Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) veröffentlicht monatsweise den Sicherheitsbericht über Impfnebenwirkungen. Um sich einen Eindruck über die Dunkelziffer zu verschaffen, hat die Behörde außerdem die App SafeVac 2.0 lanciert. Darüber können einmalig oder vollständig Geimpfte über die Verträglichkeit der Impfstoffe berichten. Bislang nutzten rund 725.000 Geimpfte die App – das sind rund 1,2 Prozent aller bis zum 30. November Geimpften, wie das PEI im Sicherheitsbericht erklärt.
Das PEI schätzt die Dunkelziffer dennoch gering ein. Auf TE-Anfrage erklärt die Arzneimittelbehörde, die große Bereitschaft der Geimpften, an SafeVac 2.0 teilzunehmen, und die milliardenfachen Impfungen weltweit wiesen darauf hin, dass man bereits über ein „sehr umfassendes Bild“ von möglichen Nebenwirkungen verfüge. „Wir gehen daher nicht von einer hohen Dunkelziffer bei der Meldung von Verdachtsfällen auf Impfnebenwirkungen und Impfkomplikationen nach einer Impfung mit einem der zugelassenen COVID-19-Impfstoffe aus.“
In Deutschland gebe es sowohl gesetzliche Meldepflichten als auch – für alle Statusgruppen – die freiwillige Möglichkeit zur Meldung. Das PEI habe auf Grundlage dieses Meldesystems „sehr frühzeitig“ das Risiko von Sinus- und Hirnvenenthrombosen, zum Teil in Kombination mit Thrombozytopenie, zunächst für den Vektorimpfstoff Vaxzevria (AstraZeneca) entdeckt und zusammen mit Norwegen in die Bewertung des europäischen Komitees für Arzneimittelsicherheit PRAC gebracht. Dadurch wurde die inzwischen als Thrombose-mit-Thrombozytopenie Syndrom (TTS) bekannte Reaktion als Nebenwirkung in die Produktinformationen der Vektorimpfstoffe aufgenommen.
Die Daten aus der sogenannten Spontanerfassung, mit denen das PEI arbeite, stünden im Einklang mit den Daten anderer europäischer Mitgliedstaaten. Außerdem zeige jahrzehntelange Erfahrung, dass gerade bei neuen oder neu entwickelten Impfstoffen die Meldefreudigkeit sehr hoch sei. Unterstützt werde dies durch mediale Berichterstattung zu den Impfstoffen und ihren Sicherheitsprofilen, die die öffentliche Aufmerksamkeit ebenso wie die der Fachöffentlichkeit steigerten.
Paul Cullen schrieb kürzlich in einem TE-Beitrag, man gehe davon aus, dass die Dunkelziffer bei schweren Nebenwirkungen einschließlich Verdachtstodesfällen mindestens fünfmal so hoch sei. Auch kritische Hausärzte schätzen aufgrund der eigenen Erfahrungen in der Praxis, dass die Nebenwirkungsrate zehnmal höher sein könnte, als vom PEI erfasst (TE berichtete).
Das PEI selbst hat in seinem Bulletin zur Arzneimittelsicherheit einen Fachartikel veröffentlicht, laut dem bloß eine kleine Minderheit der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) überhaupt gemeldet wird. „Nur etwa sechs Prozent aller UAW und fünf bis zehn Prozent der schweren UAW werden Schätzungen zufolge gemeldet (underreporting)“, schreiben die Autoren in dem Text, der in der ersten Ausgabe des Jahres 2017 erschienen ist. Das entspricht einer Unterschätzung um den Faktor 10 bis 20. Auch US-Studien kommen laut einem Fachartikel zum Schluss, dass die Dunkelziffer beim amerikanischen Meldesystem VAERS um den Faktor 2 bis 8 höher ist. Eine Metastudie aus der Fachzeitschrift Drug Safety berichtete von einer Dunkelziffer um den Faktor 6,5 bei schweren Nebenwirkungen. Demnach lag der Median der sogenannten underreporting rate über 19 Studien hinweg bei 85 Prozent.
Das PEI sagt auf TE-Anfrage, dass neben der Beobachtungsstudie SafeVac 2.0 eine weitere Studie mit dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryotoxikologie der Charité in Berlin laufe. Die prospektive Beobachtungsstudie untersuche die Sicherheit und Verträglichkeit der Corona-Impfstoffe in der Schwangerschaft. „Der Schwangerschaftsverlauf und das Befinden des Neugeborenen nach Impfung der Mutter werden dabei systematisch erfasst und ausgewertet werden“, schreibt die Behörde. Außerdem sei eine retrospektive Studie auf Basis von elektronischen Gesundheitsdaten der gesetzlichen Krankenkasse geplant.
Über das offizielle Meldesystem, an das Mediziner Impfnebenwirkungen aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung melden müssen, gingen rund 197.000 Verdachtsmeldungen ein. Davon betrafen rund 26.200 schwerwiegende Nebenwirkungen – etwa gab es 265 Verdachtsfälle einer Thrombose mit Thrombozypotenie. Der Bericht spricht auch von 1919 Todesfällen, die zwischen 0 und 289 Tagen nach einer Corona-Impfung passierten. Bei 78 Verdachtstodesfällen hält das PEI einen Zusammenhang mit der Impfung für „möglich oder wahrscheinlich“, wie es im Bericht heißt.
Insgesamt betrug die Verdachtsrate 1,6 Nebenwirkungen pro 1000 Impfdosen, bei schweren Nebenwirkungen 0,2. Vereinfacht gerechnet könnten also 3 von 1000 vollständig Geimpften von Nebenwirkungen betroffen sein. Von allen vier zugelassenen Impfstoffen sind die Verdachtsraten bei dem Biontech-Impfstoff am geringsten.