In ihrer Ideologie ist Grünen keine Mathematik im Weg
Mario Thurnes
Die Grünen holen in Niedersachsen die Prozentzahlen zurück, die sie vor fünf Jahren verloren haben. Gefeiert werden sie trotzdem. In den Medien. Einem ihrer drei Verbündeten – zu denen allerdings nicht die Mathematik zählt.
Ein bemerkenswerter Tweet dominiert das Wahlwochenende. Die Autorin Ann-Kristin Tlusty präsentiert eine Rechnung: Das reichste Zehntel verbraucht in Deutschland demnach 23 Prozent des gesamten Energiebedarfs. Würde dieses Zehntel bescheidener leben, ließen sich 26 Prozent des gesamten Energiebedarfs reduzieren. Häh? Wenn Reiche bescheidener leben, können sie mehr Energie einsparen, als sie verbrauchen? Das kann nicht stimmen. Der Tweet erhält trotzdem 1000 Likes.
Doch seine Geschichte geht weiter. Manche Nutzer rechnen Tlusty vor, dass sie daneben liegen muss. Sie reagiert patzig, liefert die Quelle der Rechnung aus der Süddeutschen Zeitung. Der Tweet hat jetzt schon 5000 Likes. Dann endlich merkt die Frau, die laut Selbstauskunft für Zeit und Deutschlandfunk Kultur arbeitet, dass das falsch sein muss und schickt einen weiteren Tweet mit einer Korrektur. Da hat die falsche Rechnung schon 7000 Likes. Am Sonntagabend sind es dann fast 8500 Likes.
Die Geschichte ist wahr, tatsächlich passiert, lässt sich dokumentieren. Aber es ist auch eine Parabel auf den Erfolg der Grünen: Wir müssen einfach nur weniger Strom verbrauchen, vor allem die Reichen, und dann sind alle Probleme erledigt. Applaus. Es ist so wenig überraschend wie neu, dass ein solcher geistiger Unterbau von einer Autorin kommt, die von Zeit und Deutschlandfunk Kultur bezahlt wird. Ihrer Ideologie – einfach nur Strom sparen, vor allem die Reichen – jubeln die Anhänger selbst dann noch zu, wenn sich herausstellt, dass die Rechnung falsch ist. Falsch sein muss.
Um die 14 Prozent holen die Grünen in Niedersachsen. Das ist zwar ein starker Zugewinn, aber nur wenn man ihn nicht im historischen Zusammenhang sieht. Der Gewinn 2022 entspricht in etwa dem Verlust von 2017. Damals hatte die abtrünnige Abgeordnete Elke Twesten die Partei in Niedersachsen zerstritten aussehen lassen, vorgezogene Wahlen erzwungen. Eigentlich sind die Grünen stabil. Wobei Niedersachsen repräsentativ für den Bund ist: So zwischen 10 und 20 Prozent sind normal. Weniger ist schlecht, mehr ist herausragend so wie in Baden-Württemberg. Doch immer, wenn die Grünen im Bund über 20 Prozent klettern, fallen sie. Nämlich dann, wenn hinter den Überschriften ihrer Politik die Inhalte erkennbar werden.
Die Grünen haben drei Verbündete, wenn es um ihre Erfolgsphasen geht. Zum einen konnten deutsche Intellektuelle schon immer besser schreiben als rechnen. Welch krasse Fehler wem unterlaufen, die für Zeit und Deutschlandfunk Kultur arbeitet, hat Tlusty auf Twitter vorgemacht. Zum anderen sind diese rechenschwachen Journalisten meist grünnah. Die ARD hat selbst öffentlich gemacht, wie groß die Schlagseite an Grünen-Wählern bei ihren Volontären ist. Dass diese Zahlen öffentlich wurden, zeigt, dass sich im Ersten Deutschen Fernsehen da nicht einmal mehr jemand was bei denkt.
Der dritte Verbündete der Grünen ist die Wahl-Arithmetik. Nach der verlorenen Wahl von 2013 haben die Grünen beschlossen, die Rolle der FDP einzunehmen – als Partner, der für nahezu alle Koalitionspartner offen ist: SPD und Linke auf der einen Seite, FDP, CDU und sogar CSU auf der anderen Seite. Angesichts einer von allen anderen ausgestoßenen AfD, die stabil zwischen 5 und 10 Prozent holt und mitunter sogar mehr, bringt das die Grünen in eine starke Situation: Kaum eine Partei kommt in der Regierungsbildung noch an ihnen vorbei.
Das führt zu einem recht einfach zu verstehenden Effekt: Kaum eine Regierung, in der die Grünen nicht sitzen. Doch es gibt einen deutlich komplizierteren Effekt, der sich aber umso massiver auswirkt: Die Grünen können in die anderen Parteien hineinregieren – von der Linken bis in die Union. Kommt es nach der Wahl zu einer Koalition, hat nur der Parteisoldat eine Chance auf einen guten Posten, wenn er als kompatibel mit dem Koalitionspartner gilt. Wer im Wahlkampf die Grünen zu stark attackert, wird nicht Minister oder Staatssekretär in einer Koaltion mit den Grünen. Und selbst für Posten wie Beauftragter oder Abteilungsleiter reicht das dann meist nicht. Aus diesem Grund steht die ganze zweite Reihe der CDU nicht mit vollem Herzen hinter ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz, wenn der zur Attacke ansetzt – um dann hinterher wieder zurückzurudern.
Die Grünen sind stets dort stark, wo sich die Menschen wenig Sorgen um ihre Existenz machen müssen. Oder zumindest machen: Frauen wohlhabender Männer, Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes – in Behörden genauso wie an Hochschulen – und Ruheständler mit hohen Pensionen. Leben in einer Straße viele Menschen dieser Gruppen, rücken dort im Wahlkampf mit Sicherheit die Plakat-Kommandos der Grünen an. Die Einkommen der Zielgruppe sind sicher. Sie müssen die Folgen der grünen Wirtschaftspolitik nicht fürchten. Ihnen rechnet die grüne Haushaltsexpertin Jamila Schäfer vor, dass der Staat nur genug Schulden machen muss, um den Wohlstand der Deutschen zu halten. Er könne ja nicht bankrott gehen.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und Inflation. Zwischen Inflation und Warenzufuhr. Zwischen Warenzufuhr und Wohlstand. Aber das ist Volkswirtschaft. Letztlich ein besonders komplizierter Auswuchs der Mathematik. Damit möge man Grüne bitte verschonen. Wähler wie Politiker. Dann lieber wohlfeile Beiträge darüber auf Deutschlandfunk Nova veröffentlichen, wie Ann-Kristin Tlusty, warum das Patriarchat niedergeworfen werden muss. Da fühlen sich Grüne wohl. Das hat so gar nichts mit Mathematik zu tun.
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