Während das Abgeordnetenhaus in Rom ein Gesetz mit verschärften Strafen bis zu einer Million Euro für illegales Anlanden von illegalen Einwanderern in Italien und Beschlagnahmung der Schiffe verabschiedete, kam es zu Protesten: Mehrere Organisationen der UNO fordern, die „Seenotrettung” in den Gebieten vor der libyschen Küste wieder aufzunehmen, weil sich vor wenigen Tagen dort ein schweres Bootsunglück ereignet hat. Nach Angaben der libyschen Küstenwache werden 115 illegale Einwanderer vermisst.
Es ist ein zufälliges Zusammentreffen von Ereignissen. Aber es eignet sich bestens für eine Politik des Moralisierens. Dabei gibt Italiens Innenminister Salvini den Schurken, Merkel in Berlin und Macron in Paris dagegen sind die Guten, die Retter.
Es ist eine unfaire Arbeitsteilung.
Denn während Macron, Merkel und Maas die Meister der moralischen Tischreden sind, tut Italien mit Matteo Salvini das, was es schon weit vor 2015 tat und immer noch tut: Menschenleben retten, und Personen versorgen, mit Wasser, Lebensmitteln und Medizin.
Die Guardia Costiera, die italienische Küstenwache, die nicht nur Seemeilen zur Überwachung italienischer Gewässer abreist, sondern auch tatkräftig und agil Initiative ergreift, kann man schon als Spezialisten der Seenotrettung bezeichnen. Außerdem merken Salvinis Mannen auch recht schnell, mit wem sie es zu tun haben. Er verschweigt nicht, wie es zum Beispiel die Bundesmarine während ihres Einsatzes im Mittelmeer vorführte, dass sich die Retter der Marine nur schwer bewaffnet auf die „Flüchtlingsboote” wagen. Er verschweigt nicht, dass Frauen, Kinder und Christen häufig über Bord der Flüchtlingsboote geworfen wurden, um Platz für Kräftigere zu schaffen – Kratzspuren an den Armen weisen darauf hin.
Er verschweigt nicht, dass es immer wieder zu einem Zusammenspiel zwischen Schleppern und NGOs kommt. Salvini läßt den Seenotopfern Hilfe zuteil werden.
Hilfe und Information
Derzeit harren etwa 135 geborgene illegale Einwanderer auf einem italienischen Marineschiff der Küstenwache aus. Sie legten gestern wohl in Libyen ab, zwei Boote mit knapp 300 illegalen Einwanderern sollen sich aufgemacht haben.
Im Laufe des Freitags leisteten italienische Fischer Hilfe und nahmen die illegalen Einwanderer auf, bis zur Übergabe an die Küstenwache. Das alles geschieht wie selbstverständlich.
Allerdings: Matteo Salvini erließ auch sofort die politische Order, die Pflicht sei getan, die illegalen Einwanderer würden angemessen versorgt, die Häfen jedoch blieben geschlossen. Die illegalen Einwanderer werden so lange nicht aufgenommen und an Land gelassen, bis sich ein paar der „Willigen Nationen” bereit erklärten, wer, wo und wie viele der Schiffbrüchigen aufnehmen werde. Die EU sei im Bilde. Paris sowieso, das zwar von Italien die Öffnung der Häfen verlangt, seine eigenen aber schließt.
Denn vom „Retten” ist in Paris und Berlin schnell die Rede; aber das ist der erste Schritt. Wer übernimmt die Versorgung der illegalen Einwanderer, die in den meisten Fällen ihr Leben lang und einschließlich der Rente auf staatliche Hilfe angewiesen sein werden? Dazu schweigt EU-Europa. Dazu schweigen auch die „sicheren Häfen“, Städte, die sich mit humanitären Gesten brüsten. Wie selbstverständlich gehen diese Städte davon aus, dass die Hilfe, für die sie sich stark machen, vom Bund finanziert wird. So fällt Rettung leicht – auf Kosten anderer.
Salvini verschweigt auch nicht, dass die Zahl der Ertrunkenen in Folge seiner Politik gefallen ist: von 5.095 Toten und Vermissten 2016 über 3.139 im Jahr 2017 auf 2019 bislang 686. Deutsche Medien und Politiker behaupten gerne das Gegenteil und stützen sich auf fragwürdige Berechnungen, die allerdings nur auf Modellrechnungen beruhen.
Salvini rechnet vor, dass, wenn weniger illegalen Einwanderer aufs Meer gelockt werden, wie es durch scheinbar humanitäre Gesten und Rettungsversprechen geschieht, dass dann auch weniger Menschen ertrinken. Und er verweist auf die Folgen der „Rettung“. Die Kosten soll EU-Europa tragen, wenn es ständig eine Politik fordert, die die weitere illegalen Einwanderung im Mittelmeer ausweitet und fördert. Er führt vor, was moralisches Handeln bedeutet statt moralisierendem Dahergerede, das nur weitere Todesopfer provoziert und sich vor den Folgen des eigenen Handelns drückt.
Konfrontationspädagogik
Man kann auch sagen, dass das italienische Innenministerium eine Art Konfrontationspädagogik betreibt. Die EU solle endlich lernen, für die Folgen des eigenen Redens einzustehen. Moral ist das eine, Aktion das andere.
Während Salvini handelt, geht innerhalb der Europäischen Union ein Streit darüber weiter, wie illegalen Einwanderer verteilt werden sollen, die im Mittelmeer aus dem Meer geborgen werden. Noch immer konnte sich die EU nicht auf einen Verteilmechanismus oder eine „Rettungsmission” einigen. Eine „Koalition der Willigen” soll nun kurzfristig einen Mechanismus schaffen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verkündete vor wenigen Tagen, dass 14 Länder einem deutsch-französischen Kompromissvorschlag „im Prinzip” zustimmen würden. Aber EU-Europa macht Ferien, Salvini und seine Beamten nicht.
Ganz nebenbei kümmerte sich Salvini auch um die Carabinieri in Rom und kondolierte der Familie und den Hinterbliebenen eines 35-jährigen Beamten, der in den frühen Morgenstunden sein Leben auf Streife verlor.
Mit acht Messerstichen wurde der Carabiniere bei einer Personenkontrolle quasi ermordet. Bei vergleichbaren Fällen hätten deutsche Politiker aufgerufen, die Ermordung des Polizisten nicht zu „instrumentalisieren”, die Familie des Opfers dagegen wäre allein gelassen worden. „Victim Blaming” nennt man diese Umkehr von Täter und Opfer. Salvini macht da nicht mit. Die Zeiten werden für Salvini nicht ruhiger. Moralisierendes Reden ist lauter als Handeln. Aber Handeln wirkt nachhaltig.