Seit dem 1. Juni 2020 gibt es ein neues vom Bund finanziertes Forschungskonglomerat, das demnächst seine Arbeit aufnehmen soll: das „Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ)“, ein dezentraler Verbund von 11 Einrichtungen, der in den kommenden vier Jahren aus einem Etat von 40 Millionen Euro schöpfen kann. Interessant sind die Erwartungen, die Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) an die neue Institution richtet – und dessen Vorgeschichte, die bis 2014 zurückreicht.
Karliczeks Erklärung zum Start des Instituts liest sich über weite Strecken wie eine Bundespräsidentenrede. Es finden sich darin weitgehend inhaltsbefreite Sätze wie: „Um zu verstehen, was uns als Gesellschaft zusammenhält, brauchen wir noch tiefere Erkenntnisse.“ Aber auch die übliche Warnung vor der „Spaltung der Gesellschaft“, kombiniert mit einer Unterscheidung zwischen „wir“ und „die“: „Gerade in Zeiten der Krise dürfen wir das Feld nicht denen überlassen, die andere ausgrenzen und die Gesellschaft spalten wollen. Wir müssen denen widersprechen, die Unsicherheiten aus welchen Motiven auch immer schüren und Sündenböcke suchen.“
Wer sich hinter „wir“ verbirgt und wer schürend „Sündenböcke“ sucht, bleibt in dem Grußwort der Ministerin offen. Das FGZ soll sich jedenfalls laut Bundesforschungsministerium der Entwicklung von „praxisrelevanten Vorschlägen“ zu den Themen „Konfliktkultur, Populismus und Diskriminierung“ widmen. Was die Frage aufwirft, wieweit es sich mit freier Forschung verträgt, wenn eine Ministerin die Form des Ergebnisses – „praxisrelevante Vorschläge“ für die Politik – schon vor dem Start der eigentlichen Arbeit festlegt.
Patzelt ist ein CDU-Mitglied und er macht aus seiner liberal-konservativen Gesellschaftssicht keinen Hehl. Dass er zusammen mit einem Wissenschaftler der Konrad-Adenauer-Stiftung ein Institut an der TU Dresden etablieren wollte, versetzte damals viele Kollegen und Wissenschaftspolitiker in Alarmstimmung. Sie brachten mit Hilfe verschiedener Medien die Warnung in Umlauf, Patzelt würde einen „konservativen Think Tank“ planen. Nach der migrationspolitischen Entscheidung Merkels im Spätsommer 2015 verschärfte sich der Ton. In Dresden formierte sich Pegida; Patzelt als Politikwissenschaftler führte Befragungen unter den Demonstranten durch, versuchte ihre Motive zu erforschen und warnte die Politik davor, der Bewegung jeden Dialog zu verweigern. Dafür hefteten ihm linke studentische Aktivisten und Wissenschaftskollegen das Etikett „Pegida-Versteher“ und „Pegida-Professor“ an. Der Rektor der TU Dresden verhinderte im Verbund mit der damaligen sächsischen Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange – der früheren GEW-Chefin – , dass das Institut wie von Patzelt und Klose vorgesehen an der Hochschule errichtet werden konnte.
Zwar gelang es dem damaligen CDU-Wissenschaftspolitiker und heutigen sächsischen Regierungschef Michael Kretschmer 2016, für das künftige Institut 37 Millionen Euro an Bundesmitteln im Haushalt zu sichern. Gleichzeitig hatte es eine Allianz von Politikern, Hochschulaktivsten und medialen Unterstützern geschafft, Patzelt die Idee aus den Händen zu winden und gründlich umzuschreiben.
„Pegida-Institut: Werner Patzelt geht leer aus“, freute sich die „Freie Presse“ 2018, als die TU Dresden bei der Bewerbungsrunde um die Mittel nichts bekam.
„Wir sind schlicht ausgebootet worden“, resümiert Patzelt heute im Gespräch mit TE.
Stattdessen gehört jetzt die Universität Leipzig zu den Institutionen, an denen vieles im FGZ künftig zusammenlaufen soll. Dort zählt etwa der Theologe Gert Pickel, Mitautor des Buchs „Extremismus in Sachsen“ zu den beteiligten Wissenschaftlern. Er will über „verstärkten Populismus und steigende Islamablehnung“ forschen. Auch der Leipziger Soziologe Oliver Decker ist dabei, der mit seinem Kollegen Elmar Brähler jahrelang die so genannten „Mitte-Studien“ für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung erstellte und ähnliche Auftragsforschungsarbeiten für die grüne Heinrich-Böll-Stiftung lieferte. Zu den Einrichtungen unter dem Dach des FGZ zählt auch das von der Amadeu-Antonio-Stiftung getragene „Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft“.
In dem programmatischen Text Karliczeks zum Institutsstart kommen die Konflikte der Einwanderungsgesellschaft nicht mehr vor. Stattdessen soll es mit den 40 Millionen an Bundesmitteln um „das Auseinanderdriften von Stadt und Land“, „Populismus“, „die Lasten des wirtschaftlichen Abschwungs“ und „die Verbreitung von Verschwörungstheorien“ gehen – im letzteren Fall hoffentlich um deren Erforschung und nicht das Verbreiten selbst.
„Das neue Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist etwas ganz Besonderes. Im Feld der Geistes- und Sozialwissenschaften ist es einzigartig“, verkündete die Ministerin. In der Tat fällt auf, was in dem neuen Institut völlig fehlt: Volkswirtschaftler etwa und Finanzwissenschaftler. Ökonomie scheint nach dem neuen Konzept für den gesellschaftlichen Zusammenhalt überhaupt keine Rolle zu spielen. In Patzelts Institutsidee war ökonomische Kompetenz durchaus vorgesehen.
Zur Vorstellung des neuen Instituts erklärte Karliczek sogar: „Egoismus und Intoleranz zerstören Gesellschaften von innen heraus.“ Bisher galt maßvoller Egoismus als wichtigste Triebkraft der wirtschaftlichen Entwicklung, jedenfalls seit Adam Smith, der erkannte, dass ein Bäcker nicht aus altruistischen Gründen Brot backt, sondern, weil er damit Geld zu verdienen hofft.
Die Verdammung des Egoismus als ganz und gar negative Eigenschaft durch einen Politiker kannte man bisher eher aus Ostblock-Diktaturen. Unter Politikern der Partei Ludwig Erhards kam diese Sicht bisher nicht besonders häufig vor.
Jetzt soll das Institut offenbar auch zur Egoismus-Bekämpfung „praxisrelevante Vorschläge“ liefern.