Tichys Einblick
Gerichtsurteil

Nachtruhe für Abzuschiebende

Vor sechs Uhr morgens darf keine Abschiebung beginnen, urteilt das Düsseldorfer Verwaltungsgericht.

imago images / Michael Trammer

Nein, das ist keine Fake News, kein Empörung erheischender Tweet von Verschwörungstheoretikern oder Reichsbürgern, die diesen Staat grundsätzlich ablehnen. Es ist eine ganz seriöse Nachricht, die das ZDF überbringt: „Abzuschiebende Ausländer haben Recht auf Nachtruhe – sie dürfen nicht zu nachtschlafender Zeit von den Behörden aufgesucht werden.“ 

Auch in Zeiten, da so manches Grundrecht dem „Bevölkerungsschutz“ weichen muss, da der SPD-Politiker Karl Lauterbach das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung für Bürger einschränken und sie auch zuhause kontrollieren will, und der baden-württembergische Innenminister Strobl Quarantäne-Verweigerer zwangseinweisen will, ist also zumindest das Recht von Abzuschiebenden auf Nachtruhe vor den Behörden gesichert. So mancher Arbeitnehmer mit nächtlichen Arbeitszeiten, vom Bäcker bis zum Polizisten wird es mit Erstaunen vernehmen.

Die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf hat am Montag entschieden (Aktenzeichen 7 I 32/20), dass die Ausländerbehörde der Stadt Duisburg „nicht berechtigt“ sei, „eine Wohnung um 4.30 Uhr morgens zu durchsuchen, um einen Ausländer zum Zweck seiner Abschiebung aufzufinden.“ Sie muss damit bis 6 Uhr warten. 

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Dass die Behörde vermutlich durchaus ihre auf Erfahrungen beruhenden Gründe dafür hat, die Wohnungen von abzuschiebenden Ausländern zu nachtschlafender Zeit aufzusuchen, um nämlich die Wahrscheinlichkeit (rund jede zweite Abschiebung scheitert) zu erhöhen, die gesuchte Person auch vorzufinden, spielte für das Gericht offensichtlich keine Rolle. „Die Durchsuchung einer Wohnung sei auch nicht schon dann erforderlich“, heißt es in einer Pressemitteilung, „wenn eine dem Ausländer gesetzte Ausreisefrist abgelaufen sei. Erforderlich seien darüber hinausgehende Umstände, etwa die Erklärung, nicht freiwillig ausreisen zu wollen.“ Vollstreckungsmaßnahmen zur Nachtzeit lasse das Aufenthaltsgesetz nämlich nur ausnahmsweise zu. 

„Weil nach den heutigen Lebensgewohnheiten zumindest die Zeit zwischen 21:00 und 6:00 Uhr ganzjährig als Nachtzeit anzusehen sei, sei es auch von Verfassungswegen geboten, dass sich der Schutz vor nächtlichen Wohnungsdurchsuchungen im Regelfall ganzjährig auch auf die Zeit von 4:00 bis 6:00 Uhr morgens erstrecke.“ Dass die Strafprozessordnung von 1879 in den Sommermonaten die Nachtzeit um 4 Uhr enden lasse, „gehe auf die zu diesem Zeitpunkt noch überwiegend agrarischen Lebensverhältnisse der Gesellschaft zurück“ und sei aufgrund eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts von 2019 nicht mehr anzuwenden. 

Im konkreten Fall aus Duisburg sei die beantragte Durchsuchung der Wohnung zur Nachtzeit „auch nicht ausnahmsweise zulässig, weil keine Tatsachen vorlägen, aus denen zu schließen sei, dass die Abschiebung anderenfalls vereitelt würde. Insbesondere könne sich die Behörde insoweit nicht auf den frühen Start des Abschiebeflugs berufen. Bloße Organisationserwägungen rechtfertigten nach Auffassung der Kammer kein nächtliches Betreten oder gar Durchsuchen von Wohnungen. Die Ausländerbehörde müsse umgekehrt Planungen der Abschiebewege und -mittel an den rechtlichen Vorgaben ausrichten.“ Jeder, der schon mal einen Flug gebucht hat, weiß, dass der um 5 Uhr früh in aller Regel sehr viel günstiger ist als einer um 10 Uhr. Aber im Falle von Abschiebungen hat die Nachtruhe der Abzuschiebenden offenbar Vorrang vor der Sparsamkeit im Sinne des Steuerzahlers. 

Gegen den Beschluss des Düsseldorfer Gerichts kann Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet. 

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