Tichys Einblick
Corona-Eilverfahren im Bundestag

Merkel zieht trotz massiver Kritik voll durch

In einem nie dagewesene Tempo peitscht die Bundesregierung ihr "Bevölkerungsschutzgesetz" durch Bundestag und Bundesrat. Und der Bundespräsident soll unmittelbar danach unterschreiben.

imago Images/Christian Thiel

In einem unglaublichen Verfahren wird auf Drängen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein Gesetz, das die Bevölkerung weitgehend entmündigt, im nie dagewesen Eiltempo durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht werden. Demokratie sieht anders aus.

So wurde der endgültige Gesetzestext den Parlamentariern erst ganz kurz vor der Bundestagsdebatte übermittelt. Sie können also gar nicht genau wissen, über welche Details sie gerade abstimmen. Für die Bundestagsdebatte eines in die Freiheitsrechte von Menschen wie noch nie eingreifenden Gesetzes ist sage und schreibe nur eine Stunde vorgesehen.

Maximal ein Drittel der 708 Abgeordneten darf heute noch im Bundestag sitzen. Das Gros kann nur virtuell die Debatte verfolgen. Kurz danach sollen die Vertreter der 16 Länder in einer Sondersitzung des Bundesrats in Berlin ihre Hände heben.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird wohl nicht lange zögern. Ebenso unglaublich, aber wahr: Er wird das höchst umstrittene Merkel-Gesetz zur weitgehenden Entmündigung seiner Bürger wohl noch am selben Tag unterschreiben, so dass es in Kraft treten kann. Eine seriöse rechtliche Prüfung des derzeit wichtigsten Gesetzes in Deutschland kann durch den Präsidenten und sein Bundespräsidialamt also gar nicht erfolgen.

Tausende Bürger protestieren friedlich vor dem Reichstag und Brandenburger Tor gegen den Gewaltakt. Es sind junge und alte Menschen und Familien mit Kindern. Leute aus der Mitte der Gesellschaft. Viele halten Herzen in die Luft. Auch die linksextreme Antifa ist vor Ort und beschimpft die Demonstranten als Nazis. Ein riesiges Aufgebot von Hunderten Polizisten mit gut 50 Fahrzeugen, darunter acht schwarze Transporter von Einsatzsonderkommandos allein auf Berlins Prachtmeile Unter den Linden ist aufgefahren. Ein Polizeihubschrauber kreist laut dröhnend über dem Reichstag.

Gesetzgebung im ungeheuerlichen Eilverfahren

Erst vergangenen Mittwoch erfolgte die Experten-Anhörung zu Merkels Infektionsschutzgesetz. Dort hagelte es heftige Kritik von Juristen und Wirtschaftsvertretern. Am darauffolgenden Dienstag konnten die Abgeordneten in ihren Bundestagsfraktionen darüber beraten, aber ohne den vollständigen Gesetzestext je gesehen zu haben. Denn der Text wurde in den Ausschüssen am Abend und am Mittwochmorgen noch beraten und beschlossen. Deswegen erhielten die Parlamentarier erst mit Beginn der Bundestagsdebatte um 12 Uhr die nun vollständige Gesetzesvorlage. Lediglich eine Stunde darf der Bundestag sozusagen im Blindflug darüber kurz reden. „Nur 60 Minuten Debattenzeit für ein so wichtiges Gesetz ist ein ungeheuerlicher Vorgang,“ kritisiert selbst ein langjähriger Unionsabgeordneter. Ganze zwei Minuten Redezeit sind für die Bundestagsabgeordneten vorgesehen. Normalerweise dauert das parlamentarische Verfahren eines so bedeutenden Gesetzes mehrere Wochen.

Sogar der linksliberale FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle kritisiert das Vorgehen von Merkels Bundesregierung und pocht auf mehr Einfluss der Parlamente. Das Argument der Regierung, diese seien im Zweifel zu langsam, nennt Kuhle in einem Interview mit dem Münchner Merkur sogar „exekutive Arroganz“. Kritische Bürger nennen Merkels Vorhaben zur Übernahme der Kontrolle inzwischen „Entmündigungsgesetz“.

Die AfD-Bundestagsfraktion sieht im neuen Gesetzentwurf die Gefahr, dass es zu weitreichenden Einschränkungen der Grundrechte komme. Die AfD spricht von „Passagen, die an schlimmste Diktaturzeiten erinnern.“

Selbst die SED-Erben von der Partei die Linke fordern: Es brauche ein Gesetz, das die „demokratische Kontrolle mittelfristig festhält“, mahnt deren Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch.

Dem Vorwurf, dass Merkels „drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ mit heißer Nadel zusammengeflickt wurde, widersprechen nicht einmal Union und SPD. Schließlich kippten Gerichte Beherbergungsverbote und Sperrstunden-Regeln meist mit der Begründung, die Verbote seien unverhältnismäßig.

Nach der Debatte kommt die Abstimmung über den Gesetzentwurf, im Anschluss sollen die Bundestagsabgeordneten in einer kurzfristig anberaumten namentlichen Abstimmung auch noch erneut die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ bestätigen.

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