Vor einigen Tagen befragten in der ZDF-Sendung “Was nun, Europa?“ Bettina Schausten und Peter Frey die beiden Spitzenkandidaten für die Europawahl Katarina Barley SPD und Manfred Weber CSU über ihre Pläne und Strategien zur Wahl. In diesem Zusammenhang kam auch das Verhältnis von Weber zu seinem Parteifreund in der Europäischen Volkspartei, dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, zur Sprache. Die Frage, die Peter Frey dem CSU-Mann stellte, hatte es in sich: Würde er sich denn mit den Stimmen von Orbán und Fidesz zum Präsidenten der Kommission der EU wählen lassen? Darauf antwortete Weber wie folgt:
„Dann werde ich das Amt nicht annehmen, weil ich nicht von Rechten gewählt werden will. Ich will von der Mitte heraus ambitioniert in die Zukunft gehen. Ich will klar machen, dass die Mitte das Dominante ist, weder von links, von Kommunisten, noch von rechts, von Nationalisten.“
Viktor Orbán hatte vollkommen Recht, als er nach dieser Äußerung von einer Beleidigung sprach. Orbán, den Kämpfer gegen den Kommunismus, zusammen mit Kommunisten in die totalitäre Ecke zu stellen, ihn als einen unehrenhaften Mann hinzustellen, dessen Stimme toxisch sei, zeugt sowohl von einer beispiellosen Geschichtsvergessenheit, als auch vom uneingeschränkten Willen zur Beleidigung und Erniedrigung eines Gegners. Sicher ist nur, dass diese Aussage eine Anbiederung an die Linken und Grünen Parteien und Wähler war, genau das, was Orbán schon früher kritisiert und befürchtet hatte. Das ist der Weg, den Weber in der EU – ob als Präsident oder Fraktionschef – zu gehen gedenkt, und es sind offensichtlich die Stimmen der Linken und Grünen, mit denen er sich zum Kommissionspräsidenten wählen lassen will.
Die Reaktion Orbáns und der Fidesz-Führung folgte prompt auf diese Aussage. „Endlich haben wir etwas, wo wir mit Herrn Weber einer Meinung sein können“, sagte Orbán auf der Pressekonferenz anlässlich des Besuchs des österreichischen Vizekanzlers Hans-Christian Strache von der FPÖ in Budapest. „Es wäre nicht richtig, dass er mit den Stimmen der Ungarn zum Kommissionspräsidenten gewählt werden würde“, so der Ministerpräsident.
Dass die deutschen Medien die Beleidigung auf Orbáns Seite zu erkennen glauben („Fieses Orbán-Foul“ schrie die Bild Zeitung), war zu erwarten. In keinem der Berichte ist Webers abschätzige Äußerung zu finden, als sei Orbáns Entscheidung vom Himmel gefallen, wie ein heimtückischer Angriff auf den unschuldigen Herrn Weber. Seit Wochen schon läuft als Vorbereitung auf die EU-Wahlen die antiungarische Kampagne auf Hochtouren. Diktator, Autokrat, Antisemit – es gibt kaum eine Verleumdung, die über Orbán und Fidesz nicht vorgebracht worden wäre.
Dabei wäre man über den jetzt erfolgten Bruch nicht weiter erstaunt, wenn man Orbán in den vergangenen Wochen zugehört hätte. Er hatte mehrfach betont, dass Fidesz nur dann eine Zukuft in der EVP habe, wenn diese aufhöre, sich bei Linken und Grünen anzubiedern und bereit sei, eine christlich-demokratische Politik zu verfolgen. Dazu gehöre auch – so Orbán –, dass man in der Migrationsfrage nicht den Linken hinterherlaufe, sondern mit den neuen, nach den Wahlen vermutlich stärker gewordenen migrationskritischen Parteien die Einigung suchte. Auf der Pressekonferenz anlässlich des Strache-Besuchs sagte er, dass er die europäische Linke für „hoffnungslose Migrationsbefürworter“ halte. Wenn die Parteien der Mitte-Rechts-Koalition mit diesen Linken zusammenarbeiteten, werden sie früher oder später zu Kompromissen gezwungen.
„Deshalb wollen wir statt einer europäischen Großen Koalition die Möglichkeit der Öffnung nach Rechts offen und auf der Tagesordnung halten.“
In einem Interview, das Orbán kurz vor dem Strache-Besuch der österreichischen Kleinen Zeitung gab, ging er noch einmal auf dieses Problem ein.
„Was geschieht? Die Christdemokraten in Europa, aber ganz besonders in Deutschland entwickeln sich nach links. Wenn das so weitergeht und sie immer wieder Koalitionen mit Linken, mit Sozialisten eingehen, dann müssen sie Kompromisse eingehen, und sie verlieren ihre Identitäten und ihre Werte. (…) Die Europäische Volkspartei will nach links gehen. Das wird zwei Folgen haben: Zum einen werden sie ihre Identität verlieren. Zum anderen werden sie wirtschaftlich gesehen ein sozialistisches Europa bauen, das die internationale Wettbewerbsfähigkeit verliert.“
Orbán hat gerade wegen dieser Befürchtungen schon seit längerem offen gehalten, ob Fidesz auch nach den Wahlen weiterhin Mitglied der EVP bleiben wolle. Einige EVP-Strategen haben diese Entwicklung, dass Fidesz von selbst geht, geradezu herbeigesehnt. Es sollte unbedingt vermieden werden, dass der – den Tatsachen entsprechende – Eindruck entsteht, Orbán und Fidesz seien wegen ihres Widerstandes gegen die Merkelsche Migrationspolitik aus der EVP rausgeworfen worden. Aber genau das ist gerade geschehen.
Und nun, in Anbetracht einer von Orbán „gesäuberten” EVP, ist für Weber der Weg offen, sich mit den Stimmen der Linken und Grünen doch noch zum Präsidenten der Kommission der EU wählen zu lassen. Die ihm sowieso wichtiger zu sein scheinen als die eigene Partei und Fraktion. Auf jeden Fall ist die Lage durch Webers Affront und Orbáns Antwort geklärt, und jeder, der es wissen möchte, wird schon vor den Wahlen sehen können, wer wofür steht.