Wenn zwei Politiker in Deutschland im Prinzip das gleiche tun, werden sie dafür noch lange nicht gleich beurteilt.
Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP, hat sich nicht an die Corona-Regeln gehalten. Er entschuldigt sich kurz und darf weiter machen. Sein Bundesvorstandsmitglied Thomas Kemmerich hat sich nach einer Corona-Verfehlung gleich mehrfach entschuldigt, dennoch muss er sein Bundesamt ruhen lassen.
Was war passiert? Linder wurde am vergangenen Wochenende dabei fotografiert, wie er vor dem Berliner Promi-Restaurant „Borchardt“ den Leipziger Unternehmer Steffen Göpel umarmte. Mundschutz trug der Politiker dabei nicht. Seine Maske hing ihm unter dem Kinn.
Das Nobel-Restaurant bekam zudem von der Polizei eine Anzeige wegen zu vieler Gäste serviert, Lindner jedoch nicht. Der entschuldigte sich eilfertig bei der Heimatflak der Bundesregierung, dem Spiegel, denn Sturmgeschütz der Demokratie, das war einmal.
Wie die Medienvertreter Lindner die demonstrierte Nähe zu dem umarmten Freund Steffen Göpel durchgehen lassen, ist bisher noch nicht überliefert.
Was war noch passiert? Lindners Parteifreund Kemmerich nahm samstags am 9. Mai in Gera an einer der zahlreichen Demos gegen überzogene Corona-Auflagen teil. Dazu aufgerufen hatte der regionale CDU-Wirtschaftsrat. Sogar die Polizei sprach von einer „durchweg friedlichen und störungsfreien Versammlung“. Kemmerich hielt jedoch den Abstand nicht ein und hatte leider keinen Mundschutz dabei. Sein Pech: Einige AfD-Politiker nahmen an dem Protest-Spaziergang mit 600 Menschen teil. Doch das ließen Sittenwächter und Parteifreunde nicht durchgehen.
Kemmerichs mehrfache Entschuldigungen haben ihm dabei nichts genützt. Er hat sich umsonst in den Staub geworfen, denn die Parteiführung degradierte ihn gnadenlos. Er muss seinen Bundesvorstandsposten ruhen lassen. Denn Kemmerich habe der FDP „schweren Schaden“ zugefügt, verkündete der Parlamentarische Geschäftsführer Marco Buschmann.
Kemmerich hätte spätestens nach seinem von Merkel und Lindner erzwungenen Rücktritt als demokratisch gewählter Ministerpräsident Thüringens wissen müssen: Politische Reue lohnt sich nicht. Denn in Deutschland wird mit aktiver Presseunterstützung mit zweierlei Maß gemessen.
Wenn Kemmerich nämlich Angela Merkels Bundesgesundheitsminister Jens Spahn von der CDU gewesen wäre, hätte ihn eine Abstandsverletzung in der Corona-Krise ganz und gar nicht geschadet. Spahn hatte sich Mitte April in der Uniklinik Gießen in einen Aufzug mit hochrangigen Politikern gequetscht – übrigens folgenlos bis heute. Ein Fotoreporter hatte die Regelverletzertruppe im Bild dokumentiert.
Das Foto zeigt einen mit elf Leuten voll besetzen Aufzug. Dicht an dicht gedrängt befinden sich darin unter anderem: Jens Spahn, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, Merkels Kanzleramtschef Helge Braun, Axel Wintermeyer, der Chef der hessischen Staatskanzlei, und Ärzte der Klinik. Zwar tragen alle Beteiligten eine Maske. Einen vollkommenen Schutz bieten diese bei dem schon hautnahen Kontakt gar nicht.