Wer das wissen will, müsste hinfahren oder dem Faktenfinder der Tagessschau vertrauen. Wir haben eine weitere interessante Möglichkeit ausprobiert, dank der man quasi im Live-Modus verfolgen kann, welche Schiffe gerade und wo genau im Zielgebiet unterwegs sind und wohin sie fahren.
10.000 Migranten in vier Tagen. Die Zahl der Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien kommen, steigt gerade wieder rasant. Italien droht der EU damit, wegen der steigenden Anzahl Schiffe abzuweisen, die im eigenen Auftrag Zuwanderer aus Rettungsbooten aufnehmen und nach Italien transportieren. Die Bundesregierung reagiert darauf mit der Zusage, Italien mehr Migranten abzunehmen, deren Ziel nach eigenem Bekunden sowieso mehrheitlich Deutschland heißt.
Nun hat das zentrale Einsatzkommando der italienischen Küstenwache generell die Verpflichtung, in Seenot geratene Personen zu retten, wenn sie von so einer Seenot erfahren. „Sie wissen, dass wir die Pflicht haben, zu helfen“, erklärt Filippo Marini, Sprecher des italienischen Generalkommandos gegenüber dem österreichischen Kurier und meint damit die Schlepper in Libyen. Praktischerweise wird den Immigranten von dieser Menschenschmuggelmafia gleich die passende Notrufnummer mitgegeben, die diese anrufen sollen, sobald sie internationale Gewässer erreicht haben. Laut internationalem Seerecht muss nun helfen, wer um Hilfe gebeten wird und die in Seenot geratenen Personen in den nächsten sicheren Hafen bringen. Von der Seerettung angefunkt wird das den in Seenot geratenen Personen am nächsten gelegene Schiff. Also bittet die italienische Marine immer öfter auch Schiffe von NGOs wie SOS Méditerranée, Ärzte ohne Grenzen und Sea Watch um Hilfe. Tag für Tag.
Als SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann im Februar gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vorschlug: „Um die Schleuserbanden wirksamer zu bekämpfen, müssen wir ihnen die Geschäftsgrundlage entziehen, indem die im Mittelmeer geretteten Flüchtlinge wieder zurückgebracht und zunächst in Nordafrika versorgt und betreut werden“, erntete er dafür herbe Kritik und ruderte zurück: „Völlig klar ist, dass wir derzeit keine Flüchtlinge dorthin zurückschicken können. Dazu ist dieses Land zu instabil.“
Nun ist, wer nicht direkt an Ort und Stelle unterwegs ist, auf die aktuelle Nachrichtenlage bzw. die Interpretation des Geschehens durch die Medien angewiesen, will er wissen, was da vor der libyschen Küste passiert. Wie muss man sich das vorstellen? Wie viele Schiffe sind dort überhaupt unterwegs und was treiben die da genau? Wie funktioniert das? Was hat es auf sich mit der Meldung, diese NGO-Schiffe würden auf kriminelle Weise direkt mit den Schleppern zusammenarbeiten per Telefon und Lichtsignalen? Die Presse berichtete, derzeit befänden „sich mindestens zehn NGOs im Mittelmeer vor Libyen, darunter Jugend Rettet, Sea Watch, Sea-Eye, LifeBoat, und SOS Méditerranée. Nicht selten sind sie dabei tief in libyschen Hoheitsgewässern dicht vor der dortigen Küste aktiv.“
Zweifellos ein sich gegenseitig hochschaukelnder Kreislauf aus der Verpflichtung, Leben zu retten, dem eiskalt ausgenutzten Wissen der Schlepper um Pflicht und Bereitschaft zu helfen und der weiterhin in Sachen Menschenrechte verheerenden Zustände in Libyen selbst. Die ZEIT berichtete noch 2012: „Die friedlichen Wahlen zeigen: Libyen kommt auf dem Weg zur Demokratie gut voran.“ Fake-News?
Nein, aber mindestens eine krasse Fehleinschätzung. Wir erinnern uns: Als das Gaddafi-Regime von der Europäischen Union im November 2010 fünf Milliarden Euro forderte für die Eindämmung illegaler Einwanderungen nach Europa, ging das den EU-Staaten zu weit. England und Frankreich schielten damals offensichtlich bereits auf den Öl- und Gassektor des Landes und machten sich stark für eine militärische Intervention. Im Februar des kommenden Jahres erklärte dann die Obama-Regierung, die USA ständen bereit, den Libyern jede Unterstützung zu gewähren, um Muammar al Gaddafi zu vertreiben. Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt. Vor wenigen Wochen nun fasste der Tagesspiegel die aktuelle Lage folgendermaßen zusammen: „Die Aufstände der jungen Revolutionäre in Nahost sind gescheitert. In Ägypten herrscht das Militär, in Syrien Bürgerkrieg und in Libyen überhaupt niemand mehr.“
Soweit die Rahmenbedingungen für die Migration Hunderttausender von Libyen aus ins europäische Italien, um dort einen Asylantrag (auf Zuwanderung) stellen zu können, bzw. doch keinen stellen zu wollen, sondern sich irgendwie nach Deutschland durchzuschlagen, um dort Asyl zu beantragen. Pro-Asyl nennt als Hauptherkunftsländer „Guinea, Nigeria, Bangladesch, Gambia und die Elfenbeinküste“ und stellt gleichzeitig fest: „ … doch eben jene Staaten sind es, deren Bürger*innen immer weniger Chancen in den Asylverfahren haben.“
Die sich widersprechenden Nachrichten über die „Fluchtroute Mittelmeer“ sind kaum noch zu sortieren, geschweige denn zu dechiffrieren oder nach ihrem Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Der Faktenfinder der Tagesschau beispielsweise diskutiert zum Thema: „Nichtregierungsorganisationen (NGO) wird vorgeworfen, ihre Präsenz auf dem Mittelmeer zur Rettung von Migranten sorge dafür, dass sich immer mehr Flüchtlinge auf den Weg nach Europa machten.“ Damit meinen die Nachrichtenmacher die so genannte „Pull-Factor-Theorie“.
Tagesschau Faktenfinder weiter: Inzwischen werden „mehr als die Hälfte der Migranten von Nichtregierungsorganisationen (NGO) gerettet, die zurzeit mit rund neun Schiffen im Einsatz sind.“ Die NGOs seien mittlerweile der wichtigste Akteur vor Ort. Für den öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender ist es im Faktenfinder ein Fakt, dass die NGOs NICHT für höhere Migrantenzahlen sorgen würden. Leider klingt die Begründung dafür auf eine Weise dürftig, die geeignet erscheint, das Label „Faktenfinder“ selbstzerstörend zu einer Farce zu degradieren: Der Zuwandereranstieg sei bereits im Gange gewesen, bevor die NGOs in großem Stil aktiv wurden. „Viele dieser Menschen sehen keine Perspektive mehr im eigenen Land und haben sich in Richtung Norden aufgemacht. Viele schon, bevor die NGO auf dem Mittelmeer aktiv wurden.“
Mutmaßungen, Einschätzungen, Beschwichtigungen, die allenfalls geeignet sind, Kindern im Kinderkanal die Angst vor der bösen Welt zu nehmen. Mit dem Suchen und Finden von Fakten hat das alles wenig zu tun. Der Außenminister Österreichs, Sebastian Kurz, nennt, was da im Mittelmeer passiert, weiterhin einen „NGO-Wahnsinn“. „Wenn den Migranten klar sei, dass sie auf Inseln wie Lampedusa (Italien) oder Lesbos (Griechenland) gestoppt werden, würde sich innerhalb kürzester Zeit niemand mehr auf den Weg machen“, wird der Minister zitiert.
Kaum jemand kann nun selbst vor Ort sein und sich ein Bild machen. Aber es gibt für jeden Internet-Nutzer dank einer Art Live-Seekarte eine begrenzte zwar, aber eine interessante Möglichkeit, selbst zu schauen, wer gerade mit welchem Schiff vor der libyschen Küste unterwegs ist, welche Route fährt und wie nah dabei den libyschen Küstengewässern kommt. Diese sparsamen Informationen mögen zwar ebenfalls Raum für Spekulation bieten, aber sie geben erstaunliche Anhaltspunkte, die zudem unbestechlich sind, was die Position jener Rettungsschiffe angeht, die ihre Ortung auf „ON“ gestellt haben.
Binnen 15 Minuten hat eine Schnellrecherche folgendes vorübergehendes Bild ergeben, das für denjenigen, der mehr Zeit investieren will, ein noch präziseres Bild ergeben könnte, das gerne über die Kommentarfunktion zum Artikel hier mitgeteilt werden kann. Wir haben in dem engen Zeitraum zehn mutmaßliche NGO-Rettungsschiffe ausgemacht, die teilweise direkt vor den libyschen Hoheitsgewässern ihre Runden drehen. Es müssen also noch erheblich mehr sein, als Die Presse berichtet hat oder wir waren ganz besonders treffsicher.
Vorteil des „vesselfinder“: Zu jedem Schiff wird auf Klick Name und Foto mitgeliefert nebst weitere Informationen zum Schiffstyp. Nun muss der Name nur noch gegoogelt werden in Kombination mit Begriffen wie „Flüchtlinge“, „Refugees“ usw. um festzustellen, ob und welche NGO dahintersteckt. Sea-watch.org übrigens ist so selbstbewusst, die Route eines ihrer Rettungsschiffe (Sea-Watch 2) auf ihre Website zu stellen, ebenfalls im Live-Modus.
Über den Button „Track“ unterhalb der Fotografie der Schiffe bei vesselfinder.com kann man sich zudem die gefahrene Route der letzten Stunden anzeigen lassen, was besonders aufschlussreich ist, will man mehr über den aktuellen Operationsbereich erfahren. Das Hin und Her dechiffriert hier schnell das eigentliche Anliegen.
Wir entdeckten in der kurzen Zeit folgende Schiffe und mindestens einen dazu aufklärenden Link via Google, der das jeweilige Schiff als NGO-Schiff ausweist:
PHOENIX Trawler
SEA-EYE Pleasure craft
OPEN ARMS
https://www.proactivaopenarms.org/en
Sea watch
https://sea-watch.org/das-projekt/sea-watch-2/
VOS HESTIA
https://www.pri.org/stories/2017-05-23/aid-groups-rescue-over-1550-migrants-mediterranean-one-day
Aquarius
Iuventa
VOS PRUDENCE
VOS THALASSA
Minden