Nach Verhandlungen mit den Taliban: Deutschland zahlt 100 Millionen Euro
Ferdinand Knauss
Die Bundesregierung zahlt nach Verhandlungen mit den Taliban 100 Millionen Euro für "humanitäre Hilfe". Es ist letztlich ein verdecktes Lösegeld.
Noch am Dienstag dieser Woche hatte ein Sprecher von Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) auf eine TE-Anfrage, ob die zuletzt im Juni 2021 nach einer Videokonferenz mit der früheren afghanischen Regierung zugesagten 182,6 Millionen Euro Hilfsgeld gezahlt wurden, geantwortet: „Von den in den letzten Regierungsverhandlungen zugesagten Mitteln wurde bisher kein einziger Euro ausgezahlt. Es werden auch keine Neuvorhaben in Afghanistan gestartet. Da Bundesentwicklungsminister Gerd Müller vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in Afghanistan entschieden hat, die staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit dem Land auszusetzen, ist eine Auszahlung dieser Mittel im Moment auch nicht geplant.“
Diese Linie der Bundesregierung – kein deutsches Steuergeld für die Taliban – hat jedoch nicht mal drei Tage gehalten. Das Auswärtige Amt hat heute dem ARD-Hauptstadtstudie bestätigt, was ein Taliban-Sprecher schon in der vergangenen Nacht getwittert hatte: Deutschland zahlt 100 Millionen Euro für „humanitäre Hilfe“.
Das sei ein Ergebnis der Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den Taliban in Doha, die die Bundesregierung schon am Mittwoch mit der Entsendung des ehemaligen Sonderbeauftragten der Bundesregierung für Afghanistan, Markus Potzel, begonnen hatte.
Das Auswärtige Amt ist jetzt sichtlich bemüht, diese Zahlung zu rechtfertigen. Die Hilfe werde nicht über staatliche afghanischen Stellen oder gar Taliban-Strukturen abfließen, sagte ein Sprecher, nur über internationale Hilfsorganisationen.
Übersetzt in einfache Sprache heißt das: Die Bundesregierung kauft sich wie üblich das Wohlwollen von Gewaltherrschern mit Geld. Man muss kein diplomatischer Insider sein, um zu erraten, dass die 100 Millionen eine Art Lösegeld für die noch in Afghanistan verbliebenen deutschen Staatsbürger und wohl auch die dortigen afghanischen Ortskräfte sind. Wenn es der Bundesregierung nur um bedingungslose Hilfe für hungernde und kranke Afghanen gegangen wäre, hätte sie dafür wohl keinen Sonderbotschafter entsenden müssen und vor allem hätten dann die Taliban diese Nachricht nicht derart triumphierend als Erste verbreitet.
Denn für die Taliban-Regierung ist diese „humanitäre Hilfe“ zweifach wertvoll: Sie entlastet sie unmittelbar von der Verantwortung für soziale Aufgaben im eigenen Land, macht damit Ressourcen für andere Anliegen (zum Beispiel die Suche nach „Verrätern“ oder andere religiöse und militärische Projekte) frei, und vor allem ist sie ein wichtiger Schritt zur internationalen de-facto-Anerkennung als Regierung Afghanistans. Über welche Stellen oder Strukturen und unter welcher Bezeichnung das deutsche Steuergeld nach Afghanistan fließt, kann den Taliban völlig egal sein. Sie haben die absolute Macht im Land und jeder Euro, der hereinkommt, stabilisiert diese Macht.
Die Taliban haben also, kaum eine Woche nach Übernahme des „Zepters“ (O-Ton Außenminister Heiko Maas) neben dem bewährten Drogenhandel und dem vermutlich bald anlaufenden Export der kampflos erbeuteten Waffen der implodierten Ex-Armee, sich eine praktische neue Einnahmequelle erschlossen: den deutschen Fiskus.
Heiko Maas übrigens hat trotz all der dramatischen Ereignisse die Zeit gefunden, dem Spiegel ein Gespräch zu gewähren. Darin antwortete er auf die Frage, ob er an Rücktritt denke: „In den vergangenen Tagen habe ich nur an eines gedacht, nämlich aus den Fehlern, die wir alle gemacht haben, die Konsequenz zu ziehen und dafür zu sorgen, so viele Leute aus Afghanistan rauszuholen wie möglich.“ Und weiter: „… wie meine berufliche Zukunft aussieht, ist wirklich das Letzte, woran ich im Moment einen Gedanken verschwende.“
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