»Das ist ein Horror, da kann man eigentlich nur weinen!« Das sagte seinerzeit die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Marie-Luise Dreyer (SPD), als sie mit Bundeskanzlerin Merkel auf ihrer Tour durch das Katastrophengebiet Ahrtal durch die Trümmer stapfte.
Doch statt Weinen hätten rechtzeitiges Warnen, Evakuieren und Schützen geholfen. Jetzt kommt heraus: Dreyer ist, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet, doch wesentlich früher über die drohende Flutkatastrophe im Ahrtal informiert worden als bisher bekannt.
Bereits um 16:20 Uhr am 14. Juli hatte die Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr im Landratsamt um das Ausrufen des Katastrophenfalles gebeten. Sie hatte die Prognosen gesehen, wie sich die Pegelstände der Art entwickeln würden. Doch erst, als Altenahr bereits vollkommen überschwemmt war, viele Häuser zerstört und Menschen von den Fluten fortgerissen wurden, rief der Landrat den Katastrophenfall aus.
Auch der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz (SPD), wusste rechtzeitig Bescheid. Der war am Abend der Katastrophe noch in Bad Neuenahr und besuchte die technische Einsatzleitung – doch ohne einen Katastrophenalarm zu starten, obwohl Behörden schon gewarnt hatten. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter Berufung auf einen Sprecher der Staatskanzlei in Mainz berichtet, habe Lewentz in Ahrweiler einen ruhigen und konzentrierten arbeitenden Krisenstab vorgefunden. Lewentz unterrichtete auch Ministerpräsident Dreyer über die Situation.
Am späten Nachmittag des 14. Juli haben sich dem Bericht zufolge Dreyer mit Lewentz und der Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) am Rande des Landtagsplenums ausgetauscht. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Landesanstalt für Umwelt bereits einen dramatischen Pegelstand von mehr als fünf Metern prognostiziert.
Abgetaucht ist der ehemalige Landrat des Landkreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU). Er wies unmittelbar nach der Katastrophe zunächst Vorwürfe auf Versagen als »völlig deplatziert und geschmacklos« empört zurück. Niemand könne derzeit im Bund, Land oder Kreis seriös die Fragen nach den Verantwortlichkeiten beantworten.
Der Landkreis sei vom rheinland-pfälzischen Landesumweltamt in automatisch verschickten Mails vor der Flutkatastrophe gewarnt worden. Doch dort habe jedoch niemand rechtzeitig reagiert. Gegen 21:30 Uhr wurde vor einem erwarteten Pegelstand von fast sieben Metern gewarnt, doch der Landkreis habe erst gegen 23:00 Uhr den Katastrophenfall ausgerufen und Evakuierungen eingeleitet.
Mit dürren Worten feuerte schließlich die CDU-Fraktion im Kreistag Ahrweiler ihren Landrat: »Landrat Dr. Jürgen Pföhler kann krankheitsbedingt sein Amt absehbar nicht mehr ausüben. Der Schritt von Landrat Dr. Jürgen Pföhler, sein Amt nicht mehr wahrzunehmen, war daher notwendig und unausweichlich.«
Pföhler war danach krankgeschrieben und stellte einen Antrag auf dauerhafte Dienstunfähigkeit.
Umweltministerin Spiegel ließ um 16:43 Uhr noch eine Pressemitteilung verschicken, nach der kein extremes Hochwasser drohe. Die Präsidentin des Landesamtes für Umwelt erklärte überdies, man behalte die Lage im Blick. Doch Spiegel schlug ebenfalls kein Alarm.
Anne Spiegel ist übrigens für den Hochwasserschutz in Rheinland-Pfalz zuständig. Doch ihr wie anderen Grünen ist mehr an einer Barrierefreiheit und mehr Lebensraum für die Fische in der Ahr als am Schutz der Bevölkerung gelegen. Sämtliche Wehranlagen und Schwellen und Querbauwerke im Verlauf der Ahr wurden abgebaut. »Solche Querbauwerke stellten unüberwindbare Hindernisse für Fische auf ihrer Wanderung zu Laichplätzen in den Oberläufen dar«, monierte beispielsweise das Umweltbundesamt.
Solche Verbauungen hatten die Menschen nach den letzten katastrophalen Hochwassern in das enge Ahrtal gebaut, damit den Wasserfluss abgebremst und die Wucht der Hochwasser gemildert. Denn in dem sehr engen Ahrtal sind Hochwasser nichts Ungewöhnliches. Allein am 21. Juli 1804 und 13. Juni 1910 kam es nach schweren Regenfällen ebenfalls zu katastrophalen Überflutungen.
Die Wasserbremsen sind jetzt weg. Dafür kann sich Anne Spiegel über Renaturierung und freie Fahrt für die Wanderfische erfreuen. Denn für die war der »Einstieg in die Ahr beschwerlich«. Auch das Hochwasser hat jetzt freie Fahrt.