Deutschland hat vom Jahresanfang bis Ende Mai mehr als 110.000 Asylbewerber aufgenommen. 57 Prozent davon haben keine Papiere vorgelegt, was ein neuer Rekord ist. Hinzu kommt etwa die gleiche Zahl an Ukraine-Flüchtlingen. Diese Zahlen, die Unions-Ministerpräsidenten am Rande der Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin äußerten, haben es in sich. Sie verkünden die Fortsetzung des doppelten Zuwanderungssturms, der die deutschen Kommunen weiter belasten und an die Grenzen dessen führen wird, was zumutbar ist. Es sind also schon wieder 200.000 Personen neu im Lande angekommen, die unterzubringen, in der Sprache zu unterrichten und irgendwie zu „integrieren“ sein sollen. Nur ist vieles an dieser Aufzählung Fiktion.
Wenn man dieses Aufnahme-Ritual alle fünf Monate wiederholt, ist klar, dass ein Gemeinwesen früher oder später überlastet ist. Das ist heute schon sehr weitgehend der Fall, auch wenn es einige Kommunen gerne tun. Richtig ist auch, dass sich die Anzeichen eines wilden Bürgerkriegs schon überall zeigen, mindestens an jedem Konflikt, der irgendwo in einer Schule oder Fußgängerzone an ethnischen Linien entlangläuft. Und des Eindrucks, dass ethnische Trennlinien in Deutschland gerade wichtiger werden, kann sich wohl kaum einer entziehen, der einmal die Jungmännergruppen in deutschen Mittelstädten gesehen oder gehört hat.
Anfang der Woche hat sich Olaf Scholz mit den Ministerpräsidenten getroffen und erzeugte alles außer Hoffnung, dass es für Länder und Kommunen bald besser wird. Dem Kanzler sei „die Brisanz der Lage nicht klar“ gewesen, fasste der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) seine Sicht der Dinge zusammen. Ein Satz nach dem Motto „Wenn das der Kanzler wüsste“ und damit ein kurioser Satz. Denn wer sollte (und müsste) besser über die Lage im Land unterrichtet sein als eben der Kanzler. Aber Scholz und vielen anderen heute ist es zuzutrauen, dass sie von der realen Lage im Land absehen, das allerdings bewusst und gewollt.
Wenn Deutschland doch am Mittelmeer läge
Aber auch der Theaterdonner der Unions-Landesfürsten hatte wenig mit der Realität zu tun. Zwingen wollten sie den Kanzler angeblich, weitere Maßnahmen zur Eindämmung der illegalen Zuwanderung zu ergreifen. Scholz scheute wie immer alles Konkrete und reichte die bürokratischen Formulierungen ein, mit denen er immer durch solche Gipfel kommt. Echte Vorschläge will er erst im Dezember haben, und dann vielleicht, wenn seine Bundesminister auch alle mitspielen. Also auf in einen weiteren Sommer (und einen Herbst) des Missvergnügens!
Mit Scholzens Ankündigungen war auch der MPK-Vorsitzende Boris Rhein (CDU) zunächst zufrieden. Im Dezember will Scholz also „konkrete Modelle“ seiner Regierung zur Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten vortragen. Angeblich wird das „der Fall sein“, wie Scholz in seinem unnachahmlichen, buchhalterischen und abgehobenen Stil erklärte. Man sei „auf einem guten Weg“. Mit der SPD doch immer.
Indessen hat aber das Gutachten des Bundesinnenministeriums (BMI) nicht für die Ebnung eines guten, glatten Wegs gesorgt, sondern räumt fleißig Steine in denselben. Angeblich ist das Albanien-Modell, das Meloni für Italien vorantreibt und Söder für Deutschland nachahmen will, für Deutschland nicht anwendbar, weil die Bundesrepublik nicht am Mittelmeer liege, so lautet ein Befund des Gutachtens. Meloni nutze ein Schlupfloch, indem sie plane, auf dem Mittelmeer aufgelesene Migranten direkt in Albanien abliefern zu lassen, ohne dass diese italienischen Boden betreten haben. Also hätten sie auch kein Anrecht auf einen Asylantrag in Italien, sondern höchstens in Albanien. Klug ist das schon, zumal wenn Albanien seinen Part mustergültig erfüllt.
Aber das BMI-Gutachten steckt so eben voller Einwände gegen die Unionsversuchung, es dem Vereinigten Königreich (Ruanda) und Italien gleichzutun. Ganz vergessen wird dabei, dass Deutschland zwar nicht am Mittelmeer liegt, aber die Asylbewerber hierzulande zu einem großen Teil von dort her kommen. Sie könnten also auch rücküberstellt werden, nur ist das Mittelmeer eben kein völkerrechtliches Subjekt oder Objekt, sondern nur ein Meer, an das man niemanden rücküberstellen kann. Deshalb soll also der Weg nach Söder-Albanien verstellt sein. Mit Ruanda oder ähnlichen Ländern müsste es genauso sein, wenn die Merz-Union nicht irgendwann einmal einen ordentlichen Juristen aufbietet, der erklärt, wie dieser bisher für ein Deutschland im Herzen der EU ganz aus der Luft gegriffene Plan überhaupt funktionieren soll.
Thym: Komplexität des Ruanda-Modells ist kein Hinderungsgrund
Das BMI sitzt dabei bequem auf dem Status quo. Man will ja gar nichts substantiell an den Migrationsströmen verändern. Also begnügt man sich damit, den Unionsvorschlag aus dem Regierungskabäuschen mit Mini-Torpedos zu beschießen. Mehr ist das nicht, und die Union hat vermutlich auch noch nicht genügend Feuer unter sich, um ihren Vorschlag zu konkretisieren und Vorarbeiten vorzulegen. SPD-Faeser stellt sich jedenfalls hin und sagt, dass wieder einmal eine Maßnahme gegen die große Belastung des deutschen Gemeinwesens durch illegale Migranten nicht funktionieren kann. Das wollten wir ja nur wissen, für die nächste Wahlentscheidung. Denn natürlich zeigt Faeser so ihre größte Unbereitwilligkeit, etwas an den überfordernden Zahlen zu ändern, die auch dieses Jahr wieder via Bundespolizei und BAMF eintrudeln.
Faesers Gutachten ist also kein Ermöglichungs-, sondern ein Verhinderungspapier. Nun gilt die Umsetzung einer Drittstaatenregelung (Marke Albanien oder Ruanda) in der Tat als komplex, was aber laut einem der befragten Experten, dem Juristen Daniel Thym, nicht von der Umsetzung abhalten sollte. Misstrauisch muss man aber werden, wenn ein „Experte“ wie Gerald Knaus sagt, solche Abkommen wären machbar, und wenn er sie mit dem (von ihm einst erdachten) Türkei-Deal der Bundesregierung vergleicht, durch den eine „schnelle drastische“ Reduktion der Migration ermöglicht worden sei.
Tatsächlich blieb die Balkanroute auch lange nach 2016 sehr aktiv, sie ist es bis heute. Insofern dient eine gemeinsame Erklärung wie die damalige von EU und Türkei vor allem dazu, dem Publikum zu signalisieren, dass etwas geschieht, und zwar alles, was derzeit möglich sei – so lautet stets der unausgesprochene Subtext solcher Aktionen. Eine Reduktion darüber hinaus wird dann mit dem Argument weggewischt, man tue ja schon etwas, auch, wenn das in keiner Weise genug ist oder ausreicht.
Union fordert reguläre Abschiebungen nach Syrien
Michael Stübgen, Innenminister von Brandenburg, stellvertretender Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzender, hat nun gar die Abschiebung von Schwerkriminellen nach Syrien gefordert. Was Stübgen dann erklärt, hat aber nicht nur mit Schwerverbrechern zu tun: Wenn weite Teile Syriens heute sicher sind, dann können alle, die einst von dort flohen, wieder zurückkehren. „Im Kerngebiet Syriens ist kein Krieg mehr“, sagt Stübgen, der zudem Vorsitzender der Innenministerkonferenz ist. Das sind übrigens alte AfD-Positionen, die nun – Jahre, nachdem auch Länder wie Dänemark und das Vereinigte Königreich auf die veränderte Lage hinwiesen – in der Bundespolitik angekommen zu sein scheinen. Zuletzt haben acht EU-Länder, darunter Dänemark Italien, Österreich, Polen und Tschechien, für eine Neubewertung Syriens plädiert. Tatsächlich geht es hier vor allem um aktuelle Ankünfte auf Zypern, die man derweil mit einem EU-Milliardengeschenk an den Libanon vermeiden will. Im Hintergrund geht es aber auch um die vermehrte Rückkehr von Syrern in ihre Heimat. Einziges Problem für Deutschland: Hierzulande werden Syrer gerade massenhaft eingebürgert. Syrer machen oft ein Drittel und mehr der Einbürgerungen aus, und davon gab es im letzten Jahr immerhin 200.000. Dieses Jahr stehen genauso viele Namen schon auf den Wartelisten der Ämter. Insofern kommt auch dieser Unionsvorschlag viel zu spät.
Daneben will Stübgen eine Lösung für schwerkriminelle Afghanen finden, wobei er auch die Taliban nicht als Kontakt ausschließt. Nancy Faeser will die schlimmsten afghanischen Straftäter nur nach Usbekistan fliegen und sich so die Hände nicht an den radikalen Koranjüngern schmutzig machen. Natürlich wollen die Usbeken im Austausch ein für sie günstiges Migrationsabkommen, das eigentlich sogar schon vorlag. Vielleicht wird es nun erweitert. Auch die Usbeken sind fast alle Muslime, und Arbeitsmigration steht natürlich in dem Abkommen drin.
Auch der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) fordert „endlich eine Neubewertung der Lage in Syrien“ vom Auswärtigen Amt. Auf einmal soll es also sogar schnell gehen, nachdem davor jahrelang kein Sterbenswörtchen aus der Union zu dem Thema kam. Auch die EU-Asylagentur stellte jüngst fest, dass in der Mehrzahl der Landesregionen keine ernsthafte Bedrohung durch den Bürgerkrieg besteht, in Tartus und Damaskus liegt die generelle Bedrohung bei Null. Dem kann man sich nun offenbar anschließen.
Diese Forderungen sind deshalb spannend, weil sie einem neuen Konsens unter den interessierten Staaten entsprechen. Es wäre großartig, wenn Deutschland einmal in dieser internationalen Liga mitspielen könnte, in der es um die Durchsetzung jeweils eigener Interessen geht und nicht um die Umsetzung dessen, was der Weltgeist, internationale „Verträge“ oder Menschenrechtskonventionen angeblich verlangen. Es wäre schön, ist aber kaum zu erwarten mit einer Baerbock im Außenamt und einer Faeser im BMI. Da nützen auch Scholz-Worte nichts. Wo kein Wille ist, da ist auch kein Weg für Abschiebeflüge nach Syrien und Afghanistan. Auch die Union zeigt ihren Mangel an Bereitschaft zum Handeln, indem sie für die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl über nichts anderes als Koalitionen mit SPD und Grünen nachzudenken scheint. Die aktuelle, schwieriger werdende Lage beweist, dass das aus mehreren Gründen keine erfolgversprechenden Kombinationen sind. Die Union ist immerhin dafür brauchbar, um zu erfahren, dass für die Bundesregierung in diesen Fragen von Abschiebung gerade gar nichts vorangeht.
Weber: Menschen haben Nase voll von linken Ideologien
Laut Manfred Weber (CSU-Vize und EVP-Chef) im Gespräch mit der Welt haben die „Menschen die Nase voll von linken Ideologien, die ihnen vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben.“ Sie hätten „genug von Versprechen, die nicht eingehalten werden“. Deshalb hätten „Sozialisten, Liberale und Grüne“ bei der Europawahl verloren. Nun scheint Zeit zu sein, dass die Union diese Erkenntnisse umfassend anwendet: An grüner Ideologie dürfte sie sich dann nicht mehr ausrichten, auch nicht an anderen grün-linken Forderungen, sondern am realistisch Vernünftigen. Die Union und Webers EVP müssen sich vorsehen, nicht in den grün-linken Strudel mit hinab gerissen zu werden.