Tichys Einblick
TE-REPORTAGE: IS-BRAUT VOR GERICHT

Man nannte sie Shahida, die Märtyrerin

Eine IS-Rückkehrerin berichtet vor Gericht über ihren Weg in den Salafismus. Dass der Code-Name, den man ihr gab, "Märtyrerin" bedeutet, will sie nicht gewusst haben.

Eine Nikab-Trägerin bei einer Demonstration gegen das Verschleierungsverbot in den Niederlanden

IMAGO / ANP

„Ich weiß es nicht mehr“ – ist der Satz, der sich durch die Hauptverhandlung zieht. Es ist einer der interessantesten Fälle von IS-Rückkehrerinnen. Die Anklagte IS-Braut, Kim A., wird von dem Ex-SED-Vorsitzenden Gregor Gysi verteidigt, der 10 Jahrelang Fraktionsvorsitzender der Linke im Bundestag war.

Kim A. ist die berühmte IS-Frau, die sich jahrelang hinter dem Pseudonym „Maryam A.“ versteckte. Die Angeklagte hatte dem Spiegel-Journalisten Christoph Reuter ihre IS-Story erzählt, die er 2017 im Buch „Maryam A. – Mein Leben im Kalifat“ veröffentlichte. In dem Buch wird in der Ich-Erzählung ihr Weg zum IS beschrieben: Eine junge deutsche Frau aus zerrütteten Verhältnissen landet in der Obhut der Jugendhilfe in Frankfurt. In dieser Stadt beginnt für sie der Weg zum Islam und zur Radikalisierung – angeblich landete sie in einer Gemeinschaft, die ihr „näher war“ als ihre eigene Familie. Dieses Bild versucht sie auch im Gerichtssaal zu zeichnen. Doch rechtfertigt dies wirklich ihren Weg zum Islamismus, ihre Taten im Kalifat? 

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Heute ist Kim A. 32 Jahre alt. Sie sitzt ruhig neben ihren Verteidigern Christina Sinnecker und Gysi auf der Anklagebank. Erstaunlich ruhig angesichts der 10 Jahre Haft, die ihr drohen. Ihr wird vorgeworfen, Mitglied einer ausländischen terroristischen Vereinigung, des Islamischen Staats (IS), gewesen zu sein und Kriegsverbrechen sowie Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz begangen zu haben. Als die Anklageschrift vorgelesen wird, klingt das wie ein Thriller, doch die angeklagte IS-Protagonistin schaut eher gelangweilt.

Im Juni 2014 reiste sie mit ihrem Mann Onur E. nach Syrien, die Schleusung ins Kalifat wurde vom Islamischen Staat bezahlt. Bis August 2016 wechselte das Dschihadisten-Ehepaar mehrmals die Unterkünfte, deren rechtmäßige Bewohner vertrieben, inhaftiert oder getötet wurden. Sie unterstützte die IS-Tätigkeit ihres Mannes, indem sie den Haushalt führte, ihn versorgte und im Krankheitsfall pflegte. Die damals 20-Jährige selbst besaß ein Sturmgewehr AK47 und machte Schießübungen. Ihr wurde sogar ein Sprengstoffgürtel angeboten, den sie jedoch ablehnte.

Wie und warum hat Kim A. sich radikalisiert?

Es ist kurz nach 10 Uhr morgens, als der Prozess beginnt. Die Angeklagte soll ihre Lebensgeschichte vor der Fahrt nach Syrien erzählen. Die Richter wollen nachvollziehen, wie und warum Kim A. sich radikalisierte – es werden lange fünf Stunden. Als ein Pflegekind kam sie mit 10 Jahren zu ihrer Tante, weil sie von dem Freund ihrer Mutter geschlagen wurde. „Schön“ wäre es dort gewesen, doch sie sei in der Schule abgesackt, und die Tante wäre mit ihrer Art nicht zurecht gekommen. So kam sie nach Bad Homburg in ein Betreutes Wohnen, wo „wir machten was wir wollten“. Sie fing an, die Schule zu schwänzen, rauchte viel Gras. Schließlich bezog sie eine eigene Wohnung im Frankfurter Ostend-Viertel, wo sie begann zwielichtige Leute kennenzulernen. „Drogen-Verkäufer, alles war dort vertreten“, sagt sie leicht amüsant. Ihr Leben bestand mehrere Jahre daraus, jeden Tag zugedröhnt in Shisha Bars und am Main-Ufer abzuhängen. Um 6 Uhr Morgens kam sie nachhause, um 6 Uhr Abends ging sie aus. Zu dieser Zeit bezog sie Sozialleistungen, half manchmal auch in einer Drogerie oder im Internet-Café aus.

„Mein Freundeskreis bestand überwiegend aus Muslimen“, sagt sie. Mit 19 Jahren sei sie schließlich konvertiert. Es begann mit einer Internet-Recherche, weil sie sich über das islamische Leben informieren wollte, der „Zusammenhalt“ hätte sie interessiert. So laß Kim A. Bücher übers Beten und Fasten. Sie beteuert in dem Moment vor Gericht, dass diese nicht salafistisch gewesen wären. Dann wird es interessant. Sie habe „kostenlose Info-Broschüren“ von Bekannten in einer Moschee und im Internet-Café erhalten. 

Ging sie in eine Hass-Prediger-Moschee?

„Ich war nicht mehr als 10 Mal in einer Moschee“, behauptet sie. Eine davon sei eine afghanische Moschee in der Nähe des Hessen-Centers gewesen. Den Namen wüsste sie nicht mehr. Die Staatsanwälte grübeln, welche Moschee sie meint, denn es gibt heute zwei afghanische Vereine dort. An diesem Tag bleibt diese Frage im Gericht ungeklärt.

Ein Insider berichtet gegenüber TE, dass der Verfassungsschutz Anfang der 2010er Jahren eine dieser afghanischen Moscheen, „Abu Hanifa“, vom Haus gegenüber aus beobachtete: „Zwei Männer vom Verfassungsschutz hingen in unserer Büroküche hinterm Vorhang jahrelang. Einer rechts einer links. Mein Büro war genau gegenüber der Moschee, ich konnte die Hasspredigten jeden Tag hören.“ Diese wurde aber nach 2010 erbaut, um 2009 sei Kim A. konvertiert. Doch: Vor Gericht sagte die ehemalige IS-Frau, dass die Moschee wohl in der Gewinnerstraße gewesen wäre. Und die Abu Hanifa Moschee ist die direkte Nachfolge-Moschee eines damaligen Vereins in der Gewinnerstraße. Denn hinter Abu Hanifa steckt der „Afghanische Kulturverein Frankfurt“, der vor 2011 in einer pakistanischen Moschee in der Gewinnerstraße als afghanische Gemeinde die Räumlichkeiten nutzte. Damals war dort bereits der Vorbeter Said Kohbaib Sadat, der vom hessischen Verfassungsschutz offiziell als „Hassprediger“ eingestuft ist. Falls sie dort konvertierte, stellt sich die Frage, ob ein Imam bei ihrer Konvertierung anwesend war, ob es Sadat gar gewesen sein könnte. Heute ist die Abu Hanifa Moschee wegen Medienberichten stadtbekannt als Treffpunkt für Islamisten. Der Verfassungsschutz vermutete um 2016, dass in dem Umfeld dieser Moschee Ausreisen nach Syrien in den Dschihad stattfinden.

Richter: „Machen Sie es sich zu leicht?“

Von da an erhält die Geschichte von Kim A. eine kuriose Wendung. Am selben Tag, an welchem sie konvertierte, wäre sie von einer verschleierten Frau angesprochen worden, zu einem „Namensfest“ für ein Neugeborenes mitzukommen – und das tat Kim A. Dann begann auch sie sich zu verschleiern, den Nikab zu tragen. „Damit die Assi-Freunde von früher mich nicht mehr erkannten“, meint sie. Der Richter aber will sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden geben: „Machen sie es sich nicht zu leicht, wenn sie sagen, sie hätten das nur getragen, um nicht erkannt zu werden. Oder waren das nicht auch religiöse Gründe?“ – „Beides“, entgegnet sie, und legt nach, dass alle Frauen in ihrem Kreis einen Nikab trugen, wovon eine Frau besonders Druck auf sie ausgeübt habe. Als Zuschauer erlangt man in dem Moment den Eindruck, dass Kim A. von religiösen Absichten ablenken will – ein  Eindruck der noch öfters in der Verhandlung aufkommt.

Mitten in der Salafisten-Szene – wegen der eigenen Sicherheit oder Anschauung?

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Und dann ist plötzlich „Soufiane K. aufgetaucht“, erzählt die Angeklagte, als wäre der radikale Deutsch-Marokkaner einfach vom Himmel gefallen – Soufiane K. reist später nach Syrien mit seiner Frau Nadine M., der Freundin von Kim A., und wird 2016 vom OLG Frankfurt wegen Mitgliedschaft in der radikalislamischen Al-Nusra-Front verurteilt. Sie verkehrtealso mitten in der prominentesten Salafisten-Szene: So lebte sie eine Zeitlang in Nordrhein-Westfalen, wo sie in Solingen in der Salafisten-Wohnung von Ex-Rapper Deso Dogg wohnte, der in Kontakt mit Pierre Vogel stand und später einer der bekanntesten IS-Anführer in Syrien wurde. Im Buch heißt es, in NRW wurde ihr vorgeschlagen, Deso Dogg zu heiraten. Vor Gericht sagt sie, Männer waren „wie am Buffet“ verfügbar. Der Richter will wissen, ob sie selbst solche extremen Einstellungen teilte, wie ihr dortiges Umfeld. „Ich konnte nicht ganz das vertreten.“ Die Angeklagte erklärt ihren Aufenthalt viel mehr mit einer Angst vor ihrem ersten, afghanischen Ehemann, dessen Familie in Drogenhandel und Menschenschmuggel verwickelt war. Sie habe sich bei den Salafisten sicher gefühlt, beschreibt das als „rückendeckungsmäßig“. Sie stellt es so dar, als wären die Salafisten wie eine Familie für sie gewesen, die sie vorher nie hatte. „Sie haben sich um mich gekümmert.“
Wer hat wen radikalisiert?

Ein Jahr vor ihrer Reise nach Syrien heiratet sie nochmals. Diesmal den türkisch-stämmigen Onur E. Als Sie ihn kennenlernt, trug sie kein Kopftuch kurzzeitig. Als „on-off“ versucht Kim A. ihre Zeit vor der Syrienreise zu beschreiben. Was das Gericht umtreibt, ist die Frage: Wer hat wen radikalisiert? Eine Zeugin ist felsenfest davon überzeugt, dass die Angeklagte Onur E. radikalisierte. Kim A. bestreitet das. Onur E. habe nur eine Person, Soufiane K., durch sie kennengelernt. Es ist eine Frage, die noch geklärt werden muss. Auffällig in diesen Stunden ist, dass die Angeklagte über E. sagte „er wurde religiöser“, anstatt den Begriff „radikaler“ zu verwenden. Plötzlich wollte Onur E., dass sie ihr Gesicht verschleiert, wenn sie mit ihm auf die Straße geht. Unverheiratet hätten die zwei nicht zusammen leben dürfen. Ausgerechnet der berüchtigte Soufiane K. habe die Eheschließung organisiert. 

Ist es wirklich so einfach?

Die 32 Jährige, die während der Verhandlung sehr locker ist und öfters lacht, hat sich heute vom IS losgesagt und trägt kein Kopftuch mehr. Sie ist der Meinung, sie habe sich nach ihrer ersten gescheiterten Ehe dem IS angeschlossen, um eine „Heimat und Familie“ zu bekommen. Heute vor den Richtern bezeichnet sie die Dschihadisten, die mal ihre „Familie“ waren, als „die größten Unmenschen“. Doch ist das wirklich so einfach? Ihre gesamte Aussage deckt sich größtenteils mit ihrer Story im Buch, die sie verkaufte, um ihre Flucht aus Syrien zu bezahlen. Damals war es die Bild-Zeitung, konkret Journalist Björn Stritzel, an den sich Kim A. wandte, mit der Bitte, Kontakte zu syrischen Rebellengruppen zu vermitteln, um ihr so beim Schmuggel aus dem Kalifat zu helfen. Mit dieser Gruppe, die gegen den IS kämpfte, gelang ihr dann tatsächlich die Flucht.

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Während des Prozesses wirkt es, als hätte sie das Buch auswendig gelernt. Es gibt aber auch kleine Ungereimtheiten, sowohl im Buch als auch vor Gericht. Als die Richter sie auf ihren erhaltenen Codenamen „Shahida“ ansprechen, meint sie, sie hätte niemals gewusst, dass dieser übersetzt „Märtyrerin“ bedeutet. „Den Zahn hat mir erst der Journalist Christoph Reuter am Telefon gezogen“, behauptet sie, „ich konnte nie arabisch“. Später allerdings sagt sie aus, „ich kann mich verständigen“, „so wie ein Flüchtling Deutsch spricht“. Kann das wirklich sein, dass sie niemals, umgeben von Islamisten, erfuhr, dass ihr erhaltener Name „Märtyrerin“ bedeutet? Es ist jedenfalls sehr unwahrscheinlich.

Stutzig gemacht hat auch ihre Bezeichnung „Ramadan-Muslime“, die „saufen, kiffen, ins Bordell gehen, aber an Bayram dann Papa die Hand küssen“. Sie hat währenddessen gelacht, als würde sie sich ein wenig abfällig über solche Muslime lustig machen. Damit hinterließ die Angeklagte den Eindruck, als hätte sie immer noch eine Vorstellung davon, was ein „guter Muslim“ sein soll – in einer westlichen, modernen Welt hat aber jeder die Freiheit, seine Religion auszuleben, wie er will. Auf die Frage, ob Kim A. noch religiös sei, atmet sie erstmal tief aus, „also an Gott glaube ich schon noch“, meint sie. Wenigstens das wirkt glaubwürdig. Es ist ein schwieriger und besonderer Fall. 

Die Angeklagte will am kommenden Donnerstag ihre Aussage zu der Ausreise und dem Aufenthalt in Syrien machen.

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