Nancy Faeser scheint anderthalb Monate nach ihrem Antritt als Bundesinnenministerin auf sicherem Wege, zu einem der großen Irrlichter der Koalition zu werden. Ihre Drohung, Telegram abzuschalten, nahm sie zurück und behauptete, die Aussage sei lediglich ein taktisches Mittel gewesen, um Druck auf den Messenger-Dienst auszuüben. Der Druck dürfte nun entwichen sein. Dem Dienst wird die Verbreitung von „Hass und Hetze“ vorgeworfen. Damit ist allerdings meist schlicht Regierungskritik, zumal an Sozialdemokraten, gemeint. Dass einer Juristin diese Feinheiten entgehen, mag man kaum glauben.
In einem Brief an den CDU-Abgeordneten Christoph de Vries konnte das Innenministerium keinen einzigen EU-Partner benennen, der sich an Faesers Plan zur „regulären“ Aufnahme von mehr Migranten beteiligen will. Deutschland sind schlichtweg die willigen Partner in diesen Dingen ausgegangen. Im Osten des Kontinents hat sich ein Kordon aus Ländern gebildet, die ihre eigenen Grenzen schützen und bewachen und keinesfalls zum Ziel illegaler Immigration werden wollen, so, wie sie vor allem die Mittelmeerländer betrifft. In der jüngsten Krise haben Litauen, Lettland und Polen nacheinander ihre Grenzanlagen gestärkt. Im gesamten Bogen vom Baltikum über den Balkan bis nach Zypern war für Nancy die Aufnahmebereite also ohnehin nichts zu holen.
Auch aus Frankreich kam offenbar keine Zusage. Das Land war nie allzu aufnahmewillig gewesen, selbst wenn man sich wie im Fall des abgebrannten Moria-Lagers zur Übernahme einer gewissen Zahl von Lagerbewohnern bereit erklärt hatte. Doch die realen Zahlen standen stets hinter den zuvor versprochenen zurück. Ebenso war es im Fall Portugals oder Spaniens. Nur Deutschland übererfüllte seine Zusagen meist noch, mit Linienflügen nach Hannover.
Faeser will umverteilen, Dänemark reformieren
Und auch wenn Emmanuel Macron am Ärmelkanal so tut, als ob er illegale Migration nach Großbritannien erleichtern wolle, kritisierte sein Europaminister zugleich die britische Regierung, wirtschaftliche Anreize für die Bootsmigranten zu setzen. Das Vereinigte Königreich habe „ein wirtschaftliches Modell“, das eine Art „moderne Sklaverei“ umfasse. Könnte es sein, dass wir in Deutschland gerade in eine ähnliche Richtung gehen? Die aus dem Boden sprießenden Lieferdienste könnten dafür sprechen.
Allerdings wäre Italien kein Partner im Faeser’schen Umverteilungsprogramm, sondern Zulieferer. Insofern sollte Faesers Vorstoß vor allem eines tun: dem deutschen Bürger Sand in die Augen streuen … als ob es eine „gemeinsame europäische Asylpolitik“ gäbe, die wenn nicht von allen, so zumindest von einer erheblichen Gruppe von Staaten getragen würde. Aber die Wahrheit ist: Es gibt an dieser Stelle keine gemeinsame Linie Deutschlands mit einem der EU-Partner. Selbst das kleine Großherzogtum Luxemburg ist nun von der Stange gegangen, und die desorientierenden Äußerungen von Außenminister Asselborn könnten insofern der Vergangenheit angehören.
Auch im Norden sind keine Partner in Sicht. Dänemark hat sich ohnehin von der EU-Asylpolitik verabschiedet. Die sozialdemokratische Regierung von Mette Frederiksen regt an dieser Stelle eine grundlegende Reform an, weil das heutige Asylsystem „kaputt“ sei und den sozialen Zusammenhalt der europäischen Wohlfahrtsstaaten in Frage stelle, so Minister Mattias Tesfaye. Dänemark hat sich das Ziel „null Asylbewerber“ gesetzt, was – wie Tesfaye erklärt – nicht bedeute, dass man keine „Flüchtlinge“ aufnehmen wolle, die von der UNO ausgewählt werden. Die Verbindung von Menschenschmuggel und Asylanträgen will das Land nicht mehr aufrechterhalten, und Tesfaye sieht sich auf dem richtigen Weg: die dänischen „Ghettos“ gehen zurück, die Kriminalität sinke, Bildung und Beschäftigung nähmen zu.
Rutte: Keine zusätzlichen Aufnahmen in niederländischen Kommunen
In Schweden steht die neue – mit gewissen Startschwierigkeiten gewählte – Ministerpräsidentin Magdalena Andersson für eine härtere Gangart in der Migrationspolitik. Und auch in Finnland scheint man sich die spektakulär übersichtlichen Asylzahlen wohl nicht zerdeppern lassen. Im vergangenen Jahr gab es 1.383 Asylanträge, was einer leichten Steigerung im Vergleich zu 2020 entspricht. Wenn die neue Migrationsroute „Ost“ an der finnischen Grenze in Schwung käme, dann wären einige Finnen schon jetzt bereit, eine Mauer an der Grenze zu Russland zu errichten.
Ähnliche Zuwanderungszahlen wie Deutschland haben die Niederlande und Belgien zu schultern, die allerdings auch nicht nach mehr Migration rufen. Rutte hat sich im Herbst bei einem Besuch in Athen gegen eine zusätzliche Aufnahme von Migranten durch niederländische Kommunen ausgesprochen, die diese in der Art des deutschen „Seebrücke“-Vereins eingefordert hatten. Er bekräftigte bei der Gelegenheit, dass die Türkei ein sicherer Staat sei und Migranten dort bleiben sollten. Früher einmal hatte Rutte gesagt: „Wie wir alle aus der römischen Geschichte wissen, gehen große Reiche zu Fall, wenn die Grenzen nicht gut geschützt werden.“ Das war im November 2015. Heute scheint die Zeit gekommen, aus solchen Worten zu lernen, und das Imperium, das noch keines ist, zu schützen – damit es nicht vor seinem Aufstieg untergeht.