Letzten Sonntag sitzt Merkel bei Anne Will, erläutert ihre Strategie, macht Druck auf die Ministerpräsidenten. Ihre Rolle: voll und ganz Mutti. Die ehrliche und ehrlich besorgte, die Kümmererin, die einzige, die nicht in Parteikategorien denkt, die einzige, auf die man sich verlassen kann. An diesem Abend gibt sie ein zentrales Versprechen ab: Man habe „für über 50 Millionen Menschen schon ein Impfangebot Ende des zweiten Quartals“. Einen Tag später wird der AstraZeneca-Stopp für unter 60-Jährige verhängt, der das Erreichen dieses Ziels in weite Ferne rückt.
Laut Bundesgesundheitsministerium sind bis zum Ende des 2. Quartals 70,5-73,5 Mio. Impfdosen zu erwarten (falls CureVac zugelassen wird). Mit zwei Impfdosen pro Person (außer bei den rund 10 Mio. J&J-Impfungen) sind 50 Mio. Personen mit Impfangebot da ohnehin ein sportlichen Ziel. Das Gesundheitsministerium sagt selbst auch noch dazu: „Die Zahlen beruhen auf Prognosen und sind mit Unsicherheiten behaftet. Änderungen sind nicht ungewöhnlich“.
Nun fällt mit AstraZeneca auch noch das Rückgrat der Impfstrategie in Teilen weg – wie die 50 Mio. so noch erreicht werden sollen, ist zumindest fraglich.
Zumindest in den nächsten Wochen bricht die Impfstrategie der Bundesregierung damit jedenfalls zusammen – wenn sie denn überhaupt noch gestanden hat.
Jetzt kommt durch einen ZDF-Bericht ans Licht: Bereits am Freitag wurde die Bundesregierung von Experten der Stiko über die Risiken der Vakzine informiert. Sie wurden über die 31 Fälle von Sinusvenenthrombosen, und den neun daraus resultierenden Todesfällen informiert. Schon da sollen die Experten gesagt haben, das seien zu viele, um es laufen zu lassen. Der Impfstopp steht kurz bevor – das muss zu dem Zeitpunkt bereits klar gewesen sein.
Aber über das Wochenende lässt man einfach munter weiter impfen. Bis am Montag dann der Impfstopp verhängt wird, werden 314.383 weitere Erstimpfungen mit AstraZeneca durchgeführt. Die Betroffenen werden über die Tatsache, dass ein Impfstopp da bereits wahrscheinlich ist, im Dunkeln gelassen – und über die nun immer deutlicher zutage tretenden Risiken.
Was mag das für ein Gefühl sein, gestern mit AstraZeneca geimpft worden zu sein und am Tag darauf zu lesen, dass die Impfung aufgrund von Sinusvenenthrombosen ein zu hohes potentielles Gesundheitsrisiko bietet? Wieder einmal offenbart die Regierung ihre Zögerlichkeit an der falschen Stelle. Das altbekannte Muster: Erst dauert alles ewig und dann kommt die Reaktion – viel zu spät, dafür brutal.