In einem offenen Brief rechnet der Landesvorsitzende des Liberalen Mittelstandes in Baden-Württemberg mit der FDP ab: So, wie die FDP den Mittelstand verlassen habe, werde auch er seine Partei verlassen. TE dokumentiert den Brief.
Thilo Scholpp ist Landesvorsitzender des Liberalen Mittelstandes in Baden-Württemberg – und war bis vor kurzem auch Stellvertretender Bezirksrat Ost der FDP in Stuttgart, für die er noch 2021 als Landtagskandidat ins Rennen ging. Der IT-Experte sieht die Handwerker, Unternehmer und Freiberufler als „eigentliche Helden“ in Deutschland, die aber zugleich „heftig unterrepräsentiert“ seien.
In einem vierseitigen, offenen Brief an seine eigene Partei rechnet er deswegen mit der FDP ab, bevor er seinen Austritt erklärt. Der Mittelstand sei von der FDP verlassen worden, es handele sich um eine „lange Leidensgeschichte“. Von Anfang an habe er das Zusammengehen mit „roten und grünen Sozialisten“ kritisch gesehen. „Robert Habeck als Wirtschaftsminister? Ernsthaft? Ich war entsetzt.“
Scholpp spricht von CO2-Steuer, Impfzwang, Grundrechtsentzug, §188 StGB, Ausstieg aus der Kernkraft, der Antidiskriminierungsbeauftragten Ataman, das Bürgergeld – und listet damit eine lange Chronologie liberalen Versagens in der Ampel auf.
TE dokumentiert den offenen Brief von Thilo Scholpp:
Stuttgart, den 17. Oktober 2024
Liebe Parteifreunde, liebe Freunde der Freiheit,
dieses Ende hätte ich mir anders gewünscht.
Seit über zwei Jahrzehnten engagiere ich mich als kleiner Unternehmer in der FDP. Seit sieben Jahren bin ich Vorsitzender des Liberalen Mittelstandes in Baden-Württemberg und derzeit kooptiertes Mitglied im Landesvorstand der FDP im Stammland des Liberalismus. Darunter waren schöne Jahre, schwierige Jahre, Erfolg, Niedergang und Wiederaufstieg – und die Regierungsbeteiligung seit 2021. Und jetzt ist etwas kaputt gegangen.
Es gibt nur einen Grund für mich, politisch aktiv zu sein: Freiheit! Ich will mit meinem Engagement insbesondere eine Stimme sein für die eigenverantwortlich handelnden Bürger aus dem Mittelstand, für die Unternehmer, Freiberufler und Handwerker und ihre Familien, jene, die die meisten Arbeitsplätze in diesem Land schaffen, die meisten Steuern zahlen, die höchsten persönlichen wirtschaftlichen Risiken tragen und die die Mitte und das Rückgrat von Wirtschaft und Gesellschaft bilden.
Diese produktiven Bürger sind die eigentlichen Helden in unserem Land. Und sie sind heftig unterrepräsentiert in der Politik. Sie brauchen die bürgerliche Freiheiten als Abwehrrechte gegen einen übergriffigen und ausufernden Staat wie die Luft zum Atmen. Ich habe immer geglaubt, dass die FDP die natürliche politische Heimat dieser Bürger ist. Nicht ohne Grund verbinden mich viele Freundschaften und gemeinsame politische Ziele mit vielen Mitgliedern der FDP – und solchen, die es einmal waren. Und darum fällt mir dieser offene Brief so unglaublich schwer. Ich will gar nicht emotional werden, aber ich bin gerade einfach nur aufgewühlt.
Denn heute bleibt mir nur mehr festzustellen, dass der Mittelstand von der FDP verlassen wurde. Das ist eine lange Leidensgeschichte. Der Reihe nach:
Als freiheitliche Partei mit den roten und grünen Sozialisten zu koalieren, erschien mir gleich zu Beginn keine überzeugende Idee. Insbesondere: Robert Habeck als Wirtschaftsminister? Ernsthaft? Ich war entsetzt. Aber das Entsetzen steigerte sich bis heute mit jeder einzelnen Fehlentscheidung.
Die Abgaben je Tonne CO₂ stiegen von 2021 bis heute von 25 EUR auf inzwischen 45 EUR. Die Bürger bezahlen das beim Tanken und bei der Heizkostenabrechnung. Effekt fürs Klima? Null!
Weiter: Erhöhung der Lkw-Maut 2023, dann nochmal fast eine Verdopplung Ende 2023. Im Juli 2024 eine weitere Ausweitung für Transporte unter 7,5 Tonnen. Was für eine Belastung für alle, denn das schlägt natürlich auf alle Güterpreise durch!
Das Verhalten der FDP bei den Corona-Maßnahmen war ein Desaster. Vor der Wahl: Mit uns kein Impfzwang. Nach der Wahl: Jetzt aber doch Impfzwang! Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht und sogar ein Gesetzentwurf aus der FDP für eine allgemeine Impfpflicht: Für mich die dokumentierte Unfähigkeit der Parteispitze, mit freiheitlichen Werten und bürgerlichen Grundrechten umzugehen. Bei dieser Frage darf es für mich gar keine Zweifel geben: Die Freiheit setzt auf Eigenverantwortung und nicht auf Repression und Angstmache!
Dann der neue Majestätsbeleidigungsparagraf 188 StGB: Er stellte ausgewählte Politiker unter besonderen Schutz vor harter Kritik. Ich bin nun wirklich kein Freund unflätiger Äußerungen. Aber die Freiheit bedient sich nicht des staatlichen Repressionsapparates, um sich ihre Kritiker vom Leib zu halten, sondern sie hält die Kritik aus!
Als nächstes der Kernkraftausstieg: Jedem war 2022 bewusst, dass die endgültige Abschaltung der verbliebenen Kernkraftwerke für Deutschlands energieintensive Wirtschaft fatale Folgen haben würde. Ohne die FDP hätte Habeck sein Zerstörungswerk nicht fortsetzen können, aber mehr als einige Monate Karenz schlug die FDP nicht heraus – wie schwach!
Derweil lief die Finanzierung wirtschaftsfeindlicher NGOs mit staatlichen Mitteln weiter. Das grüne politische Vorfeld wurde mit Milliardensummen alimentiert; auch aus Mitteln von Ministerien, die von der FDP geführt wurden.
Die Wissenschafts- und Kulturszene wurde auf höchst bemerkenswerte Weise finanziert. Als eine Staatssekretärin wenigstens dem antisemitischen Treiben an Hochschulen ein Ende setzen wollte und eine Prüfung des Entzugs von Fördermitteln in Auftrag gab, wurde sie durch unsere FDP-Forschungsministerin zügig entlassen. Die Personalie Ataman erschien im Rückblick fast logisch, aber nicht weniger furchtbar. Freiheit ist nicht feige, sie ist standhaft und mutig oder gar nicht!
Die Staatsquote ist mit oder ohne FDP viel zu hoch. Sie liegt weit oberhalb des Wertes von 2019. Der Staatsapparat wurde immer weiter aufgebläht, von Bürokratieabbau ist weit und breit nichts zu bemerken!
Die Sozialversicherungen werden gleichfalls immer teurer. Gerade wieder langt der Staat kräftig zu. Die Lasten für Arbeitnehmer und Arbeitgeber steigen erneut, von ohnehin schwindelerregender Höhe auf neue Höchststände. Die Leistung hingegen wird reduziert.
Das Bürgergeld kam und mit ihm eine neue Qualität von Fehlanreizen. Überflüssig zu sagen, dass damit erneut die Anreize für illegale Armutsmigration nach Deutschland verschärft wurden. Die Freiheit gewährt jedem die Möglichkeit, nach seiner Fasson sein Glück zu suchen. Die Freiheit verpflichtet aber niemanden, diese Glückssuche anderer zu finanzieren!
Aus Brüssel kam derweil neuer Regelungswahn gerade im Bereich der Sozialen Medien. Der Digital Service Act ist ein bürokratisches Monster, das die freie Meinungsäußerung im Netz bedroht. Ganz aktuell plant Frau Faeser einen „Bürgerrat zur Bekämpfung von Desinformation“. Mir ist völlig schleierhaft, wie die FDP-Minister diese totalitären Fantasien beim Koalitionspartner dulden können, ohne dass ihnen der freiheitliche Kragen platzt. Aber vielleicht ist da gar kein Kragen der platzen könnte, gar kein Rückgrat, kein Kompass. Vielleicht fehlt da einfach jedes Gefühl dafür, was Freiheit bedeutet!
Neben so gravierenden Eingriffen wie dem Heizungsgesetz nimmt sich das Vermögensverschleierungsbekämpfungsgesetz oder das geplante Tariftreuegesetz fast niedlich aus. Alle haben aber eines gemeinsam: Sie schaffen völlig überflüssige Regulierung, die dem Staat Eingriffs- und Planungsrechte gegenüber dem Bürger und Unternehmer zugesteht. Sie alle entmündigen und bedrohen uns Bürger. Das Verbrennungsverbot hat fast vergessen. Sie alle treiben Leistungsträger aus dem Land, vor allem Unternehmerfamilien. Ich kenne etliche!
Bei fast 50 Prozent Staatsquote will die Bundesregierung weitere Subventionen ausreichen. Wir Liberale wissen doch, dass das die teuerste Art von Wirtschaftsförderung darstellt. Steuersenkung wäre effektiver. Folgerichtig platzt nun auch der Intel-Deal. Die Regierung hat auf den falschen Partner und die falsche Methode gesetzt. Das weiß doch jeder, der die fehlgeschlagenen Planungsversuche in staatsgelenkten Wirtschaftsräumen kennt: Freie Marktwirtschaft schlägt staatlich gelenkte Wirtschaft immer. Und zu allen Zeiten!
Na gut, immerhin hat die FDP die Cannabis-Legalisierung hinbekommen, werden manche Liberale sagen. – Herzlichen Glückwunsch, Deutschland hat die wohl bürokratischste Cannabis-Legalisierung der ganzen Welt zustande gebracht. Sogar Befürworter können damit nicht zufrieden sein.
Aber das Selbstbestimmungsgesetz ist doch ein Fortschritt, oder? – Nein, es ist die Karikatur von Freiheit! Es ist wissenschaftsfeindlich, es ist frauenfeindlich, es ist rechtsstaatlich katastrophal, weil es die Wahrheit sanktioniert, und es ist diskursschädlich, weil es Angst verbreitet. Als Familienvater sehe ich es mit Zorn!
Was bleibt also? Die Schuldenbremse? Sicher nicht, wenn man hauptverantwortlich für einen verfassungswidrigen Haushalt ist. Sicher nicht, wenn man daran ausgerechnet der CDU-Opposition die Schuld gibt, die das lediglich aufgedeckt hat. Danke dafür!
Bestimmt habe ich manches vergessen. Die Liste und damit der Brief ist trotzdem viel zu lang.
Nur noch so viel: Viele einfache Mitglieder in der FDP lechzen nach mehr Freiheit. Viele fühlen sich wie ich von der Parteiführung betrogen. So fühlt es sich an: Wir alle wurden von der FDP-Parteiführung in Berlin an grüne Ideologen verschachert!
Ich weiß ja, dass ein Parteiaustritt wirkungslos ist, wie es die vielen Parteiaustritte vor mir waren. Da setzt kein Umdenken ein, ja nicht einmal ein Nachdenken. Ich zitiere gerne meinen ehemaligen Parteifreund Holger Zastrow aus Sachsen, dem ich hierbei vollständig zustimme: „Aktuelle Reden erinnern mich an die stets gleichen Parolen, Sprüche und perfekt formulierten Programme, die ich seit X Jahren höre und für die auch ich seit X Jahren um Zustimmung werbe. An wohlwollenden und mitfühlenden Worten und ausgefeilter Rhetorik fehlte es der FDP zu keiner Zeit. Es fehlte immer an Taten. Es fehlt an Leidenschaft, an Sensibilität, an unitem Tatendrang. Niemand unserer Wähler, unserer Klientel, der Leute da draußen glaubt, dass mit der FDP einer da ist, der kämpft, der schwitzt, der sich die Hände dreckig macht und der wirklich für das, was er sagt, brennt, der für mich ins und durchs Feuer geht. Deshalb hört niemand mehr zu. Deshalb glaubt man den warmerzigen Worten nicht. Deshalb verlieren wir unsere Leute.“
Bei mir im Ländle sagt man: Schaffa! Net Schwätza!
Auf all diese Zumutungen hat die FDP-Parteiführung aber in den Tagen nach der Wahl in Brandenburg die Krone draufgesetzt: Bis kurz vor Weihnachten möchten sie der Ampel-Regierung noch eine letzte Frist geben …
Das Kalkül dabei ist so offensichtlich wie schändlich: Bis Weihnachten ist der Haushalt für das Jahr 2025 verabschiedet. Die FDP könnte dann aus der Regierung ausscheiden, ohne dass es zu Neuwahlen kommen müsste. Scholz könnte mit Habeck das Land einfach zu Tode verwalten, ohne dass irgendjemand seinen gemütlichen MdB-Sessel vorzeitig räumen müsste. Die Bürger werden als billige Tauschware für ein warmes Plätzchen im Bundestag verkauft.
Dieser Verrat muss benannt werden, und ich werde nicht müde werden, das im Laufe des nächsten Jahres immer und immer wieder zu wiederholen.
Liebe Freunde der Freiheit, es ist eigentlich – mal wieder – genau die Zeit für eine starke freiheitliche Stimme in der Politik. Sie wird dringend gebraucht! Denn die linken und rechten Extremisten polarisieren die Gesellschaft und die vernünftige, freiheitliche, mehrheitliche Mitte verstummt.
Ich habe mich heute entschlossen, keine Partei mehr zu verteidigen, die diese große bürgerliche Mitte der Gesellschaft für ihre eigene politische Karriere an Ideologen verkauft. Denn das richtet sich gegen meine tiefsten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Überzeugungen.
Ich danke meinen Gefährten für die gemeinsame Zeit, die vielen Erfahrungen und Freundschaften, die aus meiner politischen Arbeit entstanden sind. Mit dem heutigen Tag enden meine Bemühungen in der FDP. Diesen Kampf habe ich verloren. Ich trete aus der Partei aus.
Aber mein Kampf um und für die Freiheit ist noch lange nicht vorbei. Die FDP hat den Mittelstand verlassen, und darum verlasse ich die FDP. Aber ich habe den Mittelstand nicht verlassen. Die Freiheit braucht eine neue Heimat.
Ich werde mich auch in Zukunft politisch und gesellschaftlich engagieren. Immer der Freiheit nach, immer mit Mut, mit Verstand, mit Optimismus und Teamplay. Wir sehen uns!
Mit freiheitlichen Wünschen für eine gute Zukunft unseres Landes!
Dr. Thilo Scholpp
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