Tichys Einblick
Zensur durchgewunken

NetzDG: Löschorgie von Kai aus der Kiste

Die Damen und Herren waren ja fast vollzählig im Hause zugegen, als über die Ehe für Alle abgestimmt wurde und die Fernsehzuschauer zugeschaltet waren. Aber beim NetzDG geht's ja nur um Meinungsfreiheit. Eine Schande.

© Tobias Schwarz/AFP/Getty Images)

Halten wir zunächst einmal fest: Hätten sich die Abgeordneten der Partei Die Linke geschlossen im Plenum des deutschen Bundestages aufgehalten, wäre das Netzwerkdurchsetzungsgesetzes nicht beschlossen worden. Das allerdings ist nur ein theoretisches Zahlenspielchen. Denn wäre Die Linke in voller Fraktionsstärke mit 64 Abgeordneten erschienen, wären sicher mehr als nur die 32 oder 33 Abgeordneten von Union plus SPD (Handzählung nach Fernsehbild) zur Abstimmung gekommen. Möglicherweise spricht man sich hier auch im Vorfeld überfraktionell ab, damit es nicht zu Unstimmigkeiten im Wortsinne kommt.

So stimmte nun die Fraktion der Linke zwar geschlossen, aber mit nur sechs Abgeordneten (möglicherweise sieben oder acht, das Parlamentsfernsehbild war links außen abgeschnitten) gegen den Gesetzesentwurf. Die Grünen, anwesend mit sechs von 63 Abgeordneten, enthielten sich. Mal wieder. Eine einsame und wohl bald noch einsamere CDU-Abgeordnete aus den hinteren Reihen hob gemeinsam mit den Linken die Hand gegen den Entwurf.

Anders als bei der Abstimmung der „Ehe für Alle“ wurde hier also keine namentliche Abstimmung vorgenommen, sondern eine per Handzeichen, die keiner personalisierten Auszählung bedurfte. Und weilt die Zeit in vielerlei Hinsicht drängt und damit man anschließend behaupten kann, dass nicht nur der zweiten, sondern auch der dritten Beratung genüge getan wurde, wird noch ein zweites Mal abgestimmt. Damit es nicht langweilig wird, dieses Mal nicht per Handzeichen, sondern durch aufstehen oder sitzenbleiben. Die Reise nach Jerusalem andersherum: freie Stühle ohne Ende im gähnend leeren Stuhlkreis.

Wer sich die vor den Abstimmungen erfolgten Redebeiträge angehört hat, kommt nicht umhin, auch hier eine reine Pflichtveranstaltung anzunehmen. Natürlich, der Abgeordnete der SPD, Dr. Johannes Fechner aus dem baden-württembergischen Wahlkreis Emmendingen-Lahr, hält dieses Gesetz für eines der wichtigsten, „die wir in dieser Legislaturperiode beschließen“, aber alleine die Nichtanwesenheit von über 150 seiner Kolleginnen und Kollegen straft ihn Lüge. Und die Damen und Herren waren ja fast vollzählig im Hause zugegen, jedenfalls gerade noch, als direkt zuvor über die Ehe für Alle abgestimmt wurde und die Fernsehzuschauer zugeschaltet waren, als Volker Beck mit Konfetti-Kanonen geehrt wurde.

Albern und würdelos
Konfetti-Parade im Deutschen Bundestag
Alexander Hoffmann, CSU-Abgeordneter aus dem bayrischen Wahlkreis Main-Spessart bringt es unfreiwillig auf den Punkt, als er – allerdings bezogen auf Hass im Netz – erklärt: „Wenn man sich nicht Aug in Aug gegenübersteht, traut man sich ein ganzes Stück mehr.“ Wer die Wähler aber auf diese Weise aus den Augen verloren hat, der traut sich tatsächlich ein ganzes Stück mehr, als ihm per Wählervotum zugestanden wurde. Und das Standardargument, man hätte ja noch irgendwo anders im Hause Wichtiges zu tun, zieht hier nicht, denn kurz zuvor, zur Ehe-für-Alle-Abstimmung, war das Haus pickepackevoll.

Den ersten Redebeitrag zum NetzDG nach Heiko Maas‘ Vorstellung des neuen Gesetzes hatte die Abgeordnete der Partei Die Linke, Petra Sitte. Während ihrer kurzen Redezeit verlassen hunderte Abgeordnete geräuschvoll aufgekratzt den Saal. Und im Anschluss an die Rede der Linken, eilen auch linke Kolleginnen wie Katja Kipping gut gelaunt hinterher.

Die Abgeordnete Nadine Schön (CDU) fand den ersten Entwurf aus dem Hause Maas „zu spät vorgelegt“, „handwerklich schlecht gemacht“ und sah dazu eine „breite Kritik in der Bevölkerung“. Nun sei aber doch alles gut. Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel schaute ebenfalls auf die Nachbesserungen, sah das für TE allerdings nicht nur geringfügig anders als die Abgeordnete Schön, die wie Heiko Maas aus dem Saarland nach Berlin gekommen ist: Auch „die letzte Fassung (…) genügt den verfassungsrechtlichen Bedenken in keiner Weise.“ Es hätte nur minimale Änderungen gegeben und „die Änderungen dienen der Irreführung der Öffentlichkeit und der Abgeordneten, die sich rückgratlos dem Fraktionszwang subordinieren.“ Die beispiellose Kritik an diesem gesetzgeberischen Fiasko sei laut Ansicht des Hamburger Rechtsanwaltes in den Nachbesserungen nicht berücksichtigt worden.

Nadine Schön spricht auch nicht mehr über Hate-Speech, sondern von einer „Entscheidung über Wahrheit und Unwahrheit im Netz.“ Die Kanzlerin ist nicht mehr anwesend, als Frau Künast, die sich später – wie schon erwähnt – ihrer Stimme enthalten wird, erklärt, mit dem NetzDG gebe Deutschland weltweit ein Muster vor. Fairerweise muss man erwähnen, dass ihr nicht entgangen ist, dass dieses Muster möglicherweise auch Vorbildcharakter für nicht demokratische Länder haben könnte. Mehr muss man dazu kaum sagen.

Heiko Maas’ Buch „gegen Rechts“:
Maas: Intoleranz im Gewand der Toleranz
Eines vielleicht doch noch: Heiko Maas käme wie der Kai aus der Kiste, weiß Frau Künast. Mit einem Gesetz, das nicht das Niveau an Seriosität hätte, das man bräuchte. Und sie stellt weiter fest, das Facebook faktisch durch Algorithmen Meinung macht. Dass man nun zukünftig Meinungen stützt, indem man andere löscht, wäre die logische Schlussfolgerung, die, wir wissen es nun, bei der Grünen dennoch nur zur üblichen Enthaltung ausreichte. Man enthält sich, man will niemandem wehtun, man will einfach nur, das alles so bleibt wie es ist – bezogen auf den Abgeordnetenstatus mit all seinen Vorzügen. Politik, das sollen andere machen: „Das Gesetz reicht nicht, die Gesellschaft muss auf die Straße.“ Diese Entwertung der parlamentarischen Demokratie, diese Bankrotterklärung, stört aber im sowieso fast leeren Parlament niemanden mehr.

Der Reiz zu löschen sei so immer noch größer als der Reiz, das Recht und die Meinungsfreiheit einzuhalten, denkt Frau Künast laut über das Risiko des NetzDG nach, aber es ist ihr am Ende so egal, wie es eine Enthaltung eben zum Ausdruck bringen kann. Man könnte es auch Arbeitsverweigerung nennen, aber sie ist immerhin physisch an diesem Vormittag in Berlin noch anwesend und nicht schon auf dem Weg zu ihren Lieben daheim – sie hat es allerdings auch nicht so weit, wie beispielsweise die bayrischen Abgeordneten, Renate Künast wohnt in Berlin.

Heiko Maas wird später in seinem Büro vor dem Fikus benjamin noch Zeit haben für einen weiteren seiner vielen täglichen Tweets, Zeit für einen ulkigen Spaß, wenn er für die Kamera mit beiden Händen aus Merkels Raute ein Herz formt, das sich per digitaler Bearbeitung in alle Regenbogenfarben verfärbt, wie sonst nur nach ein paar Tagen ein blaues Auge bei einem echten Lausejungen.

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