Im Berliner Innenministerium blickt man einem heiklen Endspurt entgegen. Die Situation an den deutschen Grenzen ist eine herausfordernde. Eintausend neue Asylbewerber sind allein am vergangenen Montag illegal nach Deutschland eingereist. Wenn diese Entwicklung anhält, liegt man bald deutlich über der einst vereinbarten Obergrenze von 200.000 Asylzuwanderern im Jahr. Doch auch Horst Seehofer, der nur noch kommissarische Minister für Inneres, Bau und Heimat, der diese – für viele weitaus zu hohe – Obergrenze verhandelt hat, wird bald gehen.
Ein Großteil der illegalen Einwanderer wurde in Brandenburg nahe der Grenze nach Polen aufgegriffen und an die Zentrale Ausländerbehörde des Landes übergeben. Inzwischen rüstet sich Brandenburg für noch mehr Migranten. Angeblich sind es derzeit rund 120 illegal Eingereiste, die jeden Tag in Brandenburg aufgegriffen werden. Hinzu kommen die Aufgriffe in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, die ebenfalls eine Grenze nach Polen haben. Im brandenburgischen Guben und Märkisch-Oderland stehen Lokalpolitiker zeitweiligen Grenzkontrollen bereits positiv gegenüber.
Es sind dabei die Zahlen aus nur zwei Bundesländern. Man muss die Werte folglich auf rund zehn Bundesländer mit exponierten Staatsgrenzen hochrechnen. Auch die Oktoberzahlen stehen noch aus. Hinzu kommen die Aufgriffe im Inland, an Bahnhöfen und Flughäfen. Man ist schnell bei der Zahl, die Seehofer genannt hat, und staunt trotzdem nicht schlecht.
Seehofer floatet im machtpolitischen Vakuum
Mehr als 1.000 Asylbewerber wurden an einem einzigen Tag in Deutschland registriert – eine Zahl, die es »seit vielen Jahren« nicht mehr gegeben habe. Auf den Monat hochgerechnet ergäben sich daraus 30.000 irreguläre Zuwanderer, aufs Jahr 365.000, was weit über der von Seehofer einst ausgehandelten Obergrenze von 200.000 läge. Der scheidende Innenminister sieht folglich Handlungsbedarf, sprach sich für Befestigungsanlagen an den polnischen Grenzen aus und schloss am Ende auch feste Grenzkontrollen an deutschen Grenzen nicht aus.
An der bayerisch-österreichischen Grenze sind solche Kontrollen seit geraumer Zeit möglich. Gerade erst hat der Minister die Verlängerung um sechs Monate angemeldet. Doch zwischen Deutschland und Polen will Seehofer abwarten. Die Grenzsicherung bezeichnet er dort nur als »Ultima Ratio«.
Insofern scheint nichts auf einen späten Triumph des Niederbayern hinzudeuten, der 2018 eine »Herrschaft des Unrechts« an deutschen Grenzen beklagt hatte. Die Bundesregierung, der er angehört, ist nur noch kommissarisch im Amt und sollte eigentlich keine langfristig wirkenden Beschlüsse mehr fassen. Seehofer spricht sozusagen in ein machtpolitisches Vakuum hinein. Die Entscheidung über die Lage an der polnischen Grenze will er anscheinend seinem Nachfolger überlassen. Aber kann der Innenminister das wirklich tun, wenn an deutschen Grenzen und in Aufnahmezentren ein Ausnahmezustand droht?
Währenddessen handelt Polen
»Putzig« fand der Minister den Plan von Robert Habeck und anderen, vor allem grünen Ampelanern, die das Erpressungspotential vor den eigenen Toren schlichtweg in die EU aufnehmen wollen: »Wenn Habeck sagt, wir sollen die Flüchtlinge, die aus Belarus kommen, einfach in Europa verteilen – das wäre die große Genugtuung für Lukaschenko«. Man würde sich erst recht erpressbar machen. Der weißrussische Präsident würde folglich »noch mehr über die Grenze befördern, um die Stabilität in Europa zu gefährden«. Der Vorschlag sei nicht praktikabel, auch die Grünen müssten sich sehr bald »der Realität stellen«.
14.000 Migranten sollen noch in Weißrussland auf eine Gelegenheit zur Einreise nach Deutschland warten. Videos aus dem Grenzbereich zeigen, wie Migranten und ihre Helfer einen Grenzzaun niederreißen. Der polnische Innenminister Mariusz Kamiński will eine »solide, hohe Barriere, mit Überwachungssystem und Bewegungsmeldern« errichten. 2.500 polnische Soldaten durchkämmen derzeit die Wälder östlich von Lublin, wo auch das Wisent grast, um illegale Einwanderer zu fassen.
Derweil ermahnte Präsident Lukaschenko Minister und Gouverneure, das Volk nicht mit Anti-Covid-Maßnahmen zu »quälen«. Denn wie könnten seine Minister sonst wagen, den Präsidenten ohne Maske, ohne Test und Quarantäne zu besuchen? »Wir haben nur einen in Weißrussland.« Auch das ist irgendwie putzig in seiner direkten Opposition gegen die westeuropäische Coronamanie, die sich dann doch auch in die Regierung dieses demokratisch gewählten Potentaten eingeschlichen zu haben scheint.