Die Stimmung in der Unionsfraktion war unter den Abgeordneten vor der Sitzung am vergangenen Dienstagnachmittag gereizt. „Die Diskussion war sehr kontrovers“, sagt ein Fraktionsmitglied gegenüber TE. Merkel erhielt für ihre Rede nur spärlichen Beifall, es mussten von der Fraktionsführung per SMS sogar Pro-Merkel-Redebeiträge organisiert werden. Worum ging es?
Nach dem durch abgelehnte Asylbewerber selbst in Brand gesteckten Lager auf der griechischen Insel Moria will Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer angeblich „einmaligen Aktion“ wieder mehr Flüchtlinge aufnehmen. Die Bundesregierung verständigte sich darauf, gut 1.553 Migranten von 408 „schutzbedürftigen“ Familien aus Lagern von griechischen Inseln schnell nach Deutschland zu holen. Sie sollen zusätzlich zu den bisher geplanten bis zu 150 unbegleiteten Minderjährigen aufgenommen werden. Zusätzliche Kosten der Aktion bei 30.000 Euro jährlich pro Asyleinwanderer und 50.000 pro unbegleiteten Jugendlichen für Bund, Länder und Kommunen: 46,59 Millionen plus 7,5 Millionen gleich insgesamt 54,09 Millionen Euro pro Jahr. Die deutschen Steuer- und Beitragszahler haben auch diese von Merkels Regierung vereinbarte Lasten zu tragen.
Vor der Fraktion mahnte Dobrindt, man müsse in der Asylpolitik eine erneute Polarisierung vermeiden. „Ein Wettbewerb um die Zahlen fördert gerade die Polarisierung.“ Vor allem Grüne und Linke wollten noch mehr Migranten nach Deutschland holen. Doch nicht nur Dobrindt schwant intern, die AfD wird durch den erneuten Asylalleingang wieder Zulauf bekommen.
Für Merkel hat „Abschreckung zu nichts Gutem“ geführt
Die Kanzlerin bezeichnete die Familienaufnahme während der Fraktionssitzung am Dienstagnachmittag als „Pilotprojekt“. Unionsabgeordnete vermuten, dem könnten entgegen aller Beteuerungen von einer „einmalige Aktion“ noch weitere folgen. Denn Merkel setzte in ihrer Rede auf ein bewährtes politisches Mittel – Mitleid: „Am Lager Moria auf Lesbos zeigt sich das ganze Elend der europäischen Migrationspolitik, die keine ist.“ Denn: „Wir wussten alle, dass auf den griechischen Inseln sehr unhaltbare Zustände sind, und zwar seit langem.“ Das Lager auf Lesbos sei kein Zeichen für Europas Werte und Handlungsfähigkeit, mahnte Merkel.
Bei der angespannten Lage auf der Insel Samos stelle sich zudem die Frage, meinte die Kanzlerin: „Soll man helfen oder soll man abschrecken, und wird‘s besser wenn man abschreckt?“ Darauf sagte Merkel vor ihren Abgeordneten einen wichtigen Satz, der eine harte Asylabwehr an Europas Außengrenzen und strenge Aufnahmeregeln in Lagern wie Moria oder auf Samoas künftig fast unmöglich macht: „Ich glaube, das Prinzip der Abschreckung hat zu nichts Gutem geführt.“ Das heißt im Umkehrschluss, Europa soll die Asyleinwanderer mit einem weichen Kurs zu sich kommen lassen.
Dann fragte Merkel, was könnte ein Beitrag sein, den Deutschland sofort leisten könne? Antwort: „Ich finde, sich auf eine Gruppe zu konzentrieren, auf Familien, die einen genehmigten positiven Asylantrag haben.“ Nicht nur von Lesbos, sondern gleich von allen fünf Inseln. Das sei ein humanitärer Ansatz, denn Europa stehe besser da, wenn es vorbildlich sei in bestimmten Fragen.
Anders als Merkel will jedoch ihrem „Pilotprojekt“ kein weiterer europäischer Staat folgen. Die Kanzlerin setzt also wieder auf deutsche Alleingänge.
Laut Welt widerspricht die griechische Regierung Merkels Behauptung von einer gewollten gemeinsamen Aktion. Denn die Führung unter dem konservativen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis habe bislang gar nicht an die EU-Partner appelliert, die nun obdachlos gewordenen Flüchtlinge von Lesbos aufzunehmen. Griechenland sei nicht daran interessiert, Migranten nach Deutschland oder in andere EU-Länder ausfliegen zu lassen, berichtet die Welt über die Haltung der griechischen Regierung.
Dennoch drückt Merkel ihr „Pilotprojekt“ mit 1553 Bewerbern mit „positivem Antrag“ faktisch im Alleingang durch. Dabei nahm Deutschland 2019 im Schnitt täglich 455 Flüchtlinge auf. Auf diese Weise lässt Merkels Regierung mit rund 166.000 Asylbewerbern jährlich eine Großstadt nach Deutschland einwandern – übrigens mit Abstand die meisten 2019 in ganz Europa. Frankreich und Spanien hatten rund 129.000 bzw. 118.000 Asylanträge sowie Großbritannien und Italien nur 45.000 bzw. 44.000. Ihr Innenminister Seehofer hatte zudem in seiner jüngsten Bundestagsrede betont, dass Deutschland bereits zwei Millionen Migranten seit 2014 aufgenommen hat. Was der CSU-Innenminister dabei jedoch nicht sagt: Es ist in dieser Zeit ein 17. Bundesland in der Größe von Thüringen in das deutsche Sozialsystem eingewandert. Die Kosten dieser Asyleinwanderung für Bund, Länder, Kommunen und Steuerzahler liegen allein bis 2020 bei gut 150 Milliarden Euro.
Abstimmung über Merkels Kurs? Kommt nicht in Frage!
Die sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Veronika Bellmann beantragte in der Fraktionssitzung am Dienstagnachmittag schließlich eine Abstimmung über die angeblich „einmalige Aktion“ der Bundesregierung, die rund 1.500 Flüchtlinge aufzunehmen.
Erhielten die Abgeordneten daraufhin die Gelegenheit über Merkels Regierungslinie abzustimmen? Nein!
Fraktionschef Ralph Brinkhaus erkannte sofort die Gefahr. Er stellte lediglich die Frage, ob seine Mitglieder, so wie er selbst, den Eindruck hätten, dass die Mehrheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Regierungslinie folgen würde. Diesen Eindruck konnte natürlich jeder teilen, egal, ob er in der Sache Merkels Vorgehen für richtig hielt oder nicht. Es wurde daher gar nicht abgestimmt, sondern nur nach einem Eindruck gefragt und somit eine ordnungsgemäß beantragte Abstimmung verhindert.
Also lieber wieder Fühlen statt Fakten: So lässt Merkel politische Grundsatzentscheidungen in der Fraktion durchwinken. Der Unmut über diese höchst fragwürdige Methode wirkt bei zahlreichen Unionsabgeordneten nachhaltig. Doch wird er etwas ändern?
Merkel hingegen wendet sich gegen Abschreckung an Europas Außengrenzen, sie will stattdessen mit ihrem „Pilotprojekt“ weiter Flüchtlinge aufnehmen. Doch die selbst gelegten Brände machen jetzt in den Lagern auf den griechischen Inseln womöglich Schule. Auf Samos ist 200 bis 300 Meter vom dortigen Flüchtlingslager entfernt am Dienstagabend ein Feuer ausgebrochen. Griechische Politiker warnen seit Tagen vor der „Moria-Taktik“, mit der Feuer auch in anderen Flüchtlingslagern auf den Inseln Samos, Chios, Leros und Kos gelegt werden könnten, wenn Migranten von Lesbos nun aufs Festland oder nach Mitteleuropa und Deutschland gebracht würden. Kanzlerin Merkel sind diese Warnungen offensichtlich egal. Sie betreibt weiter ihre einsame Einwanderungspolitik im europäischen Alleingang.