Ein paar Demonstranten hatten es bis ins Rathaus geschafft und ihre Transparente entrollt: „Menschlichkeit oder Koalitionszwang, entscheidet euch, Grüne!“ Neben dem Bettlaken noch eine Dachlatte mit beschriebenem Pappkarton oben dran und der internationalen Botschaft: „No borders now!“
Anlass für dieses letzte Aufgebot war eine anstehende Abstimmung über die Teilnahme der Stadt an der so genannten „Seebrücke“, eine symbolische Verpflichtung, die Stadt zum „sicheren Hafen“ zu erklären und sich bereit zu erklären, Zuwanderer, die von Schiffen der Nichtregierungsorganisationen vor der nordafrikanischen Küste an Bord genommen werden, in Münster aufzunehmen.
Symbolisch deshalb, weil die Entscheidung für eine Aufnahme von Zuwanderern Bundessache ist, also dem Innenministerium unterstellt ist. Allerdings gibt es heute schon prominente Diskussionen darum, diese Beschränkung abzuschaffen, wenn beispielsweise Katarina Barley (SPD) in einer öffentlich-rechtlichen Talkshow jüngst vorschlug, den Städten hier freie Hand zu lassen und dabei auf Vorschläge der Sozialdemokratin Gesine Schwan verwies, der zweifachen aber chancenlosen Bundespräsidentschaftskandidatin der SPD und der Grünen von 2004 und 2008.
Aber kehren wir zurück an den Ort, an dem der für Europas Geschicke so bedeutsame Westfälische Friede geschlossen wurde, ins Rathaus nach Münster zu den Demonstranten, die die Grünen als Teil des schwarz-grünen Rathausbündnisses mit der CDU daran erinnern wollten, lieber die Koalition platzen zu lassen, als gegen die Seebrücke und Münster als sicheren Hafen zu stimmen.
Allerdings vergeblich, denn die Grünen stimmten ganz brav mit der CDU gegen diese symbolische Geste, was auch den Oberbürgermeister von Münster gefreut haben mag, denn Markus Lewe ist auch Präsident des deutschen Städtetages. Und in der Funktion hatte er vor der anstehenden Ministerpräsidentenkonferenz gerade laut und medienwirksam gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe mehr Geld für die Städte für die Integration von Flüchtlingen gefordert:
„Die Städte benötigen über das Jahr 2019 hinaus unbedingt deutlich höhere Bundesmittel als bisher angekündigt.“ Der Bund dürfe auf keinen Fall seine Finanzhilfen an Länder und Kommunen in den nächsten drei Jahren von derzeit 4,7 Milliarden Euro pro Jahr auf 1,3 Milliarden Euro senken. „Das wäre ein Schlag ins Kontor für die Haushalte der Städte. Bei den Integrationskosten muss sich noch etwas bewegen.“
Nun ist Lewe offensichtlich auch ein Meister des Spagats und ein pfiffiger Diplomat, wenn er seinen Münsteraner Grünen immer wieder hinreichend Brosamen hinwirft, so wie schon Mitte 2018, als er es schon einmal bedauerte, sich nicht den Städten Bonn, Düsseldorf und Köln anschließen zu können, die sich gerade zu sicheren Häfen, also zur Seebrücke bekannt hatten, während Lewe für Münster auf die dafür leider fehlenden Mittel verwies, der Symbolpolitik der drei genannten Städte eine Art Münsteraner Realopolitik entgegenstellte und den Grünen so immerhin noch ein Nadelöhr an Glaubwürdigkeit freihielt.
CDU-Fraktionschef Stefan Weber sagte während der Ratssitzung, was ohnehin jedem klar sein musste, was allerdings unter der Symbolik der Seebrücke verloren zu gehen schien: Nicht die Kommunen entscheiden über die Aufnahme von Flüchtlingen, sondern der Bund. Münster kann also aus eigener Initiative gar nicht mehr Migranten aufnehmen, die über die Seebrücke „gerettet” wurden. Sein Grüner Kollege ergänzte: „Wenn wir die Anträge beschließen würden, käme kein Flüchtling an.”
Ein Satz im Übrigen, der für politisch Andersdenkende klingen könnte wie die Lösung aller Probleme des ganzen Landes.
Und so blieb dann alles beim Alten und die Grünen in Münster zeigten symbolisch, was also in Zukunft von ihnen auch auf Bundesebene zu erwarten ist, wenn es um Machterhalt und Hinterzimmerdiplomatie geht. Wenn es darum geht, Erinnerung in das Vergessen zu bringen, wenn erinnert wird, dass die Grünen schon einmal sieben Jahre in den Kabinetten von Gerhard Schröder mitregiert haben. Wenn daran erinnert werden muss, was die Grünen dort alles nicht an grüner Politik auf den Weg gebracht haben und welche Agenda sie dort mit Schröder zusammen durchgesetzt hatten. Damals allerdings – und das gehört auch zur Wahrheit dazu – war grüne Politik eingehegt auf 6,7 Prozent der Wählerstimmen, während die SPD noch satte 40,9 Prozentpunkte einfuhr.
Ein Wert, wie ein sozialistisches Märchen. Ein Wert, der es dem laut Parteibuch Sozialdemokraten Schröder ermöglichte, so etwas wie lupenreine Unionspolitik zu machen mit seiner Agenda 2010.
Und, was heute gerne von den Grünen vergessen wird, auch mit so etwas wie einer restriktiven Asylpolitik, als sich Gerhard Schröder bei einem EU-Sondergipfel im finnischen Tampere bei seinem Amtskollegen darüber beschwerte, dass Deutschland schon fast die Hälfte aller Asylbewerber in der EU aufnehmen würde. Einen Nazi-Vorwurf gab es gegen Schröder von den Grünen deshalb nicht automatisch, aber auf dem berichtenden Spiegel-Titelbild (43/1999) schaute einem Adolf Hitler frontal ins Gesicht mit der Bildunterschrift: „Die reale Macht des Bösen.“