Gestern war noch so ein Abend der Selbsttäuschung. Die Regierung weiß nicht einmal, wie viele Flüchtlinge im Land sind. Aber: Merkel behauptet: „Die Bundeskanzlerin hat die Lage im Griff.“ Wenn man diese Zeile heute etwa als Schlagzeile der FAZ liest, klingt sie frivol, wie aus einer anderen Zeit. Über Nacht hat sich die Lage dramatisch geändert. Und Frankreichs Präsident Hollande nennt den Islamischen Staat als Verantwortlichen.
Diplomatische Beziehungen zum IS?
Kann sie wirklich die Lage im Griff haben, wenn sie die Lage nicht kennt? Diese Frage stellt sich neu und brutal. Frankreich hat jedenfalls noch in der Nacht seine Grenzen geschlossen – auch nach Deutschland. Denn längst ist dieses Land ein europäisches Sicherheitsrisiko geworden. Wir wissen ja schlicht nicht mehr, wer da ist, nicht einmal wie viele Gerechte oder Ungerechte, und all` dies geschieht ohne öffentliche Debatte, als ginge es nur um eine schnellstmögliche Aufstockung der Bevölkerung. Dabei wurde auch auf der Autobahn Richtung München ein Fahrzeug beschlagnahmt, in dem eine Vielzahl von Waffen versteckt waren. Deutschland hat sich schutzlos gemacht, weil die neue Ideologie lautet: Unsere Grenzen sind nicht kontrollierbar. Die Frage der Sicherheit stellt sich auch für Deutschland neu. Viele unserer Nachbarn haben längst ihre Besorgnis übermittelt; die Sicherheitsfrage stand in den USA im Zentrum der Betrachtung über Deutschlands offene Grenzen.
Sind sie wirklich nicht kontrollierbar, wie uns mehrfach amtlich beteuert wurde? Auch wenn es schwer ist: Warum wird nicht einmal der Versuch unternommen? Weil wir es nicht sehen wollen? Es ist wie bei Kindern, die die Hände vor das Gesicht halten, um Unangenehmes dadurch zu vertreiben, dass man es nicht wahr nimmt. Für Terroristen ist es einfacher, Anschläge in einem Land zu planen und zu verüben, in dem ein hoher Teil der Bevölkerung arabisch spricht, wie die Einwanderer aus ehemaligen französischen Kolonien, und die selbst wiederum die Landessprache Französisch beherrschen – im Gegensatz zu Deutschland.
Das ist ein Menetekel auch für Deutschland, das nach den Vorstellungen der Bundesregierung auch in wenigen Jahren Millionen arabischer Bewohner haben wird. Die Polizei und Geheimdienste sind in Frankreich an sich besser – aber die Lage ungleich schwieriger. Und in Deutschland hat sich ausgehend vom Beispiel der Bundesregierung eine seltsame Stimmung breit gemacht: So laden in Frankfurt ausgerechnet katholische Verbände wie Pax Christi in das kirchensteuerfinanzierte „Haus am Dom“ der Diözese Limburg, um darüber zu diskutieren, ob man nicht doch zu der Terrororganisation vom IS besser diplomatische Verbindungen aufnehmen solle, statt diese Verbrecher entschieden zu bekämpfen – ein seltsamer Akt der Selbstaufgabe und Unterwerfung einer ganzen Gesellschaft unter den Islamismus.
Kältesturz in der Welt
Denn die Anschläge gelten nicht nur den Menschen in Paris, sie gelten uns allen und sie treffen uns alle – unsere freie Welt soll einfrieren. Wir leben davon, dass wir einander vertrauen. Miteinander feiern, miteinander streiten, miteinander leben, miteinander teilen, handeln, uns austauschen.
Die Welt hat den mörderischen Hass darauf schon einmal erlebt – am 11. September 2001. Damals lenkten Terroristen Jumbo-Jets in das World Trade Center, das Herz des Welthandels, das Symbol der Globalisierung und der Freiheit. Es war kein zufälliges Ziel. Die Terroristen wollten die freie Welt treffen.
Seither sind die USA, und damit ist die Welt eine andere geworden: Es wurden Sicherheitskontrollen hochgezogen, Geheimdienste aufgerüstet, der Krieg gegen Terror hat viele Opfer. Gerade Deutschland hat sich immer deutlicher von den USA abgewandt, deren Sicherheitswahn kritisiert. Jetzt holt uns dieser Leichtsinn ein.
Vieles, was uns heute belastet, hat in den Anschlägen von 9/11 seine Ursache: Kontrolle durch Geheimdienste, Abhöraktionen, NSA und gegenseitiges Misstrauen. Aber die Konsequenz damals war auch eine schwächere Weltwirtschaft. Mit fragwürdigen Methoden wurde sie wieder angekurbelt: Sogar die Finanzkrise kann teilweise darauf zurückgeführt werden – irgendwie sollte die erfrierende Welt und Wirtschaft durch künstliche Kredite befeuert werden, wurde Geld in die Märkte geschüttet. An dieser Verschuldungswoge haben einige verdient, fast alle dafür teuer bezahlt. An ihren faulen Krediten und Währungsmanipulation leiden wir noch heute, zahlen wir noch immer Kredit ab, konfrontiert mit einer beständigen Krise des Euro, die uns wirtschaftlich und politisch belastet.
Die Welt wurde kälter, und dabei ging es nicht nur um unsere politischen Freiheiten. Unsere wirtschaftliche Freiheit gehört dazu – denn diese Anschläge der Islamisten – darum handelt es sich wohl – sind immer auch der Versuch, unseren Wohlstand zu zerstören. Unser Wohlstand hängt davon ab, dass es fast nichts mehr gibt auf unserem Frühstückstisch, was nicht mindestens eine der früheren Grenzen einmal oder mehrfach überschritten hat. Und dabei geht es nicht nur um Einkommen und Konsum. Es geht um Arbeitsplätze, um das Gefühl von Sicherheit und um Zukunftsvertrauen.
Es geht wieder um Freiheit und Selbstbehauptung
Werden diese Säulen angegriffen, dann droht auch politische Unruhe, gefährden schnell Radikale und Populisten von Links und von Rechts unsere Gesellschaft. Das wissen die Terroristen, sie kennen unsere Verletzlichkeit. Da überall setzen sie an, mit mörderischer Perfektion und Präzision. Die Welt ist umso verwundbarer, je globalisierter sie ihre Errungenschaft, ihre Erfolge bis in das kleinste Dorf bringt und die religiösen Eiferer in ihrer Dummheit vorführt. Unsere grenzenlose Freiheit, der Austausch von Wünschen, Sehnsüchten und Hoffnungen soll zerstört werden.
Lassen wir es nicht zu. Bleiben wir wachsam. Sie wollen unsere Welt verdüstern. Aber genau das lassen wir nicht zu. Wir können uns nur wehren, wenn wir unsere Illusionen aufgeben, dass das Böse irgendwie durch nette Erklärungen, Naivität und Teddybären zu stoppen sei. Freiheit braucht Wachsamkeit und die Bereitschaft auch zur Härte gegen die Feinde der Freiheit. Und die Bereitschaft, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen: Die Welt verändert sich nicht durch Wille und Vorstellung. Der Staat hat seine Rolle nicht eingebüsst. Er muss lernen, sie wieder auszuüben. Mit Augenmaß statt Blindheit, mit Verstand statt mit Selbsttäuschung.