Die Ampel will sich die von ihr verschärften Probleme nicht zu eigen machen. Und die Union will die Probleme nicht erben, die ursprünglich von ihr verursacht wurden. So darf man den gestrigen Auftritt des parlamentarischen Geschäftsführers Thorsten Frei (CDU) und der Fraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) verstehen. Noch vor den Wahlen im kommenden Jahr soll das Thema Migration so gut wie möglich abgeräumt werden.
So gab auch Merz dieser Tage zu Protokoll. „Ich habe kein Interesse daran, dieses Thema zum Hauptthema des Bundestagswahlkampfes 2025 zu machen“, sagte der Chef von CDU und Unions-Fraktion am Montag. „Ich glaube, es wäre gut, wenn wir in der politischen Mitte unseres Landes in der Lage wären, dieses Problem gemeinsam zu lösen.“
Es steht also wieder einmal die Taktik vor Wahlen im Vorder- oder Hintergrund oder in beidem. Immerhin kommt ja auch noch die Landtagswahl in Brandenburg. Daneben blickt man schon auf die Bundestagswahl, die nicht zu einem Schaulauf für die Ideen der AfD werden soll. Diese Taktik ist aber vermutlich zum Scheitern verurteilt, denn relativ sicher ist, dass aus den Ampel-Unions-Gesprächen ein fader Kompromiss herauskommen wird. Dafür werden schon die Grünen sorgen, die nun angekündigt haben, dass Zurückweisungen an der deutschen Grenze mit ihnen nicht zu machen sind. Wer hätte es gedacht.
Frei: Menschen erwarten jetzt Ergebnisse – warum erst jetzt?
Die Innensprecherin der Fraktion, Irene Mihalic, nannte den CDU-Vorschlag gar „abwegig“, und zwar weil der nationale Notstand, von dem Merz gesprochen hat, noch nie von Gerichten bestätigt worden sei. Das ist eine merkwürdige Logik, denn es gibt doch immer ein erstes Mal für alles. Das erste Mal, dass die Grünen sich substantiell für eine Eindämmung der illegalen Migration aussprechen, steht allerdings noch aus.
Die Gegenargumente der Grünen sind aber auch wirklich lachhaft: Denn die nun ins Feld geführte Dublin-Verordnung ist schon längst nicht mehr in Kraft. Schon seit Seehofers Zeiten funktioniert nur ein Bruchteil der eigentlich vorgesehenen Rücküberstellungen aus Deutschland in EU-Länder, in denen die erste Registrierung eines Asylbewerbers geschah. „Innenexpertin“ Mihalic möchte aber bis in alle Ewigkeit Erbsen und Linsen sortieren und dafür alle Asylbewerber unterschiedslos an den Grenzen aufnehmen – um sie dann zu behalten. Das ist die grüne Logik in diesen Dingen, die sich vermutlich auch am Koalitionstisch mit der Union durchsetzen wird. Oder die Fetzen dieser Koalition fliegen in alle Richtungen.
Andrea Lindholz packte gleich zu Beginn den Instrumentenkasten aus, als sie wie beiläufig erwähnt, sie habe ja mit den Ampelvertretern auch schon über die Verankerung des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz verhandelt. Dabei ging es ja auch schon um einen Schutz vor möglichen Wahlergebnissen der AfD in Bund und Ländern, vor allem beim Thema Sperrminorität. Lindholz scheint nun diese so gute, aber noch nicht ganz beendete Zusammenarbeit in die Waagschale zu werfen, um ihre eigene Ampel-Verhandlungskompetenz zu zeigen.
Mehr Mit- als Gegeneinander
Mehr als ein Gegeneinander von Regierung und größter Oppositionspartei drängt sich also das Verbindende auf. Man ist gemeinsam aufgeschreckt durch die AfD-Erfolge in den beiden Landtagswahlen und fürchtet um die eigenen parteipolitischen Pfründe, auch um die Koalitionsmöglichkeiten „im alten Trott“, die es in Sachsen und Thüringen im Grunde schon gar nicht mehr gibt. Oder nur, wenn die Christdemokraten den Bund mit den Mauerbauern von gestern schließen.
Aber die CDU weiß eben nicht, was sie will. Das ist offenkundig, seit Merz kurz vor den Wahlen in Sachsen und Thüringen Signale für einen konsequenten Grenzschutz setzte. Er setzte den Kurs, wird ihn aber nicht halten können. Spätestens mit den Koalitionsverhandlungen in Sachsen und Thüringen, die jetzt medial angebahnt werden, wird die Merz-CDU ihr Versprechen brechen, dass sie die illegale Zuwanderung nach Deutschland über die grüne Grenze beenden will. Denn mit SPD, Grünen und Linken ist diese Politik nicht zu machen, vermutlich nicht einmal mit dem BSW.
Nun wird die Grenzpolitik auch nicht direkt in Dresden und Erfurt entschieden. Aber Landtagswahlen und die resultierenden Regierungsbildungen waren immer Wegweiser auch für die Bundespolitik. Und ganz einflusslos sind Landesregierungen in Deutschland auch nicht. Die CDU müsste also etwas Innovatives wagen, wenn sie nicht zu den Ewiggestrigen der Berliner Republik 1.0 gehören will. Neue Koalitionen werden gebraucht. Der rationale Sinn eines Bündnisses der Mitte-Rechts-Christdemokraten mit zwei sozialistischen Parteien erschließt sich ohnehin nicht.