Tichys Einblick
"Zwei-Klassengesellschaft"

Mittelstandsunion in München schlägt Alarm: „Viele Solo-Selbständige können nicht mehr“

Der Kreisvorsitzende des Wirtschaftsflügels der CSU in München spricht wie ein Oppositionspolitiker. Ohne Söder beim Namen zu nennen, kritisiert er die Regierung und fordert einen Zeitplan für Öffnungen.

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IMAGO / Sven Simon

Der Einfluss der Mittelstandsunion, oft auch „Wirtschaftsflügel“ genannt, auf die Regierungspolitik der Unionsparteien muss auf einem Tiefpunkt sein. Anders ist wohl nicht zu erklären, dass der Münchner Kreisvorsitzende der MIT der Süddeutschen Zeitung Sätze sagt, die daran zweifeln lassen, dass er und sein Ministerpräsident derselben CSU angehören.  

„Unser gemeinsames Ziel in der Mittelstandsunion ist, wieder ein normales Leben zu führen. Um das zu erreichen, brauchen wir eine klare Perspektive, genaue Vorgaben, was wann geschieht“, sagt Rudolf Denzel. Was man unausgesprochen wohl ergänzen kann: Dieses Ziel scheint für den Ministerpräsidenten und die Kanzlerin nicht unbedingt große Priorität zu haben.

„Viele Mittelständler und Solo-Selbständige“, sagt Denzel, „haben ihre Reserven aufgebraucht, die Altersvorsorge aufgelöst und können nicht mehr. Sie sind finanziell und nervlich am Ende. Da muss sich dringend was tun. Der soziale und wirtschaftliche Kollateralschaden ist existent, gefährlich und im Umfang noch gar nicht einschätzbar. Selbständige, die – überspitzt ausgedrückt – jetzt auf der Straße stehen, das ist eine psychische Belastung, die krank macht.“ Da spricht also der Angehörige der Regierungspartei wie ein Oppositionspolitiker. Oder vielmehr wie einst wohl ein verzweifelter Bittsteller gegenüber einer Obrigkeit, die den direkten Draht zu ihren Untertanen verloren hat: „Viele Unternehmer verstehen einfach viele Einschränkungen nicht, sie haben sich zum Teil so viele Investitionen für Hygienemaßnahmen geleistet. Die sind sauer.“

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Was Denzel sagt, ist aber auch ein Dokument der erneuten Spaltung der Gesellschaft durch die Corona-Politik: „Viele, die ihr regelmäßiges Einkommen haben, sind eher für den harten Lockdown. Aber die anderen fragen sich, wohin.“ Denzel sieht „eine Zwei-Klassengesellschaft“ heraufkommen: „Es gibt diejenigen, die unabhängig von den Einschränkungen regelmäßig ihr Geld erhalten, etwa Beamte oder Rentner, und diejenigen die nicht automatisch ihr Konto aufgefüllt bekommen. Die Politik muss sich auch Gedanken darüber machen, wie diejenigen, die am meisten betroffen sind, wieder auf die Beine kommen. Der Mittelstand wird wohl die meisten Kosten tragen müssen.“ 

Eine Klassengesellschaft also, die nicht mehr durch den Besitz beziehungsweise das Fehlen von Produktionsmitteln gekennzeichnet ist, wie im bürgerlich-kapitalistischen Zeitalter, sondern durch den Anspruch auf feste staatlich gesicherte Alimentation beziehungsweise den Zwang, sich ein Einkommen im Wettbewerb zu erwirtschaften (und nicht zuletzt die alimentierte Klasse dabei noch mitzuversorgen). So eine Gesellschaft gab es schon mal, es war die vorbürgerliche Feudalgesellschaft. 

Die CSU und die CDU waren einmal Volksparteien, die die Klassenschranken überwanden und fest in allen Schichten des Volkes verwurzelt waren, nicht zuletzt bei jenen, die den Wohlstand des Landes in erster Linie erwirtschafteten und dafür auch große Risiken trugen. Ein Interview wie das des Kreisvorsitzenden der Münchner Mittelstandsunion wäre damals unnötig gewesen. 

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