Nachdem die SPD im Verein mit einigen mittelständischen Unternehmen und Unternehmensverbänden gefordert hat, abgelehnten Asylbewerbern, die während ihres Asylverfahrens eine Arbeitsstelle angetreten haben, einen regulären Aufenthaltstitel zu erteilen, der sie vor einer Rückführung in ihre Heimat schützt, und Innenminister Seehofer einen solchen ‚Spurwechsel‘ abgelehnt hat, liegt auf Basis Entwurfs für das angekündigte ‚Fachkräftezuwanderungsgesetz‘ der mittlerweile zwischen dem Innenministerium und dem Arbeits- und Sozialministerium ausgehandelte asylpolitische Kompromiss vor.
Tagesschau.de schreibt dazu: „Ausreisepflichtige Asylbewerber können laut Gesetzentwurf jetzt eine ‚Beschäftigungsduldung‘ für zwei Jahre erhalten, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen beispielsweise seit mindestens 18 Monaten einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit mit mindestens 35 Wochenstunden nachgehen, seit mindestens einem Jahr im Besitz einer Duldung sein, ihren Lebensunterhalt seit mindestens einem Jahr selbst finanzieren, über ‚ausreichende Kenntnisse‘ der deutschen Sprache verfügen, dürfen wegen keiner Straftat verurteilt sein (wobei bestimmte leichtere Vergehen nicht berücksichtigt werden) und ihre Identität muss geklärt sein.“
Kritisiert wird diese Regelung nicht nur von den zahlreichen Lobbyorganisationen, die sich zusammen mit den meisten Oppositionsparteien (außer der AfD) für eine weitere Liberalisierung des Asylrechts und Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Migranten jedweder Art einsetzen, sondern auch von dem grünen Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der sich als Befürworter einer restriktiveren Asylpolitik einen Namen gemacht hat. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er:
„Die sogenannte Beschäftigungsduldung ist zu wenig. Zwei Jahre hierbleiben dürfen und dann gehen müssen, wenn man sich integriert hat und einen Beruf gefunden hat und gebraucht wird und einer Arbeit nachgeht, ist nun wirklich keine Lösung des Problems, das wir haben. Das Problem ist, dass wir gut integrierte Leute, die Jobs annehmen, die sonst keiner macht, rauswerfen und dafür dann per Einwanderungsgesetz neue suchen müssen. Das ist wirtschaftlicher Unsinn, das ist aber auch menschlich nicht zumutbar, und ich hoffe, dass die Politik sich hier noch bewegt. Es wäre auch wichtig, um gegen Kriminalität unter abgelehnten Asylbewerbern einen Anreiz zu setzen, denn im Moment haben die gar keinen Grund, sich anzustrengen. Eigentlich ist es für die logisch, dass sie im Stadtpark Drogen dealen, um in der verbleibenden Zeit möglichst viel Geld zu machen. Das finde ich falsch.“
Palmer plädiert stattdessen mit dem folgenden Argument für eine Stichtagsregelung:
„Wir haben über eine Million Menschen in kurzer Zeit in Deutschland aufgenommen. Wir wissen, dass die Verfahren viel zu lange gedauert haben. Bis das gerichtsfest ist, sind fünf, sechs Jahre herum, und dann ist Abschiebung eh kaum noch möglich. In Zukunft soll das nicht passieren. Deswegen brauchen wir ein Bundesamt, das in zwei, drei Monaten die Entscheidung trifft, und die Gerichte müssen zwei, drei Monate später auch fertig sein. Dann kann man die, die keinen Anspruch haben, auch wieder zurückschicken. Aber nach fünf Jahren und guter Integration ist das falsch.“
Deswegen sollte laut Palmer den ‚Altfällen‘ abgelehnter Asylbewerber bis zu einen gewissen, in der Vergangenheit liegenden Stichtag eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erteilt werden. Nach diesem Stichtag zugewanderte Asylbewerber müssten nach Abschluss ihres deutlich verkürzten Asylverfahrens hingegen wieder in ihre Heimat zurückkehren. Eine zweijährige ‚Beschäftigungsduldung‘ wäre für sie ausgeschlossen, da nach maximal einem halben Jahr das Asylverfahren abgeschlossen wäre. Eine Arbeitsaufnahme während dieser Zeit wäre nach Palmers Meinung aufgrund fehlender sprachlicher und fachlicher Qualifikationen weitgehend ausgeschlossen. Nur anerkannte Asylbewerber, die danach einen Aufenthaltstitel von drei Jahren erhalten, müssten in den Arbeitsmarkt integriert werden.
Die insbesondere von den Grünen betriebene Streichung des lange geltenden Arbeitsverbots für Asylbewerber hat zwangsläufig dazu geführt, dass Arbeitsverhältnisse mit noch nicht anerkannten oder abgelehnten Asylbewerbern, die während ihres Verfahrens in Arbeit gekommen sind, wieder aufgelöst werden müssen, sobald eine Rückführung vollzogen werden kann. Dieses Risiko würde für die Unternehmen sofort verschwinden, wenn nur anerkannte Asylbewerber arbeiten dürften. Die heutige Arbeitserlaubnis für alle Asylbewerber konterkariert darüber hinaus jede Trennung von Asyl und Erwerbsmigration und führt auch jegliche Stichtagsregelung ad absurdum, solange der Zustrom von Asylbewerbern in hoher Zahl anhält und die Verfahren weiterhin Jahre dauern. Es müssten fortlaufend neue Stichtage festgelegt werden, mit deren Hilfe neue ‚Altfälle‘ abgelehnter Asylbewerber im Land bleiben dürften. Dies liefe unter den gegebenen Rahmenbedingungen auf nichts anderes als auf ein Bleiberecht für alle abgelehnten Asylbewerber hinaus, die nach Deutschland schon eingewandert sind oder zukünftig einwandern, sofern sie in Arbeit kommen.
Um das Risiko des Abgleitens in die Kriminalität und den Islamismus dieser wachsenden Bevölkerungsgruppe einzudämmen, will die Regierung ihre Mitglieder möglichst schnell in den Arbeitsmarkt integrieren. Dies führt zu einer zunehmenden Verquickung des Asylrechts mit der Arbeitsmigration, die auch die Bundesregierung, entgegen eigener Verlautbarungen, offenkundig nicht beenden will. Möglicherweise schafft das geplante Gesetz sogar einen zusätzlichen Missbrauchstatbestand mit der Regelung, dass ein Arbeitsmigrant in Zukunft auch ohne Arbeitsvertrag für ein halbes Jahr nach Deutschland kommen kann, um sich eine Arbeit zu suchen. Sollte er aus einem unsicheren Herkunftsstaat einreisen und bei seiner Arbeitssuche nicht erfolgreich sein, kann er kurz vor Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis einen Asylantrag stellen und weiter in Deutschland bleiben. Er erhält dann zunächst Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und im Falle der Bewilligung seines Asylantrags Arbeitslosengeld II. Er kann nun – finanziell grundgesichert – seine Arbeitssuche für mindestens drei Jahre in Ruhe fortsetzen. Sollte sein Asylantrag abgelehnt werden, darf er trotzdem in Deutschland bleiben, sofern er zwischenzeitlich eine Ausbildung begonnen oder eine Arbeit aufgenommen hat.
Diese neue Kombilösung für Einwanderung und Asyl hätte indes nicht nur für die Migranten erhebliche Vorteile, sondern würde auch den Streit über die Umgehung geltender Gesetze erübrigen. Artikel 16a des Grundgesetzes hätte sich ebenso erledigt wie Dublin III. Jeder Asylbewerber würde auf legalem Weg nach Deutschland kommen, ohne zuvor in einem sicheren Drittstaat registriert worden zu sein.
Innenminister Seehofer müsste sich nicht erneut Gedanken darüber machen, wie man Asylbewerbern aus sicheren Drittstaaten den Zugang nach Deutschland verwehren kann. Vielleicht sind das alles aber auch nur Hirngespinste, die sich nach einer Veröffentlichung des Gesetzentwurfs in Luft auflösen. Bislang haben ja nur besonders regierungstreue Medien Zugriff auf den Gesetzestext erhalten, auf deren Berichterstattung der kritische Rest angewiesen ist.
Roland Springer arbeitete als Führungskraft in der Autoindustrie. Er gründete im Jahr 2000 das von ihm geleitete Institut für Innovation und Management. Sein Buch Spurwechsel – Wie Flüchtlingspolitik wirklich gelingt erhalten Sie in unserem Shop www.tichyseinblick.shop