Tichys Einblick
"minor incursion"

„Geringfügiges Eindringen“: Joe Biden sendet ein fatales Signal nach Moskau

Die Pressekonferenz des US-Präsidenten vermittelte nicht nur peinliche Eindrücke von einem überforderten Joe Biden. Putin weiß nun, dass die USA begrenzte Angriffe gegen die Ukraine hinnehmen werden. Also grünes Licht für „paramilitärische“ Aktionen wie 2014 auf der Krim.

US-Präsident Joe Biden bei der Pressekonferenz im Weißen Haus, Washington D.C., 19. Januar 2022

IMAGO / MediaPunch

Nun ist das Wort in der Welt. Es kam aus dem Mund des amerikanischen Präsidenten vor der versammelten Presse und lautet „minor incursion“, also zu Deutsch etwa „geringfügiges Eindringen“. Joe Biden erschien bei seiner Pressekonferenz sichtlich angestrengt, wenn nicht überfordert, sprach in unvollendeten, schwer verständlichen Sätzen und bat die Journalisten nach einer Stunde offen um Erbarmen („Wie lange wollt Ihr das noch machen?“). Aber was er über die russische Bedrohung gegen die Ukraine sagte, konnten auch nachträgliche Eindämmungsversuche seiner Mitarbeiter nicht aus der Welt schaffen, da es eben unmissverständlich war. 

Biden geht davon aus, so sagte er, dass russische Soldaten in die Ukraine eindringen würden. Nur Wladimir Putin entscheide darüber, der den Westen „testen“ wolle. Doch in seinen nächsten Aussagen machte Biden dem Herrn im Kreml schon klar, wie dieser Test ausgehen wird, nämlich mit dem Ergebnis, dass der Westen schwach ist. 

Über die Einheit des Westens und mögliche Reaktionen sagte er: „Russia will be held accountable. If it invades, and it depends on what it does, one thing is if it’s a minor incursion, and we end up having a fight about what to do and not do etcetera.“  

Putin weiß also nun, dass er bei einem „geringfügigen Eindringen“ in die Ukraine nicht mit einer geschlossenen, harten, militärischen Reaktion des Westens zu rechnen hat, sondern mit Diskussionen innerhalb der Nato, „was zu tun ist und was nicht und so weiter“. In klareren Worten: Man wird Putin solch ein „geringfügiges Eindringen“ durchgehen lassen, jedenfalls nicht militärisch reagieren. Bleibt nur noch die Frage, was unter „geringfügig“ zu verstehen ist.

Die Frage eines Journalisten, ob Biden damit Russland eine Tür öffne, indem er zwischen einer „vollen Invasion“ und jenem „geringfügigen Eindringen“ unterschied, beantwortete eine Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates per Tweet nicht mit einem scharfen „Nein“, sondern mit den Worten: „He was referring to the difference between military and non-military/para-military/cyber action by the Russians. Such actions would be met by a reciprocal response, in coordination with Allies and partners.“ 

Dass sie „para-militärische“ zwischen „nicht-militärischen“ und „Cyber-Aktionen“ verpackte, ist wohl der Versuch, davon abzulenken, dass para-militärische durchaus bewaffnete Aktionen sind. Der Unterschied zu militärischen besteht nur darin, dass para-militärische Kämpfer nicht offiziell unter staatlichen Hoheitszeichen kämpfen – so wie das die „grünen Männer“ taten, die im Frühling 2014 die ukrainische Halbinsel Krim unter ihre Kontrolle brachten, die daraufhin von Putins Russland annektiert werden konnte. 

Putin weiß nun also, dass eine vergleichbare Aktion in anderen Teilen der Ukraine keine militärische, für ihn existenziell gefährliche Reaktion der USA hervorrufen wird. 

Alles, was Biden danach noch sagte, war dagegen eine martialische Staffage. Wenn Putin tue, wozu er mit den an der Grenze massierten Streitkräften in der Lage sei, werde es „ein Desaster für Russland“ werden. Er ergänzte: „if they further invade Ukraine“, also nochmals die Einschränkung auf ein „fortgesetztes“ Angreifen. Dann werde es zu starken Sanktionen kommen. Unter anderem sprach er davon, dass Russland seinen Außenhandel dann nicht mehr in Dollar abwickeln könnte.

Laut CNN ist man in der ukrainischen Hauptstadt Kiew „schockiert“ über das „grüne Licht“ von Biden für „geringfügiges Eindringen“. Die Kiewer Regierung und jeder Ukrainer weiß nun, dass die USA eine weitere Amputation ukrainischer Souveränität über ihre Grenzen hinnehmen wird.

Dass die Reaktionen anderer Nato-Staaten noch milder ausfallen werden als die amerikanischen, kann sich Putin ohnehin denken. Deutschlands Außenministerin Baerbock hat schon klargemacht, dass ihre Aussage, man werde für die Sicherheit „alles“ tun, gerade eben das Gegenteil meint, dass nämlich die Ukraine nicht einmal mit der Lieferung von Defensiv-Waffen rechnen kann. Die Begründung mit der deutschen Geschichte, nennt der Historiker Herfried Münkler sehr gnädig „ungeschickt“. 

Die Nicht-Unterstützung für die Sicherheit der Ukraine durch die Bundesregierung geht sogar so weit, dass selbst die Waffenlieferungen Großbritanniens an die Ukraine nicht über deutschen Luftraum vonstatten gehen. Die britische Luftwaffe habe keine Überfluggenehmigung für Deutschland beantragt, hieß es aus dem Verteidigungsministerium. Offenbar nimmt London Rücksicht auf Berliner Befindlichkeiten.

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