Tichys Einblick
Von Maas bis Merkel

NetzDG: Gestern sagte die Union stop, heute go

Gestern tat die CDU/CSU-Fraktion so, als hielte sie die Blitzgesetzgebung im Bundestag auf und sorge für Zeit zur Prüfung und Beratung. Wir hätten der Union nicht trauen dürfen. Heute tat sie nichts, um die Rechtskraft vor der Bundestagswahl zu verhindern.

Screenshot: phoenix

Das ist alles andere als schön, Frau Schön. Gestern machten sie allen, die um die Meinungsfreiheit im Netz fürchten, Hoffnung, dieses Machwerk von Gesetz namens NetzDG könne verhindert werden. Heute gaben sie das Verfahren frei. Die Freunde der Freiheit werden sich daran an der Wahlurne erinnern. Es ist wie immer: Wenn die SPD pfeift, brüllt die CDU, ehe sie umfällt.

Mit dem NetzwerkDG, soll, so die offizielle Lesart, Facebook, Twitter und Co. in die Pflicht genommen werden, ein leicht erkennbares, erreichbares und ständig verfügbares Verfahren für Beschwerden über strafbare Inhalte einzurichten. Nach der öffentlichen Debatte heute wurde an den Ausschuss für Recht- und Verbraucherschutz federführend überwiesen. (Vorsitzende Renate Künast, die Mitglieder hier.) Künast trat in der Debatte für eine weitere Verschärfung der Zensurmöglichkeiten ein. Das wird also heiter: Denken Sie daran: In Zukunft auf Facebook und twitter nur noch Katzenfotos.

Das Bundeskabinett hatte Anfang April 2017 dem Gesetzentwurf zugestimmt, welches aus dem SPD-geführten Bundeministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) stammt und sich angeblich gegen Fake-News und Hetze wendet. Die Plattformbetreiber sind allerdings schon jetzt nach dem Telemediengesetz (TMG) dazu verpflichtet, „Hetze“ und „HateSpeech“ zu löschen, sobald sie davon Kenntnis erlangen. Zukünftig werden die Betreiber mit bis zu 50 Millionen Strafe belegt, wenn sie abweichende Meinungen nicht sofort löschen. Formal heißt es „rechtswidrig“. Aber weil irgendwelche Mindestlöhne der Netzwerke damit beauftragt werden, dies zu prüfen und zu entscheiden ist sichergestellt: Alles, was nicht Regierungs-Sprech ist, wird sicherheitshalber mal gelöscht. Es könnte sonst teuer werden. Das ist der eingebaute und so gewollte Mechanismus.

Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel wird später in den sozialen Medien schreiben: „In der Debatte konnte man sehen, dass der Justizminister die Probleme offenbar intellektuell gar nicht erfasst. Beste Redner waren Dr. Petra Sitte von Die Linke und Constantin von Notz von den Grünen.“

Formal ist die Partei „Die Linke“ Opposition im Haus. Aber diese Opposition schickt nun ausgerechnet die Dresdnerin Petra Sitte ans Rednerpult. Diese kritisiert zwar das Netzwerkdurchsetzungsgesetz grundsätzlich, leistete sich aber einen kapitalen Bock, als sie die Stasi-Mitarbeiterin Kahane und ihre Organisation namentlich erwähnt im Sinne einer irgendwie beispielhaften nichtstaatlichen Korrekturbehörde. Diese Organisation hat sich im Kampf gegen abweichende Meinung besonders hervorgetan. Sie fühlt sich wohl. So kennt Kahane es aus der DDR, ganz Deutschland soll jetzt so werden.

Aber erstmal Heiko Maas. Könnte man ihn direkt wählen, er säße ganz sicher nicht im Bundestag oder auf der Ministerbank. Der Minister talkt im Parlament, wie in jeder Talkshow zuvor. Noch dürfte man auch „quasseln“ oder sogar „dummschwätzen“ schreiben, bald aber sollen auch solche Wahrheiten vorsorglich im Facebook und sonst wo gelöscht werden. Alles Hetze. Was er sagt, lässt sich im Schnellverfahren zusammenfassen: Wir machen die Politik für dieses Land. Wir regieren. Und wir haben die Schnauze voll, dass uns jeder Hinz und Kunz via soziale Medien dazwischen quatschen kann. Für Heiko Maas stellen die aufgebrachten, die kritischen und die „hassenden“ Kommentare und Diskussion in den sozialen Netzen demnach eine neue Qualität der Kontrolle dessen dar, was er und seine KollegInnen sich für Deutschland und das Wohlergehen des deutschen Volkes so ausgedacht haben. Oder sollen wir besser sagen: was wir uns gefallen lassen? „Vom Volk, dem großen Lümmel“.

Schlimmer: Offensichtlich dankbar nimmt Heiko Maas die „Hass“-Kommentare als Legitimation, nun jede Qualität einer Kritik an seiner Arbeit einfach mit hinweg zu löschen. Allzu gerne verbreiten sich Politiker wie Journalisten auch in der genüsslichen Zitierung von „Hassbotschaften“. Da kann man dann endlich mal Schimpfworte rufen und aufschreiben, für die man daheim eine saftige Ohrfeige und anderswo schon eine Anzeige bekäme.

Parlamentarischer Populismus
NetzDG - Meinungsmache im Bundestag
Schmunzelnd schaut der Innenminister von der Regierungsbank auf die possierliche Debatte im Haus. Sein Polstermöbel fährt auf der Bewegungsschiene vor und zurück. Symbolischer geht es kaum. Und nein, das ist noch kein Elefantismus, weil man etwa nicht geliebt wird, es ist eher die satte Zufriedenheit des Narzissten. Die neuen Selbstreinigungsgesetze werden schon durchgehen, mag er denken. Man muss nur weit genug vorpreschen, dann bleibt am Ende über, was man andachte, was überbleiben sollte. Alle sprechen von Opfern, aber offensichtlich verstehen sich die meisten Abgeordneten hier selbst als die größten Opfer. Der von Mitschülern übel beleidigte und gedisste Schüler ist ihnen tatsächlich völlig egal.

Renate Künast ist dran. Sie hatte ja ihre „Facebook-Hater“ für den Spiegel sogar zu Hause besucht und traf dort auf ziemlich offene Worte, wo sie ja eigentlich Scham und Reue erhofft hatte. Auch sie debattiert hier fleißig mit: Man müsse sich schon schämen, wenn Journalisten political correctness für etwas Falsches halten.  Und leider komme man gar nicht durch bei Facebook. Zum privaten Unternehmen. Als Vorsitzende des Rechtsausschusses wird sie schon dafür sorgen, dass ihre Political Correctness zum Maßstab wird. So geht Meinungsfreiheit.

Willkürjustiz
NetzDG: Das Ende von Meinungsfreiheit und Rechtsstaat
Aber was wäre denn dann die Strafandrohung? Facebook abschalten? Wie in China oder anderswo, wo solche Dinge in Parlamenten überhaupt nicht verhandelt werden müssen? Künast will Lösungen dafür, „was hier gesellschaftlich passiert“. Das mag man so oder so verstehen. Entweder es geht wirklich um „Hate-Speech“. Oder es geht um Kritik an politischen Entscheidungen. So wie man es beim süffisanten Vortrag des Justizministers vermuten durfte. Ja, es ist lästig. Aber ok, da stehen immerhin Kameras. Also machen wir es halt. ARD und ZDF sind ja unter Parteienkontrolle. Deshalb sollen sie zukünftig vorrangig in den Netzwerken aufscheinen. So geht das.

„Nach diesen Selbstgespräche der großen Koalition muss ich noch eine Frage stellen“, sagt der Grüne Konstantin von Notz. Was er da nun zwischen fragt, ist dann gar nicht mehr so wichtig, denn seine Partei ist doch die neue FDP: nach beiden Seiten offen für diese Art des Selbstgesprächs. So faked man Meinungsvielfalt. Wenn man sie aber hier so faked, dann ist sie für die da draußen eh schon wurscht. Dann nimmt man jeden fiesen „Hater-Kommentar“ als Argument, um die hier im Hause fehlende Meinungsvielfalt über Meinungsfreiheit weiter zu beschneiden.

Tarnen und Täuschen
NetzDG: Maas' Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Hansjörg Durz von der CSU befindet, „Eine Eigendynamik zu Lasten der Meinungsfreiheit darf es nicht geben.“ Mit dem hier diskutierten Gesetz sollen ja maximal zehn soziale Medien erfasst werden die eine Mindestzahl von Usern in einer bestimmten Millionenhöhe haben. Durz möchte das sogar noch erweitern: Hetze würde doch auch von weniger bespielten Plattformen ausgehen. Wer entscheidet was gelöscht wird und nach welchen Kriterien? Bisher geschehe das nach firmeninternen Kriterien. „Wir brauchen einen rechtsstaatlichen Mechanismus über Löschentscheidungen. (…)“ Es ginge um eine vernünftige Zusammenarbeit mit der Justiz. Herr Durz hat übersehen: Die Justiz ist außen vor, der neue deutsche Rechtsstaat braucht unabhängige Richter nicht. Der eingebaute ökonomische Mechanismus wird seine Wirkung entfalten. Herr Durz beweist: Fake-News kommen von den Regierungsfraktionen, und damit das so bleiben kann, schafft man dieses Gesetz.

Ja, auch beim CSU-Abgeordneten kommt alles durcheinander. Nein, man kann eben nicht unbeschränkt nationales Gesetz anwenden an einer internationalen Plattform, die dann wiederrum von weiteren nationalen Gesetzen aller anderen Facebook-Teilnehmerländer penetriert werden wird. Wenn nun aber Facebook Zugriffsrechte an jeden einzelnen teilnehmenden Staaten abgeben würde, dann widerspräche das dem Grund- und Geschäftsmodell dieser Kommunikationskrake. Es wäre nicht einmal funktional.

Wohl an keinem anderen Beispiel dürfte klar werden, wie sehr sich die Idee einer nationalstaatlichen Souveränität überholt hat. Oder in diesem Falle von Facebook im Handstreich und mit jedem Nutzer mehr überholt wurde. Eine Scheindebatte von Beleidigten. Und eine Beleidigung des Souveräns. Möge jeder einzelne selbst entscheiden, was schlimmer ist. Und dann ist Sommerpause. Und dann Bundestagswahl. Und dann alles wie gehabt. Wozu regiert man ja auch? So was mag man sich durch freie Meinungsäußerung nicht vermiesen lassen.Kann man ja verstehen, irgendwie.

Die mobile Version verlassen