 nicht mehr mit der FDP, sondern mit den Grünen paktiert. Eigentlich galten die beiden CDU-Politiker als Antipoden in ihrer Partei: „Türken-Armin“ (mit Ferda Ataman als Redenschreiberin) gegen den „jungen Konservativen“? Aber als das hat Wüst sich offenbar nie verstanden. Wo er kann, reißt er konservative Grundsätze ein, insbesondere wenn es um Migration geht. Die kann nämlich auch Wüst nicht unbegrenzt, nicht grenzenlos genug sein. Wie könnte man es sonst verstehen, dass er jüngst stabile Mehrausgaben für das Asylsystem vom Bund – also von den Wählern und Steuerzahlern – verlangte?

Als Markenkern seiner Partei bezeichnete er kürzlich nicht etwa das Konservative, sondern „das Christliche“. Aber vielleicht war das auch nur eine vorauseilende Anpassung an den grünen Koalitionspartner und dessen inneren Bezug zu Kirchentagen (beziehungsweise andersherum). Die großen, grünen-nahen Kirchen sind ja ohnehin dabei, Deutschland in seiner bisherigen Form und Mentalität aufzugeben. Warum sollte es eine CDU mit großem, mitfühlendem „C“ anders machen?

Diese Absicht belegt Hendrik Wüst auch mit seinem jüngsten Vorstoß. Wie die Welt berichtet, will der Ministerpräsident in Absprache mit dem grünen Koalitionspartner auf Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber in der Regel verzichten. Damit sind auch die nie ganz umgesetzten Pläne der schwarz-gelben Koalition unter Armin Laschet für ein schwungvolleres Abschiebungswesen in NRW ad acta gelegt. Laschet gründete die Zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE), in denen abgelehnte Asylbewerber untergebracht werden sollten.

Doch nun will das Kabinett Wüst II die abgelehnten Antragsteller schon nach spätestens sechs Monaten auf die Kommunen verteilen und dort auch integrieren lassen, wie die Familien- und Fluchtministerin Josefine Paul (Grüne) bestätigte. Die ZU-Einrichtungen – nicht wirklich Abschiebegefängnisse – verlören damit endgültig die ihnen zugedachte Funktion. Es gibt übrigens 28 von ihnen im ganzen Land, so viel zu „zentral“. Auch für effiziente Abschiebungen scheint das Einrichtungsgeflecht bisher nicht gestanden zu haben – eher schon für unterschwellige Aggressionen und Konflikte. In vielen der Einrichtungen kommt es alle paar Wochen zu Massenschlägereien mit bis zu 300 Mitschlägern. Da wird sich dann auch die Stadt Soest, wo eine solche ZUE steht, bedanken.

„Corona-Knick“ bei Abschiebungen wird verstetigt

Protest erregt die Landesentscheidung natürlich in den Kreisen, Städten und Gemeinden. Sie müssen nun noch mehr erfolglose Asylbewerber schultern als ohnehin schon. Was will Wüst, was wollen die Grünen mit dieser Entscheidung bewirken? Soll der Knoten platzen, der Topf in die Luft gehen? Tatsächlich scheint die Operation „Aufnahme Extraschnell“ für die nordrhein-westfälischen Kommunen schon begonnen zu haben. Schon jetzt werden die „Flüchtlinge“ immer früher in die Kommunen geschickt, wie etwa der Innenexperte Marc Lürbke (FDP) bemerkt haben will. Das dürfte auch mit den bekannten Nachlässigkeiten beim Abschieben selbst zusammenhängen. Letztes Jahr gab es in Nordrhein-Westfalen 3.118 Abschiebungen. Doch zugleich lebten 74.168 ausreisepflichtige Ausländer in NRW, davon hatten 63.611 eine Duldung. Bleiben immer noch fast 11.000 vollziehbar Ausreisepflichtige.

Die Abschiebungen in Deutschland haben sich im Allgemeinen nicht vom „Corona-Knick“ erholt. Zwischen 2016 und 2019 wurden immerhin noch mehr als 22.000 Abschiebungen pro Jahr erreicht. Doch 2020 sank diese Zahl um mehr als die Hälfte. Und auch im letzten Jahr wurden nur knapp 13.000 Personen bundesweit abgeschoben. In diesem „Ghetto“ will sich Nordrhein-Westfalen nun offenbar dauerhaft einrichten.

NRW-Kommunen können „keine Garantie“ mehr geben

Nun gibt es eine „Münsteraner Erklärung des Städte- und Gemeindebundes NRW“, in der das Fehlen von Wohnraum, Kita- und Schulplätzen, von Plätzen in Sprach- und Integrationskursen beklagt wird. Die Belastungsgrenzen der Kommunen seien im „Regelfall“ erreicht. Deutsche Kommunalpolitiker scheinen in dieser Krise massenhaft zu scharfen Regierungskritikern zu werden. So heißt es in der Erklärung der NRW-Kommunen vom 11. Mai 2023: „Die derzeit bestehende Situation eines weitgehend unregulierten Zugangs von Personen ohne wirksamen Aufenthaltstitel nach Deutschland bedeutet trotz Bekenntnisses zur Einwanderungsgesellschaft eine ernsthafte Gefährdung des sozialen Friedens und muss unverzüglich beendet werden. (…) Die Grenzen der Zuwanderung müssen den Grenzen der Integrationsfähigkeit der Gesellschaft entsprechen (…).“

Am Ende ist aber auch der NRW-Gemeindeverbund nur ein weichgespülter Vollzieher dessen, für das die NRW-Städte und Gemeinden angeblich „keine Garantie“ mehr geben können. Der Präsident des Verbandes, der Bürgermeister von Soest Dr. Eckhard Ruthemeyer (CDU), begrüßt die Anerkennung von Migration als „Daueraufgabe“ durch den Bund. Und natürlich fordern die Kommunen die „vollständige Kostenerstattung“ durch den Bund.

Dagegen fordert die Landtagsabgeordnete und integrationspolitische Sprecherin der AfD Enxhi Seli-Zacharias angesichts des absichtlichen Abschiebe-Versagens der NRW-Regierung einen Richtungswechsel der Bundesregierung. Auch sie schließt sich den NRW-Kommunen an und will „den weitere Zustrom nach Deutschland so weit wie möglich“ einschränken, anstatt später das Wasser aus dem Boot zu schöpfen. Das „Abschiebe-System“ in NRW sei nicht erst unter Wüst gescheitert.

OB von Duisburg: Bedauerlich, dass wir uns schwertun – Marxloh wird zur „Arrival City“

Noch immer werden alle möglichen Objekte – auch in NRW – mit illegalen Zuwanderern, die in Deutschland Asylanträge gestellt haben, belegt. Das betrifft auch ein Vier-Sterne-Hotel in Gladbeck, das im Monat 600.000 Euro Miete kosten soll. Das Hotel ist bei Geschäftsleuten und Touristen beliebt. Trotzdem soll es ab Herbst 2023 zu einer weiteren Zentralen Unterbringungseinrichtung werden. In fünf Jahren wird der ZUE-Betrieb des Hotels den Steuerzahler 36 Millionen Euro kosten.

„Integration können wir hier“, sagte der Oberbürgermeister von Duisburg, Sören Link (SPD), Mitte Mai. Wirklich? Dabei hatte das Ruhrgebiet erst zuletzt durch allerlei Hinweise schlechter Integration von Libanesen, Syrern und anderen Gruppen auf sich aufmerksam gemacht. Es vergingen nur wenige Tage, da sprach derselbe Duisburger OB von der Abschiebung von Clan-Mitgliedern, die bekanntlich gar nicht einfach ist.

Jetzt soll Duisburg-Marxloh zur „Arrival City“ (oder eher „Arrival Slum“?) werden. Gibt es noch weitere Scherze auf Kosten der Bevölkerung? Das „Wunder von Marxloh“ ist übrigens eine Straße mit Brautmodenläden. So sieht jetzt also Fortschritt aus. „Ich finde es bedauerlich, dass wir uns in Deutschland mit Abschiebung oft so schwertun“, sagt doch glatt dieser SPD-OB aus Duisburg.

Kann zentrale Unterbringung bei Abschiebungen nützen?

Bundesweit wurden im letzten Jahr rund 13.000 Personen abgeschoben. Gescheitert sind im Jahr 2022 laut dem Behördenspiegel (vom Juni 2023) insgesamt 23.337 Abschiebungen in Deutschland, meist weil die (nicht) abschiebende Behörde ihr Abschiebeersuchen stornierte (in 65 Prozent der Fälle), oft auch, weil die „Zuführung“ nicht oder zu spät erfolgte, man des Abschieblings also nicht habhaft werden konnte (30 Prozent der Fälle). Hier könnte eine „zentrale Unterbringung“ durchaus etwas ändern, wenn sie nicht bloß der Verwahrung und späteren Weiterleitung von Geduldeten an die Kreise und Gemeinden dient.

Noch immer sind bundesweit 82.321 Personen zur Festnahme ausgeschrieben, mit dem Ziel der Abschiebung. Meist sind es Albaner, Georgier, Serben, Türken, Pakistanis, Algerier, auch Ukrainer, Syrer, Marokkaner, Moldauer, Nordmazedonier, Afghanen, Kosovaren und Nigerianer. Dies sind die häufigsten Nationalitäten. Die meisten Abschiebeplätze hat übrigens Bayern (284), mehr als anderthalb Mal so viel wie NRW (175). Allerdings kamen allein bis Ende Juni dieses Jahres 150.000 Asylanträge hinzu. Die Abschiebungen könnte man also wirklich als Tropfen auf den heißen Stein betrachten, wenn sie nicht viel, viel mehr werden.

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