Tichys Einblick
LNG-Terminal vor Rügen

Manuela Schwesig ist der Splitter in der Berliner Ampelregierung

Robert Habecks Energiepolitik spaltet die Ampelregierung. Der Riss geht sogar durch die jeweiligen Parteien. Zu einer entscheidenden Figur wird nun ausgerechnet Manuela Schwesig – auch wegen ihrer Nähe zu Russland.

Manuela Schwesig, SPD, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern

IMAGO / BildFunkMV

Ist Deutschland in einer Gaskrise? Diese Frage wird von entscheidender Bedeutung. Unter anderem für die Bewohner von Rügen. Vor ihrer Urlaubsinsel will Wirtschaftsminister Robert Habeck ein LNG-Terminal bauen lassen. Die Bewohner laufen dagegen Sturm. Sie fürchten Lärm und Gestank durch die Dieselschiffe, Chlor im Boddenboden, auslaufendes Gas und nicht zu kalkulierende Gefahren, wenn die Tanker durch die schmalen Fahrrinnen rund um die Insel fahren. Tourismus sei dann auf Rügen nicht mehr denkbar, sagt Wolfgang Kannengießer im Gespräch mit TE. Er ist Chef des Tourismusverbandes Dehoga Rügen.

Die Insel protestiert gegen Habecks Pläne. Zu einer Kundgebung kamen rund 3.500 Menschen. Die Bürgermeister von vier ansässigen Gemeinden haben die Kanzlei Mohr beauftragt, eine Eingabe in ihrem Namen zu schreiben. Ein entscheidender Punkt darin: Ist Deutschland tatsächlich in einer Gaskrise? Denn das LNG-Terminal, das den Tourismus auf Rügen gefährdet, soll nach dem „LNG-Beschleunigungsgesetz“ gebaut werden. Dann würden viele Auflagen wegfallen. Etwa die Umweltverträglichkeitsprüfung. Ob nach einer solchen Prüfung noch ein faktischer Industriehafen vor einem Unesco-Weltnaturerbe gebaut werden dürfte, ist fraglich.

An dieser Stelle kommt die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern ins Spiel: Manuela Schwesig hat in Sachen LNG-Terminal vor Rügen eine Wende hingelegt. War sie anfangs noch für diesen Plan, so ist sie jetzt Teil einer breiten Front im Landtag gegen das Projekt. Zu dieser Front gehört die Partei die Linke – aber auch alle drei Ampelparteien SPD, FDP und sogar die Grünen. Als übergroße Koalition haben sie einen Beschluss verfasst, die Bundesregierung möge den Standort noch einmal prüfen. Die CDU hat sich daran nicht beteiligt, weil sie einen Schritt weitergehen wollte.

Damit wird Schwesig zum Splitter in der Berliner Ampel. Aus Sicht von Robert Habeck wäre zu sagen: Sie nervt. Vor drei Tagen hat sich die Sozialdemokratin gegen das von ihm geplante Verbot von Gasheizungen ausgesprochen. Das sei „ungerecht und unbrauchbar“. Nun hat sich die übergroße Koalition in Schwerin gegen das LNG-Terminal ausgesprochen. Ohne dieses Terminal steht Habeck allerdings nackt da.

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Die verbrannte Steuererklärung von Schwesigs Klimastiftung
Im April lässt die Bundesregierung auf Habecks Betreiben die letzten drei Atomkraftwerke herunterfahren. Gleichzeitig will das Land so früh wie möglich aus Gas und Kohle heraus, dafür aber die erneuerbaren Energien schneller ausbauen. So weit die Theorie. Die Praxis sind Stromwarnungen in Baden-Württemberg, wo die Hausfrau um 11 Uhr den Strom abschalten muss, wenn im Norden zu viel Windenergie ins Netz eingespeist wird – das auf die erneuerbaren Energien nicht vorbereitet ist. Die Praxis sind auch Kohlekraftwerke, die als Folge der Habeckschen Klimaschutzpolitik wieder hochgefahren wurden. Und die Praxis ist die Frage: Hat Deutschland eine Gaskrise?

Aktuell ja. Zumindest formal. Denn es gilt eine Verordnung, die das Heizen von Swimmingpools unter Strafe stellt. Ebenso wie zu lang geöffnete Geschäftstüren. Und es gilt ein Gesetz, das das Errichten von LNG-Terminals erlaubt, ohne dass die Umweltverträglichkeit geprüft werden muss. Vor einem Unesco-Weltnaturerbe. Während des Vogelzugs. Während der Laichzeit der Heringe. Und in direkter Sichtweite zu einer von Deutschlands beliebtesten Tourismus-Regionen. All das nur, weil Habeck ohne LNG-Terminal nackt dastehen würde.

Der Mecklenburger Aufstand ist vor allem für die SPD ein Problem. Die ostdeutschen Landesverbände spielen bei FDP und Grünen traditionell keine große Rolle. Das ist bei den Sozialdemokraten anders. Immerhin stellen sie in der Hälfte der ostdeutschen Bundesländer die Ministerpräsidenten. Mit Manuela Schwesig zudem eine ganz besondere. Neben Gerd Schröder und Frank-Walter Steinmeier steht sie am stärksten für die SPD-Nähe zu Putins Russland in den Jahren als Merkels Koalitionspartner. Störfeuer von der Seite können Kanzler Olaf Scholz (SPD) und sein Vizekanzler nun kaum gebrauchen.

Zumal Schwesig ohnehin auf Bomben zu sitzen scheint. Ihre Nähe zur Nord-Stream-Stiftung, die verbrannten Steuer-Unterlagen, mögliche private Vorteilnahmen – zu alledem könnte noch Neues zum Vorschein kommen. Wenn deutsche Medien doch wieder ihren Drang zur investigativen Recherche entdecken. Oder wenn jemand sich revanchieren will, weil Schwesig ihm auf die Füße getreten ist. Und mit dem Protest gegen den Standort Sellin tritt sie gerade fleißig auf Berliner Füße.

Ursprünglich sollte das LNG-Terminal vor dem Festland andocken. In Lubmin. 40 Kilometer südlich von Sellin. Dort gibt es eine Anlage, in der vor dem Ukraine-Krieg direkt aus Russland kommendes Gas verarbeitet wurde. Doch Lubmin hat ein Problem. Das Wasser vor der Küste ist zu flach. Die riesigen Tanker können ein Terminal dort nicht anfahren. Wusste vorher offensichtlich niemand. Robert Habeck steht nackt da. Aktuell liefern Shuttle-Schiffe das Gas an. Torpediert ausgerechnet Schwesig nun die Pläne mit einem Ersatz-Termin vor Sellin, die den Standort Lubmin retten sollten, würde das in Berlin manchen verärgern. Auch in der eigenen Partei – vor allem aber bei den Grünen.

Habeck steht unter Zugzwang. Er versucht, der Herr des Verfahrens zu bleiben. Nun hat er über die Nachrichtenagentur DPA einen neuen Standort ins Spiel gebracht: Mukran. Im Norden der Insel. Für den Standort spricht, dass der Fährenhafen in der Nähe liegt. Dagegen, dass Mukran in unmittelbarer Nachbarschaft zum Nationalpark Jasmund liegt – und zu den Buchenwäldern in Strandnähe, welche die Unesco zu einem Weltnaturerbe erklärt hat. Ob Habeck nun ausgerchnet diesen Vorschlag zu Ende gedacht hat, ist fraglich. Bekommt er auch dafür Gegenwind, dürften die Fronten zwischen ihm und Schwesig weiter verhärten. Sie ist der Splitter in der Ampelregierung. Derzeit aus Habecks Sicht nur nervig – doch aus Splittern werden mitunter Blutvergiftungen.

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